Leitlinien für gute Bildungspolitik in Hamburg
In Deutschland hängt der Bildungserfolg in hohem Maße von der sozialen Herkunft der Menschen ab. Diese Tatsache belegt, dass unser Bildungssystem nicht das leistet, was seine vornehmste und verfassungsrechtlich gebotene Aufgabe in einer demokratischen und auf Teilhabe angewiesenen Gesellschaft ist: Mit seinen Mitteln Chancenungleichheit zu reduzieren. Daher fordert die GEW ein Gesamtsystem von Erziehung und Betreuung, von Bildung und Wissenschaft, in dem alle Menschen ihr Recht auf Bildung verwirklichen können und in dem die Beschäftigten Arbeitsbedingungen vorfinden, die eine professionelle, pädagogische und wissenschaftliche Arbeit ermöglichen.
Deshalb erwartet die GEW von der künftigen Hamburger Politik:
Mehr Geld für gute Bildung in Hamburg
Das Bildungswesen in Hamburg ist durch eine deutliche Unterfinanzierung gekennzeichnet. Verstärkt wird das durch die Schuldenbremse, wegen der die aktuelle Regierung nur noch jährliche Kostensteigerungen von 0,45 Prozent zulassen will. Vor diesem Hintergrund ist Hamburg mit dem Ausbau von guten Ganztagsschulen und der Umsetzung der Inklusion weiterhin finanziell komplett überfordert.
Wir fordern den Senat auf, Bildung endlich angemessen zu finanzieren und sich dabei am OECD Mittelwert von knapp 6 Prozent zu orientieren. Dies bedeutete für Hamburg, das 2013 ein BIP von 97,7 Milliarden Euro aufwies, Bildungsausgaben in Höhe von 5,862 Milliarden Euro und gemessen am Haushalt 2015/16 eine Verdopplung der Mittel für die Ressorts Soziales, Schule und Berufsbildung sowie Wissenschaft und Forschung.
Ausdrücklich lehnen wir die Unterwerfung der öffentlichen Haushalte unter das Diktat der Schuldenbremse und die daraus resultierende Spar- und Kürzungspolitik ab. Die Schuldenbremse darf keine Bildungsbremse sein.
Das inklusive Schulsystem besser umsetzen
Unmissverständlich unterstützt die GEW bereits seit vielen Jahren in ihrer Programmatik und ihrer alltäglichen Praxis die Inklusion. Die größte Reform an Hamburgs Schulen seit Jahrzehnten soll jedoch ohne zusätzliche personelle und sächliche Mittel ins Werk gesetzt werden. Viele KollegInnen an den Grund- und Stadtteilschulen fühlen sich allein gelassen mit der Verantwortung für gelingende Inklusion, SonderpädagogInnen sollen für so viele Kinder zuständig sein, dass Förderung nicht gelingen kann. Denn eins ist klar: Ohne erhebliche zusätzliche öffentliche Mittel für die Inklusion wird das Ziel nicht zu erreichen sein: Das Recht jedes Kindes und Jugendlichen auf bestmögliche Förderung gemeinsam mit allen anderen.
550 Stellen für eine gelingende Inklusion in Hamburg
Nach Berechnungen der GEW fehlen an den Stadtteilschulen 350 und an den Grundschulen 200 Stellen für eine gelingende Inklusion nach dem erfolgreichen Hamburger Konzept der I- und IR-Klassen. Insgesamt entstünden zusätzliche Kosten von ca. 30 Millionen Euro. Diese sind notwendig, um von der viel zu geringen systemischen Zuweisung endlich auf eine Zuweisung umzustellen, die sich an der tatsächlichen Zahl inklusiv zu beschulender Kinder orientiert. Inklusion geht nicht im Sparmodus, das muss die Politik endlich einsehen und die Schuldenbremse nicht als Inklusionsbremse missverstehen.
Pädagogisches und therapeutisches Fachpersonal (PTF) und Inklusion
Die GEW fordert, dass die Aufgabenfelder der in den Inklusionsklassen tätigen ErzieherInnen, SozialpädagogInnen und TherapeutInnen so beschrieben und konzeptionell ausgestaltet werden, dass sie deren spezifische Qualifikationen berücksichtigen und sie als gleichberechtigte PartnerInnen im Klassenraum definieren. Die GEW fordert eine deutliche Positionierung der Behörde zum Erhalt der Schulsozialarbeit und zum Erhalt des Ausstattungsniveaus in der Inklusion entsprechend der Ausstattung der bisherigen I- und IR-Klassen.
Kindertagesstätten: ErzieherInnen-Kind-Relation verbessern
In Hamburg fehlen viertausend ErzieherInnenstellen. Um zumindest im ersten Schritt die bestehenden Ausfallzeiten aufzufangen und notwendige Vor- und Nachbereitungszeiten in die Personalzuweisung einzustellen, bedarf es einer Erhöhung um 25% des vorhanden pädagogischen Personals, bzw. der Personalwochenstunden in den Kitas.
Berufliche Bildung und berufliche Orientierung: KeineR soll verloren gehen
Im Zuge der Neuausrichtung des Übergangssystems Schule-Beruf wurden viele Bildungsgänge an Berufsschulen abgeschafft oder der Zugang wurde stark eingeschränkt. Den Jugendlichen stehen dadurch deutlich weniger Bildungswege offen, als noch vor einigen Jahren. Die GEW fordert die Öffnung der beruflichen Gymnasien, der höheren Technikschule und höheren Handelsschule auch für Berufserfahrene über 18 Jahren. Das berufliche Gymnasium soll eine Alternative zur Berufsoberschule sein.
LehrerInnenbildung: Lehrkräfte qualitativ hochwertig aus- und fortbilden
Die GEW fordert die neue Hamburger Regierung auf, folgende Maßnahmen zu ergreifen, die auf eine Korrektur der VVZS für Lehrkräfte (Verordnung über den Vorbereitungsdienst/Zweite Staatsprüfung) abzielen: eine deutliche Reduzierung des BdU, eine deutliche Anhebung der Vergütung (entsprechend der Arbeitszeit), eine Wiedereinführung einer Eingangs- und Prüfungsphase, ohne gleichzeitigen BdU sowie eine Erhöhung der ausbildungsbegleitenden Zeit mit den MentorInnen
Schulstruktur: Sekundarstufe I für alle und Oberstufenreform
Die Hauptprobleme an den weiterführenden Schulen liegen derzeit in der Mittelstufe. Sowohl an STS wie auch an Gymnasien haben wir es inzwischen mit einer extrem heterogenen Schülerschaft zu tun. Die Rahmenbedingungen müssen in der Mittelstufe der weiterführenden Schulen deutlich verbessert werden, damit individuelles Lernen überhaupt sinnvoll möglich wird.
Auch in der Oberstufe ist eine umfassende Reform nötig: Die Sekundarstufe II wird in 2 – 4 Jahren durchlaufen. Es gibt eine flexible Einführungsphase, die übersprungen werden kann. Die Qualifikationsphase dauert dann 2 bis 3 Jahre. Die Sekundarstufe II endet mit dem Erwerb des Abiturs. In Hamburg soll eine „Sekundarstufe I für alle“ das Nebeneinander von 8jährigen Gymnasien und 9jährigen Stadtteilschulen ablösen und den Diskurs um G8/G9 beenden. Sie wird damit auch Beispiel für andere Bundesländer sein und der zunehmenden Zersplitterung der Schulstrukturen in Deutschland entgegenwirken.
Ganztagsschule: Steigende Arbeitsbelastung und prekäre Arbeitsverhältnisse
Mit Beginn des Schuljahres 2013/14 wurde die flächendeckende Einrichtung von Ganztagsschulen vollzogen. Was bildungspolitisch richtig ist, hat in der Praxis eine erhebliche Kehrseite. Bezahlt wird diese Entwicklung nämlich durch eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen bei den schulischen Beschäftigten und den ErzieherInnen, die durch den Wegfall der Hortbetreuung nun die Nachmittagsbetreuung der SchülerInnen an 125 Grundschulen in Hamburg übernehmen. Wir befürworten die Ganztagsschule, aber die Arbeitsbedingungen müssen stimmen. So fordern wir konkret eine Steigerung der Personalkostenfinanzierung, damit die Kooperationspartner an den GBS-Schulen nicht wie bislang nur 15 Erzieherwochenstunden, sondern mindestens 20 Erzieherwochenstunden einsetzen können, um den Vormittagsunterricht mit der Nachmittagsbetreuung zu verzahnen.
Lehrer-Arbeitszeit
Die GEW fordert unabhängig von einzelnen Berechnungsalternativen, dass keine KollegIn mehr als 20 Stunden vor der Klasse stehen muss.
Wissenschaft demokratisieren – Arbeits- und Studienbedingungen verbessern
Die Novelle des Hochschulgesetzes 2013/2014 hat die Erwartung der Hochschulen und Gewerkschaften eines konsequenten Bruchs mit der Politik der „unternehmerischen Hochschule“ nicht erfüllt. Die erforderliche (Re-)Demokratisierung wurde verweigert. Die GEW wird sich deshalb dafür einsetzen, dass die Leitungsstellen demokratisch „von unten nach oben“ legitimiert werden, Hochschulräte und Managementstrukturen abgeschafft werden, eine erweiterte gruppenparitätische Mitbestimmung auf allen Ebenen gesetzlich verankert wird. Die GEW fordert die neue Hamburger Regierung auf, Maßnahmen auszufinanzieren, die auf Mindeststandards für Beschäftigungsverhältnisse zielen. Darüber hinaus ist eine Verbesserung der Studienbedingungen erforderlich.
Die GEW und ihre Mitglieder nutzen die Zeit von Haushaltsverhandlungen und Bürgerschaftswahl, um mit öffentlicher Auseinandersetzung und Protesten für grundlegende Verbesserungen für Bildung und Wissenschaft, für Studium, Lehre und Forschung einzugreifen.
Die Langfassung der Leitlinien wie auch die Kurzfassung als Flyer sind im Anhang zu finden.
Anhang | Größe |
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gew_forderungen_zur_buergerschaftswahl_2015_langfassung.pdf | 270.46 KB |
leitlinien_buewa_2015_kurzfassung.pdf | 409.86 KB |