Einer der bildungspolitischen Schwerpunkte der AfD Bürgerschaftsfraktion in Hamburg besteht in regelmäßigen Angriffen auf die politische Bildung an Schulen und in dem immer wieder vorgetragenen Verdacht auf mutmaßliche Verstöße gegen die Verpflichtung zur politischen Neutralität. Diese sieht die AfD gefährdet und wittert stattdessen "politische Indoktrinationen", also die einseitige Beeinflussung der Schülerinnen und Schüler durch die Lehrkräfte.
Im Folgenden wird dargestellt, was politische Neutralität an Schulen bedeutet und welche Aktivitäten die AfD Hamburg hier entfaltet hat. Es folgt eine Einordung dieser Aktivitäten vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Konsenses zur politischen Bildung. Abschließend wird auf die GEW-Position und Aktivitäten eingegangen. Im Anhang finden sich die rechtlichen Grundlagen der politischen Bildung an Hamburger Schulen sowie ein Verzeichnis von Literatur zum Thema.
Politische Neutralität an Schulen - was heißt das?
Beutelsbach, ein kleiner Ort im Schwäbischen. Hier wurden 1976 die Grundlagen der politischen Bildung für die Bundesrepublik verabredet. Grundlagen, die für Schulbücher und Unterrichtsmaterialien gelten und die Grenze markieren zwischen politischer Bildung und Indoktrination. Indoktrination aber ist unvereinbar mit der Rolle der Lehrkraft in einer demokratischen Gesellschaft und der Zielvorstellung von der Mündigkeit der SchülerInnen. Der Beutelsbacher Konsens schreibt fest:
- Das Überwältigungsverbot. Demnach ist untersagt, Schülerinnen und Schüler im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der Gewinnung eines selbständigen Urteils zu hindern.
- Das Kontroversitätsgebot. Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen.
- Das Gebot der Schülerorientierung. Schülerinnen und Schüler müssen in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und ihre eigene Interessenlage zu analysieren.
Rechtlich normiert ist dieser Konsens zur politischen Bildung an Schulen im Hamburgischen Schulgesetz (HmbSG), dem Bildungsplan gymnasiale Oberstufe Politik/ Gesellschaft/ Wirtschaft sowie der sog. Geschäftsordnungsbestimmung Nr. 14 der BSB.
Im HmbSG wird als Aufgabe der Schule genannt, „die Schülerinnen und Schüler zu befähigen und ihre Bereitschaft zu stärken, an der Gestaltung einer der Humanität verpflichteten demokratischen Gesellschaft mitzuwirken und für ein friedliches Zusammenleben der Kulturen sowie für die Gleichheit und das Lebensrecht aller Menschen einzutreten“. Im Bildungsplan wird auf den Beutelsbacher Konsens als Leitlinie verwiesen.
Die drei Grundprinzipien des Beutelsbacher Konsens – Überwältigungsverbot, Kontroversitätsgebot, Schülerorientierung – sind somit Grundlagen der Didaktik des Politikunterrichts. Die Lehrkräfte sind verpflichtet, ihren Schülerinnen und Schülern keine Meinung aufzuzwingen und kontroverse Themen auch als solche darzustellen. Eine im Sinne des Konsenses verstandene Neutralität heißt somit nicht Gleichgültigkeit, sondern fordert einen demokratischen, offenen Meinungsstreit, die Auseinandersetzung verschiedener Positionen sowie ein Eintreten für die Gleichheit aller Menschen ein.
Hamburger Schüler Opfer politischer Indoktrination? AfD-Aktivitäten in Hamburg
Mittlerweile hat die AfD-Fraktion 24 schriftliche kleine und große Anfragen gestellt sowie zwei Dienstaufsichtsbeschwerden auf den Weg gebracht (alle Anfragen sind unter Eingabe der Drucksachennummer unter https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/ zu finden). Aus ihrer Sicht sei es in verschiedenen Fällen zu Verstößen gegen die Verpflichtung zur politischen Neutralität gekommen und führt LI-Veranstaltungen, verwendetes Schulmaterial, verschiedene Schülerinnen- und Schüler-, sowie Schulaktivitäten an.
- Schroedel-Verlag...
Die erste Anfrage der AfD unter der Überschrift „Hamburger Schüler Opfer politischer Indoktrination“ wurde am 10. Mai 2016 gestellt und befasst sich mit Arbeitsblättern des Schroedel Schulbuchverlags. Die AfD kritisiert, dass in diesen Arbeitsblättern Aussagen zur AfD getroffen werden, die nicht zuträfen, wie z.B. „Ausländer raus“. Unter Verweis auf den Beutelsbacher Konsens wird gefordert, diese Materialien nicht mehr zu verwenden. In der Antwort des Senates wird erläutert, dass die Lehrkräfte vor dem Hintergrund ihrer pädagogischen Verantwortung und im Rahmen der geltenden rechtlichen Vorgaben eigenständig über die im Unterricht eingesetzten Lehr- und Lernmittel entscheiden (Ds 21/4295). Diese Antwort reichte der AfD nicht aus, so dass sie zwei weitere Anfragen nachschob. In der Beantwortung der Ersten wird festgestellt, dass die monierten Arbeitsblätter die geforderten Grundsätze erfüllen, sofern das Thema im Unterricht kontrovers dargestellt wird (Ds 21/4426). Nun reichte die AfD eine Große Anfrage ein und wollte per Schulabfrage wissen, an welchen Schulen die Arbeitsblätter des Schroedel-Verlages Verwendung finden. Dieser Anfrage kam der Senat nach mit dem Ergebnis, dass 46 der 147 allgemeinbildenden Schulen und zwölf der 39 staatlichen berufsbildenden Schulen diese Materialen verwendet. Dabei stellte der Senat erneut fest, dass die Schulen eigenverantwortlich über die eingesetzten Lehr- und Lernmittel entscheiden (Ds 21/4760).
- …und GEW als Feindbilder
In einer weiteren Anfrage kritisiert die AfD „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit der AfD“ der Amadeu-Antonio-Stiftung, mit der auch die GEW befasst war. Unter Verweis auf die sog. Geschäftsordnungsbestimmung Nr. 14 der BSB, in der die Verpflichtung zur Neutralität an Hamburger Schulen geregelt wird, moniert die AfD erneut, dass sie verunglimpft werde, da sie als „Problem“ bezeichnet wird. Wissen möchte sie, welche NICHT-[siehe Gegendarstellung unten und www.gew-hamburg.de/themen/bildungspolitik/afd-hamburg-greift-gew-hamburg-an]-GEW-Mitglieder an den Schulen an der Verbreitung dieser Broschüre beteiligt waren. Der Senat antwortete, dass die Gewerkschaftszugehörigkeit kein Datum ist, das sie verarbeiten darf (Ds 21/4715). Als GEW haben wir damals deutlich gemacht, dass „die Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen Organisationen ein wichtiges Betätigungsfeld gewerkschaftlicher Aktivitäten dar[stellt]. Als GEW rufen wir dazu auf, gegen alle Formen von Rassismus und Fremdenhass entschieden Widerstand zu leisten.“ Im Gegensatz zur AfD sehen wir keinen Widerspruch zwischen den Ansprüchen auf Neutralität und antirassistischer Positionierung, sondern verstehen eben diese Position als Ausdruck richtig verstandener politischer Bildung.
- Fortbildungs- und allgemeine Angebote des Landesinstituts für LehrerInnenbildung (LI)
Ganze sieben Anfragen stellte die AfD zu einer angeblichen Schulung am LI zum Thema „Wie die neue Rechte in die gesellschaftliche Mitte vorstößt – und was die Gesellschaft dagegen tun kann“. Sie kritisiert erneut, dass es zu einseitigen Agitationen gegen sie gekommen sei und möchte wissen, wie der Senat dies bewertet. Der Senat stellt richtig, dass es sich um eine öffentliche Lesung gehandelt hat mit dem Ziel, demokratiepädagogische Präventions- sowie Interventionsmöglichkeiten für den schulischen Bereich zu entwickeln. Sie betont §2 HmbSG, nach dem die Schule die Aufgabe hat, Schülerinnen und Schüler zu befähigen, an der Gestaltung einer der Humanität verpflichtenden Gesellschaft mitzuwirken. Gesellschaftliche Diskurse werden daher auch im LI thematisiert (Ds 21/6316). Weitere Anfragen zum Thema waren für die AfD so unbefriedigend, dass sie sogar eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des LI anstrengte, die nach Prüfung nicht weiter verfolgt wurde, da es zu keinen Verstößen gegen das Gebot der Neutralität gekommen war.
- Aufstehen gegen Rassismus und Spenden für Geflüchtete? Von der AfD nicht erwünscht
In zwei weiteren Anfragen kritisiert die AfD, dass an Schulen zu Schulranzen-Spenden für geflüchtete Kinder und Jugendliche aufgerufen wird und bemängelt, dass Kinder hier unter Druck gesetzt würden, dieser Aufforderung Folge zu leisten. Sie möchte die Schulen wissen, an denen solche Aktivitäten laufen. Der Senat sieht hierbei einen Missbrauch des Fragerechts und lehnte es ab, sich die Unterstellungen des Fragestellers durch ein Eingehen zu eigen zu machen (Ds 21/7905). In einer weiteren Anfrage stellt der Senat fest, dass er Spendenaktionen an Schulen für sinnvoll hält, da hierdurch das gesellschaftliche Engagement von Schülerinnen und Schülern gestärkt wird (Ds 21/8884).
Im Fokus der AfD steht auch das Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“, das sich aus naheliegenden Gründen auch mit der AfD auseinandersetzt. Hier möchte die AfD vor dem Hintergrund des Beamtenstatusgesetzes wissen, ob Beamtinnen und Beamte dieses Bündnis aktiv unterstützen dürfen. Der Senat stellt fest, dass dies möglich ist, da auch Beamtinnen und Beamte den Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit genießen (Ds 21/10085).
- Podiumsdiskussion an Schulen? Nur mit der AfD und ohne Kritik!
Mehrere Anfragen der AfD thematisieren den in der Geschäftsordnungsbestimmung 14 festgelegten Grundsatz, dass, wenn Vertreterinnen und Vertreter politischer Parteien im Rahmen des politischen Unterrichts an Schulen kommen sichergestellt sein muss, dass alle in der Bürgerschaft vertretenen Parteien – also auch die AfD – berücksichtigt werden. Zugleich wird dort geregelt, dass Werbung von oder für Parteien an Schulen nicht zulässig ist.
So moniert die AfD eine Veranstaltung an der Heinrich-Hertz-Schule, zu der nur ein CDU-Vertreter, nicht aber eine Vertretung der AfD eingeladen worden sei. Nach Rückfrage bei der Schulleitung antwortete der Senat, dass dieses Recht der AfD in der Tat zustünde und es sich um ein Versehen gehandelt habe (Ds 9860 und Ds 21/10694).
Ebenso kritisierte die AfD, dass bei einer Podiumsdiskussion am Gymnasium Altona im Vorfeld der letzten Bürgerschaftswahl zwar auch ein AfD-Vertreter eingeladen wurde, Schülerinnen und Schüler jedoch einen Schriftzug „AfD verhindern“ auf den Fußboden aufgetragen hätten. Der Senat antwortete, dass dieser Schriftzug entfernt wurde (Ds 10693). Analog hierzu beschwerte sich die AfD über Plakate mit der Aufschrift „F** AfD“, die bei einer Podiumsdiskussion am Gymnasium Allee im Vorfeld der letzten Bundestagswahl gezeigt wurden. Auch hier stellte der Senat fest, dass die Schülerinnen und Schüler von den anwesenden Lehrkräften aufgefordert wurden, die Plakate herunterzunehmen und diese der Aufforderung gefolgt seien (Ds 21/10700).
Eine weitere Anfrage nutzte die AfD, um eine Lehrkraft an der Stadteilschule Süderelbe zu kritisieren, die sich im Geschichtsunterricht kritisch gegenüber der AfD geäußert habe. Hier antwortete der Senat, dass mit der Lehrkraft geredet wurde (Ds 21/12370).
- Und noch eine weitere Dienstaufsichtsbeschwerde…
In den zwei frischesten Anfragen der AfD vom Mai 2018 setzt sich die AfD mit Veranstaltungen an der Gewerbeschule für Bautechnik G19 auseinander und moniert, dass versucht wurde, die Teilnahme eines AfD-Vertreters von Seite der gesamten Lehrerkonferenz zu verhindern. Diese hatte beschlossen, die Veranstaltung besser ganz abzusagen als einem AfD-Vertreter die Möglichkeit der Teilnahme zu bieten und begründet dies mit dem Argument, dass „aus unserer Sicht Neutralität gegenüber Pluralismus nicht möglich [sei], weil eine antidemokratische und rassistische Gesinnung unserem Bildungsauftrag […] widerspricht“. Hierzu stellte der Senat fest, dass dieser Beschluss rechtswidrig sei und die dienstliche Weisung erfolgte, die Veranstaltung durchführen zu lassen (Ds 21/12991). Ob die Behörde die Kompetenz besitzt, gegen den Willen der Lehrerkonferenz eine Veranstaltung an einer Schule anzuordnen, ist aus Sicht der GEW juristisch nicht eindeutig geklärt. Zu diesem Vorgang stellte auch die Linke eine Anfrage und wollte wissen, inwiefern die Schulbehörde in diesem Fall die Autonomierechte der Schulen respektiert. Die Behörde blieb bei ihrer Auffassung, dass die dienstliche Anweisung, die Veranstaltung durchführen zu lassen, korrekt sei (Ds 21/12878).
Ebenfalls gegen die G19 richtet sich eine Anfrage der AfD, in der ein „FCK AfD“-Schild bei einer politischen Diskussionsveranstaltung kritisiert wird. Neben dem Hinweis, dass ein solches Banner nicht zulässig ist weist der Senat darauf hin, dass es entfernt wurde (Ds 21/13136). Die AfD legte nach und reichte nun eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Schulleiter ein, die aktuell geprüft wird.
In einer Großen Anfrage vom Mai 2018 fasste die AfD die von ihr vermuteten Verstöße gegen die politische Neutralität zusammen. Neben einer chronologischen Auflistung von zehn Fällen verlangte sie eine Abfrage aller Schulen und eine Auflistung aller Veranstaltungen, bei denen Parteienvertreterinnen und Vertreter anwesend waren. Somit waren alle Schulen aufgefordert, eine Liste dieser Veranstaltungen zu erstellen, die der Antwort des Senats beigelegt wurde (Ds 21/12825).
- AfD-Online-Plattform zur Meldung engagierter Lehrkräfte angekündigt
Die AfD fordert, wie dargestellt wurde, die Erfassung und Sanktionierung von vermuteten Verstößen gegen die Verpflichtung zur politischen Neutralität an Schulen und hat vor den Sommerferien angekündigt eine Plattform einzurichten, auf der Verstöße gemeldet werden können. Diese Plattform soll, so die Homepage der AfD-Fraktion, „Neutrale Schulen Hamburg“ (NeuSchuH) heißen und zum Schuljahr 2018/19 freigeschaltet werden. Auf dieser Plattform sollen Schülerinnen und Schüler Lehrkräfte melden, die durch „Hetze, Stimmungsmache und Falschbehauptungen“ gegenüber der AfD aufgefallen seien.
Aus Sicht der GEW Hamburg ist dies ein falsches und gefährliches Signal, vor dem die Lehrkräfte geschützt werden müssen. Die GEW sieht Lehrerbewertungsportale grundsätzlich kritisch. Besonders schlimm ist es, wenn auf Grundlage eines falschen Verständnisses von politischer Bildung zur Meldung von Lehrkräften aufgerufen wird. Eine weitere Grenze ist überschritten, wenn das Persönlichkeitsrecht der Lehrkraft verletzt wird. Hiervon betroffene Lehrkräfte, die GEW-Mitglied sind, können sich an uns wenden und werden rechtlich beraten und unterstützt.
Die beschriebenen Aktivitäten der Hamburger AfD sind nicht der einzige Versuch, aktiv in die Bildungspolitik einzugreifen und Unterrichtsinhalte nach rechts zu rücken und Lehrkräfte zu diskreditieren, wie in einer informativen Serie zur Bildungspolitik der AfD auch in den anderen Bundesländern dargestellt wird, auf die unten verwiesen wird.
„Falsches Verständnis von politischer Neutralität“ – Einordung der AfD-Aktivitäten vor dem Hintergrund des Konsenses
Selbstverständlich achtet die GEW das Neutralitätsgebot an Schulen und erkennt an, dass z.B. zu schulischen Veranstaltungen zu Bürgerschaftswahlen alle im Parlament vertretenen Parteien eingeladen werden müssen. Die AfD offenbart jedoch in ihren Anfragen in vielen Fällen ein falsches Verständnis von politischer Neutralität. So ist es selbstverständlich nicht nur erlaubt, sondern sogar ausdrücklich erwünscht, kritisch zu diskutieren bis hin zu demonstrativen Aktivitäten, die ein wichtiger Teil gelebter Demokratie sind. Kontroverse Diskussionsveranstaltungen am LI, Unterrichtsmaterialien, die sich mit der Parteienlandschaft auseinandersetzen, karikative Aktivitäten an Schulen sowie das Netzwerk Schule gegen Rassismus sind Möglichkeiten des konkreten zivilgesellschaftlichen Engagements, das unsere Gesellschaft braucht. Wer solches mit Verweis auf das Gebot der Neutralität an Schulen ablehnt, hat Inhalte und Anspruch politischer Bildung nicht verstanden.
Die im Konsens beschriebene Neutralität heißt nicht Gleichgültigkeit, sondern fordert einen demokratischen, offenen Meinungsstreit und die Auseinandersetzung verschiedener Positionen ein. Was die AfD in vielen Fällen moniert, ist genau dieser demokratische, offene Meinungsstreit und die Auseinandersetzung verschiedener Positionen, die dem Neutralitätsgebot nicht entgegensteht, sondern dieses inhaltlich füllt und somit ein wichtiger Teil politischer Bildung ist. Die AfD versteht unter Neutralität, dass sie nicht kritisiert werden darf. Richtig verstandene Neutralität ruft dazu auf, als kontrovers empfundene Positionen der AfD zu benennen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen - wie mit jeder anderen Partei auch. Dass sie sich in einigen wenigen Fällen zu Recht beschwert heißt nicht, dass ihr eigenes Verständnis politischer Bildung mit den anerkannten Grundsätzen übereinstimmt.
Fazit: Die AfD will den Konsens nicht stärken, sondern instrumentalisiert ihn und will ihn lieber heute als morgen aufkündigen. Mit dieser Auffassung ist die GEW nicht allein.
Aus Sicht der Frankfurter Rundschau instrumentalisiert die AfD das Neutralitätsgebot und unterliegt dem Missverständnis, „als würde eine Lehrkraft sozusagen zum politischen Eunuchentum und zum Verzicht auf eigene Stellungnahme und Wertung verurteilt sein. […]
Wenn die AfD […] wieder und wieder von ‚Verstößen gegen die Verpflichtung zur politischen Neutralität‘ und vom ‚Gebot der politischen Neutralität‘ redet, dann meint sie damit, dass es Lehrkräften verboten sein müsste, ihre AfD-ablehnende Haltung klar auszusprechen. Diese rigide Maulkorb-Position ist symptomatisch für die AfD. Es lässt sich annehmen, dass die AfD – einmal in der Regierung, etwa in einem Bundesland – alles daran setzen würde, dass in den dortigen Schulen auch nicht die kleinste Krittelei ihr gegenüber vorkommt. […]
Die viel beschworene wehrbereite Demokratie lebt also auch und gerade von Lehrkräften, die sich von Androhungen der AfD, anschwärzende Meldeplattformen einzurichten, nicht abhalten lassen, Demokratie schützenden (Politik-)Unterricht zu halten. Fast möchte man den Schulbehörden den Rat geben, diejenigen Pädagogen als zivilcouragiert und sich für demokratische Werte einsetzend auszuzeichnen, die es auf diese Denunziations-Listen geschafft haben“ (Frankfurter Rundschau, 16.6.2018).
Auch die Süddeutsche Zeitung setzt sich kritisch mit der AfD-Bildungspolitik auseinander und stellt fest, dass die AfD mit ihrem Verhalten „das Neutralitätsgebot, auf das sie sich vorgeblich beruft [, pervertiert]. Ja, Lehrer sind in Deutschland zur Überparteilichkeit verpflichtet. Das heißt aber nicht, dass sie ihre Haltung im Lehrerzimmer abgeben müssen. Sie dürfen, ja sie sollen ihre Schüler ermutigen, sich kritisch mit den Positionen aller politischen Parteien zu beschäftigen, zu diskutieren, zu hinterfragen. Wenn die AfD für eine solche Auseinandersetzung besonders viel Anlass bietet, dann ist das ihr Problem, nicht das der Lehrer. […]
Die Schulen in Deutschland sollten sich von der AfD nicht einschüchtern lassen, sondern im Gegenteil ihre Bemühungen um politische Bildung noch verstärken. Dazu gehört selbstverständlich eine kritische Auseinandersetzung mit der AfD, ob das der Partei passt oder nicht. Damit Lehrer dies leisten können, brauchen sie aber die Rückendeckung der jeweiligen Landesregierungen. Sie müssen sicherstellen, dass es der AfD nicht gelingt, das Klassenzimmer zu einem Ort des gegenseitigen Misstrauens zu machen“ (Süddeutsche Zeitung, 7.6.2018).
Auch die ZEIT kritisiert, dass die AfD einerseits für sich Redefreiheit einfordert, sie in der Schule aber einschränken will. „Zwischen Haltung und Zurückhaltung abzuwägen ist für Lehrer in Deutschland nicht neu. Neu ist, dass sich eine Partei diese Gratwanderung politisch zunutze macht. Und zwar ausgerechnet jene Partei, die ihre politische Sprengkraft daraus schöpft, die Grenzen des öffentlich Sagbaren immer wieder auszutesten und auszudehnen. Die AfD verkehrt auf dem bildungspolitischen Feld ihr eigenes Programm: Ihr Argument der grenzenlosen Redefreiheit soll ausgerechnet in deutschen Klassenzimmern beschränkt werden“ (ZEIT, 20.6.2018).
- Bremische Schulbehörde verteidigt die KollegInnen erstklassig
Wie von Seite der zuständigen Behörde auf solche AfD-Versuche bestenfalls reagiert wird, zeigt der Fall einer Lehrkraft aus Bremen. Diesem wird von der AfD vorgeworfen, ein fremdenfeindliches Statement eines AfD-Lokalpolitikers im Unterricht thematisiert zu haben, woraufhin sie von der Schulbehörde eine dienstrechtliche Überprüfung des besagten Lehrers verlangte. Einerseits prüft nun die Schulbehörde diese Beschwerde, andererseits positionierte sich der Bremische Senat in einer Fragestunde der Bürgerschaft deutlich: „Wenn das Instrument der Dienstaufsichtsbeschwerde missbraucht wird, um Einfluss auf die […] Unterrichtsgestaltung zu nehmen oder Lehrkräfte einzuschüchtern, sieht der Senat dies sehr kritisch.“ Die Senatorin „begrüßt ausdrücklich das Engagement der Lehrkräfte, sich […] sowohl im Unterricht als auch in Projekten (z.B. „Demokratisch Handeln“ oder „Dem Hass keine Chance“) gegen Fremdenfeindlichkeit und für Toleranz und eine demokratische, fürsorgliche und weltoffene Gesellschaft einzusetzen. Vor diesem Hintergrund wird sie in größtmöglichem Umfang von Verleumdung betroffene Lehrkräfte schützen“ (Bremische Bürgerschaft, Ds 19/12.06.2018, Nr. 20). Das sind erfreulich klare und deutliche Worte aus Bremen, die wir uns auch in Hamburg von Seite der Behörde wünschen und erwarte
"Politische Bildung und engagierte Lehrkräfte stärken" - GEW auf mehreren Ebenen aktiv
Zwar missversteht die AfD Inhalte und Anspruch der politischen Bildung, aber dennoch hat ihr permanentes Vertreten eines falschen Verständnisses Auswirkungen auf die Praxis an Schulen.
Wie reagiert die GEW auf die veränderte politische Lage? Unsere Antwort lautet: verstärkte Aufklärung und auch Aktion. Beim Freiburger Gewerkschaftstag im Mai 2017 hat die GEW festgestellt, dass AfD und GEW sich diametral entgegenstehen: „Wir ermutigen unsere Mitglieder, sich als wichtiger Teil der Zivilgesellschaft aktiv und offen gegen Demokratiefeindlichkeit, Antifeminismus und Rassismus zu positionieren, sich mit ihrer Stimme an Kundgebungen und Demonstrationen zu beteiligen und dort Gesicht für eine vielfältige, solidarische und offene Gesellschaft zu zeigen“ (Beschluss vom Gewerkschaftstag im Mai 2017).
Zweck und Aufgabe der GEW ist unter anderem der Ausbau und die interkulturelle Öffnung der in den Diensten von Erziehung und Wissenschaft stehenden Einrichtungen sowie die Verhinderung und Beseitigung von Diskriminierung. Vor diesem Hintergrund stellt die Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen Organisationen ein wichtiges Betätigungsfeld gewerkschaftlicher Aktivitäten dar. Als GEW rufen wir dazu auf, gegen alle Formen von Rassismus und Fremdenhass entschieden Widerstand zu leisten.
Rechtspopulistische Gruppierungen wie die AfD vertreten nicht nur eine reaktionäre Politik und bedienen in ihrem politischen Handeln gefährliche Ressentiments, sie stehen auch programmatisch sämtlichen Zielen und Aufgaben der GEW diametral entgegen. Bildungspolitisch heißt das: Wir stehen für Inklusion und Integration, die AfD dagegen für Exklusion und Abschiebung. Das müssen wir deutlich machen. Gegenüber Gruppierungen, die die Gleichheit aller Menschen bestreiten, muss ganz klar Gegenpositionen bezogen werden. Das ist Aufgabe der Gewerkschaften und auch der GEW.
Verbieten will die AfD, was ihr nicht gefällt, und beruft sich fälschlicherweise auf Grundsätze der politischen Bildung an Schulen. Im Sinne dieser politischen Bildung müssen engagierte Lehrkräfte gestärkt statt verächtlich gemacht werden. Die GEW steht hinter den Kolleginnen und Kollegen, die tagtäglich politische Bildung an Schülerinnen und Schüler vermitteln und somit eine zentrale Stütze unserer Demokratie sind.
Die Aktivitäten der AfD zum Thema sind nicht zuletzt Ausdruck der politischen Kräfteverhältnisse in der Bürgerschaft, in der nun mal eine rechtspopulistische Partei sitzt. Das müssen wir ertragen und uns dafür einsetzen, dass diese Rechtspopulisten aus dem Parlament gewählt werden.
Fredrik Dehnerdt, stellvertretender Vorsitzender GEW Hamburg
Foto: GEW HV
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Gegendarstellung
Auf der Internetseite www.gew-hamburg.de wird unter der Überschrift "Haltung zeigen statt Zurückhaltung üben!" über eine Anfrage der AfD-Fraktion betrefend "Handlungsempfehlungen zum Umgang mit der AfD der Amadeu-Antonio-Stiftung, die auch von der GEW verbreitet wird", berichtet: "Wissen möchte sie, welche GEW-Mitglieder an den Schulen an der Verbreitung dieser Broschüre beteiligt waren".Dies ist unrichtig. Richtig ist, dass die AfD-Fraktion nicht wissen wollte, welche GEW-Mitglieder an einer Verbreitung beteiligt waren.
Hamburg, den 28.8.2018
AfD-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft
vertreten durch Dr. Alexander Wolf
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Zeitungsartikel zum Thema AfD und Neutralität an Schulen
ZEIT, 20.6.2018: Dürfen Lehrer ihre Meinung sagen?
Die AfD beschwert sich über Pädagogen – sie verstießen gegen das Neutralitätsgebot, heißt es.
https://www.zeit.de/2018/26/afd-lehrer-neutralitaetsgebot-beschwerde/komplettansicht
Frankfurter Rundschau, 16.6.2018: Lehrer müssen eigene Position deutlich machen können
Die AfD instrumentalisiert das „Neutralitätsgebot“. Doch bei Grenzverletzungen demokratischer Grundverständnisse ist es die Pflicht der Pädagogen zu reagieren.
http://www.fr.de/wissen/gastbeitrag-lehrer-muessen-eigene-position-deutlich-machen-koennen-a-1526159
Süddeutsche Zeitung, 7.6.2018: Politik und Bildung Die AfD hat die Schulen für sich entdeckt
Internetpranger, Anrufe, Anzeigen: Die AfD will verhindern, dass Lehrer und Schüler sich kritisch mit allen Parteien auseinandersetzen. Jetzt liegt es an den Ländern, den Pädagogen zu helfen.
http://www.sueddeutsche.de/bildung/afd-schulen-meinung-1.4006001
GEW zur Bildungspolitik der AfD
„Politische Bildung und engagierte Lehrkräfte stärken statt verächtlich machen“
GEW Hamburg zur AfD-Online-Plattform zur Meldung engagierter Lehrkräfte
04. Juni 2018
GEW Hamburg zur Großen Anfrage der AfD zur politischen Neutralität an Hamburger Schulen
„Falsches Verständnis von politischer Neutralität“
30. Mai 2018
Die Bildungspolitik der AfD: Roll-Back nach rechts
Der dritte und letzte von drei Teilen zeichnet ein klares Bild: Die AfD verliert sich in nationalistischer Polemik und vergisst dabei einen klaren Plan zur Finanzierung ihrer bildungspolitischen Pläne.
07. Mai 2018
Die Bildungspolitik der AfD: „Survival of the Fittest“
Der zweite von drei Teilen entlarvt die AfD und ihre Bildungspolitik als Förderin von Eliten, statt als Unterstützerin der vielbeschworenen „kleinen Leute“.
02. Mai 2018
Die Bildungspolitik der AfD: „Wenn wir kommen, wird ausgemistet!“
Der erste von drei Teilen zur Bildungspolitik der AfD stellt klar, wie die rechtspopulistische Partei systematisch versucht Unterrichtsinhalte nach rechts zu rücken und Lehrkräfte zu diskreditieren.
23. April 2018
AfD und GEW stehen sich diametral gegenüber
Gewerkschaftstag positioniert sich deutlich
Mai 2013
https://www.gew-hamburg.de/themen/gew/afd-und-gew-stehen-sich-diametral-gegenueber
Rechtliche Grundlagen in Hamburg [mit Auszügen]
Hamburgisches Schulgesetz (HmbSG), §2 Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule
http://www.hamburg.de/bsb/schulgesetz/64412/start/
Geschäftsordnungsbestimmung Nr. 14 der Behörde für Schule und Berufsbildung betr. Politische Werbung in Diensträumen
Bildungsplan gymnasiale Oberstufe Politik/Gesellschaft/Wirtschaft
http://www.hamburg.de/bildungsplaene/4539524/start-gyo/
Beamtenstatusgesetz (BeamtStG), §33 Grundpflichten
https://www.gesetze-im-internet.de/beamtstg/
Hamburgisches Schulgesetz (HmbSG), §2 Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule
(1) Unterricht und Erziehung richten sich an den Werten des Grundgesetzes und der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg aus. Es ist Aufgabe der Schule, die Schülerinnen und Schüler zu befähigen und ihre Bereitschaft zu stärken,
- ihre Beziehungen zu anderen Menschen nach den Grundsätzen der Achtung und Toleranz, der Gerechtigkeit und Solidarität sowie der Gleichberechtigung der Geschlechter zu gestalten und
- Verantwortung für sich und andere zu übernehmen,
- an der Gestaltung einer der Humanität verpflichteten demokratischen Gesellschaft mitzuwirken und für ein friedliches Zusammenleben der Kulturen sowie für die Gleichheit und das Lebensrecht aller Menschen einzutreten,
- das eigene körperliche und seelische Wohlbefinden ebenso wie das der Mitmenschen wahren zu können und
- Mitverantwortung für die Erhaltung und den Schutz der natürlichen Umwelt zu übernehmen.
Geschäftsordnungsbestimmung Nr. 14 der Behörde für Schule und Berufsbildung betr. Politische Werbung in Diensträumen
1.1 In den Diensträumen der Behörde für Schule und Berufsbildung darf nicht für politische Parteien und Organisationen sowie für politische Vereinigungen und Verbände durch Wort, Schrift, Film- oder Tonveranstaltungen geworben werden.
Dies gilt insbesondere für die Werbung durch Anschläge, Plakate, das Auslegen oder Verteilen von Flugblättern, Handzetteln, Schriften oder Broschüren sowie die Werbung durch Vorträge, Diskussionsveranstaltungen oder durch Besuche in den Diensträumen in Einzel- oder Gruppengesprächen.
[…]
2.1 Die nach Ziffer 1.1 nicht zulässige Werbung erstreckt sich insbesondere auch auf die Verteilung von Druckschriften, Flugblättern oder Plakaten von politischen Parteien, Gewerkschaften und Verbänden, in welchen zu Aktivitäten aufgerufen wird, die die politische Neutralität der Schule und die Loyalität von Schulleitern und Lehrern in Frage stellen.
2.2 Von dieser Anordnung werden nicht berührt
– Einladungen von Schulen an Vertreter von politischen Parteien im Rahmen des politischen Unterrichts und Einladungen von Organen des Schulverfassungsgesetzes im Rahmen ihres Auftrages an Vertreter politischer Parteien, sofern sichergestellt ist, dass alle in der Bürgerschaft vertretenen Parteien gleichmäßig berücksichtigt werden,
– Besuche von hamburgischen Abgeordneten des Bundestages und von Abgeordneten der Bürgerschaft und der Bezirksversammlungen wie ihrer Ausschüsse nach vorheriger Anmeldung beim Leiter der Schule,
– Hinweise auf Veranstaltungen von Vereinigungen zur politischen Bildung und von politischen Jugendorganisationen, wenn das Programm erkennen lässt, dass die Veranstaltung keine parteipolitische Tendenz verfolgt, sondern der politischen Bildung dient,
Bildungsplan gymnasiale Oberstufe Politik/Gesellschaft/Wirtschaft: Didaktische Grundsätze
Leitlinie für den Unterricht im Fach PGW ist der Beutelsbacher Konsens:
• Überwältigungsverbot – Indoktrinationsverbot
Lehrende dürfen Schülerinnen und Schülern nicht ihre Meinung aufzwingen. Schülerinnen und Schüler sollen sich mithilfe des Unterrichtes eine eigenständige Meinung bilden können.
• Ausgewogenheit bzw. Kontroversitätsgebot
Der Lehrende muss ein Thema kontrovers darstellen und diskutieren, wenn es in Öffentlichkeit, Politik und Wissenschaft kontrovers erscheint. Dazu gehört auch, homogen orientierte Lerngruppen gezielt mit Gegenpositionen zu konfrontieren.
• Schülerorientierung
Politische Bildung muss die Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzen, die politische Situation
der Gesellschaft und ihre eigene Position zu analysieren und daraus für sich Konsequenzen zu ziehen.
Beamtenstatusgesetz (BeamtStG), §33 Grundpflichten
(1) Beamtinnen und Beamte dienen dem ganzen Volk, nicht einer Partei. Sie haben ihre Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und ihr Amt zum Wohl der Allgemeinheit zu führen. Beamtinnen und Beamte müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten.
(2) Beamtinnen und Beamte haben bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergibt.