In der Coronakrise spitzen sich die bisherigen Verhältnisse zu, so dass der Blick auf grundsätzliche Schieflagen in unserer Arbeitswelt frei wird.
Ganz deutlich wird es im Gesundheitsbereich. Seit fast dreißig Jahren, genauer gesagt seit 1993 dürfen die Krankenhäuser Profit machen. Es hat zu einer Privatisierung der Krankenhäuser geführt. In Hamburg wurde 2008 der Landesbetrieb Krankenhäuser an das Unternehmen Asklepios Kliniken verkauft, obwohl es durch den Volksentscheid „Gesundheit ist keine Ware“ 2004 eine andere Empfehlung an den Hamburger Senat gab. Mit der Privatisierung ging es in den Krankenhäusern nicht mehr vorwiegend um die richtige Behandlung des Patienten, sondern welche Behandlung bringt den größten Erlös. Es wurden Bettenkapazitäten abgebaut und insbesondere in eine hoch invasive Medizin investiert, bei gleichzeitigem Absenken des Pflegepersonals, das nicht ordentlich bezahlt wird. Zum Glück wurden die Bettenkapazitäten nicht noch weiter, wie es in einer Studie der Bertelsmannstiftung noch 2019 empfohlen wurde, abgebaut. Noch ist keine Umkehr zu einer der Daseinsvorsorge stärkenden Politik, die sich tatsächlich für die Gesundheit und Gesunderhaltung der Bevölkerung einsetzt in Sicht. Hoffentlich wird es durch diese Krise wesentlich schwerer sein, weiterhin den privaten Krankenhauskonzernen in die Hände zu spielen, anstatt endlich die Pflege als zentrale Säule des Gesundheitssystems auszubauen. In der Altenpflege haben wir ähnliche Problemlagen.
Den Alten- und Pflegebereich habe ich als Beispiel ausgewählt, weil mir bewusst ist, dass natürlich nicht nur im Bildungswesen die bisherigen Mängel jetzt zu einer auch in der Öffentlichkeit deutlich sichtbaren Zuspitzung der schwierigen Verhältnisse führen.
Im Bildungsbereich hat man seit ca. 20 Jahren nicht mehr ordentlich in den Schulbau investiert. Hamburg versucht, seitdem deutlich wird, dass die Stadt von der Einwohnerzahl weiter wächst, dies durch Investitionen in den Schulbau auszugleichen. Dabei wird aber auf ein Musterflächenprogramm aufgebaut, das für den einzelnen Schüler*in rechnerisch ca. zwischen 5 bis 8 qm Raum vorhält. Umgerechnet auf das gesamte Schulgebäude ist dies deutlich zu wenig. In alten Schulgebäuden haben wir ebenfalls häufig zu kleine Räume. Bei der nun schrittweisen Öffnung der Schulen unter der Vorgabe die Klassen in zwei Gruppen einzuteilen, führt es deshalb an vielen Schulen dazu, dass die Abstandregeln nicht eingehalten werden können. Auch in den Fluren stoßen die Schulen häufig an ihre Grenzen, wenn sie einen Mindestabstand von 1,5 m einhalten sollen. Noch schwieriger ist die Lage im Sanitärbereich. Zu wenige Toiletten, kein Warmwasser und der bisherige Reinigungsaufwand erfüllen kaum die normalen Anforderungen und entsprechen erst recht nicht, den jetzt nötigen Hygienemaßnahmen in Coronazeiten. Waschbecken in normalen Klassenräumen sind eher eine Seltenheit. Wie wenig der Behörde die konkreten räumlichen Voraussetzungen an den Schulen bekannt sind, wurde bereits in dem Entwurf eines neuen Curriculums für die Vorschulklassen deutlich. Auch aufgrund der Versäumnisse in der Vergangenheit fällt es den Schulen jetzt sehr schwer, den Corona-Hygiene-Plan auch nur annähernd umzusetzen.
Die bisherigen Versäumnisse bei der digitalen Ausstattung der Schulen sind seit dem Aussetzen des regulären Unterrichts besonders augenfällig. Schon die bereits vorhandene – aber nicht einwandfrei funktionierende - Infrastruktur durch die Emailplattform Eduport kam sofort nach Einführung des Fernunterrichts an ihre Grenzen und brach zeitweise ganz zusammen. An vielen Schulen wurden und werden deshalb andere Strukturen genutzt, die datenschutzrechtlich bedenklich sind. Die GEW-Forderung nach dienstlichen und von der Dienststelle gewarteten IT-Endgeräten für die Beschäftigten möchte ich hier noch einmal bekräftigen. Ebenso wird deutlich, dass die Lernmittelfreiheit (in Hamburg z. T. gegen eine Gebühr) für Schüler*innen nicht bei der IT-Ausstattung aufhören darf.
Allerdings hat der seit dem 16.3.2020 stattfindende Fernunterricht sehr deutlich gemacht, dass es noch an gemeinsamen Kriterien für gute pädagogische Konzepte fehlt. Das Vereinbaren und Erarbeiten dieser gemeinsamen Kriterien und Konzepte in den Schulen braucht Zeit. Dafür wurde bisher nicht genügend Zeit zur Verfügung gestellt und hat in Zeiten von Corona zu sehr unterschiedlichen und auch sehr individuellen Lösungen im Fernunterricht geführt. Für die weitere Ausgestaltung der Kombination von Präsenz- und Fernunterricht muss es Unterstützung und genügend Zeitressourcen für die jeweilige Schule vor Ort geben. Präsenz- und Fernunterricht, Notbetreuung und Prüfungsdurchführung hat die gesamten Kollegien schon jetzt stark überlastet, so dass nun bei der weiteren Öffnung der Schulen nicht Geschwindigkeit vor Gesundheitsschutz gehen darf.
Außerdem fand in Hamburg seit Jahren eine fatale Fehlsteuerung in der Schulsozialarbeit statt. Mit Einführung der Inklusion wurden die sozialpädagogischen Mitarbeiter*innen häufig nicht mehr im Beratungsdienst bzw. in der Schulsozialarbeit eingesetzt, sondern aufgabenfremd verwendet. Wenn man diesen Bereich nicht so sträflich vernachlässigt, um nicht zu sagen die Ressourcen zugunsten anderer pädagogischer Tätigkeitsfelder und einer Doppelbesetzung des Unterrichts umgewidmet bzw. umdefiniert hätte, müsste man nun in der Krise nicht permanent Neues erfinden. Jetzt gibt es ELBe - Erweiterte Lernbegleitung – durch Schulbegleiter, vermittelt über das ReBBZ auf Antrag der Schule oder der Beratungsabteilung eines ReBBZ. Von heute auf morgen wird dieses Projekt aus dem Boden gestampft, ohne mit den Akteur*innen vor Ort zu beraten, ob dies auch sinnvoll ist. Schüler*innen, die in Coronazeiten weitere Unterstützung brauchen, müssten durch vertraute und qualifizierte Expert*innen der Schulen unterstützt und begleitet werden. Genau dies leistet Schulsozialarbeit vor Ort in den Beratungsdiensten trotz der geschilderten Begehrlichkeiten aktuell, allerdings regelhaft nur an den Stadtteilschulen. Mit dem ELBe-Konstrukt wird insbesondere für Grundschulen nun versucht, im HauRuck-Verfahren dieser Fehlsteuerung etwas entgegenzusetzen. Deutlich wird daran auch, dass die ReBBZ – Beratungsabteilungen, die als Unterstützersystem der Grundschulen gedacht waren, diese wichtige Funktion nicht bewältigen können - nicht zuletzt, weil sich ihr Aufgabenbereich im Zusammenhang mit der Einführung der Inklusion zu einer Prüf- und Bewilligungsstelle hin verschoben hat.
Besonders krass fällt in dieser Krise die bisher schon sehr mangelhafte Transparenz und Dialogunfähigkeit von Seiten der Behördenspitze in Richtung der vor Ort agierenden Akteur*innen ins Gewicht. Schulleitungen und Beschäftigte werden mit B-Briefen überhäuft, ohne vorher an Entscheidungen beteiligt worden zu sein. Ähnlich wird gegenüber Eltern und Schüler*innen verfahren. Wenn diejenigen, die die Maßnahmen in den Schulen umsetzen müssen, erst kurzfristig informiert werden oder die Neuerungen aus der Presse erfahren müssen, kann kein Vertrauen in die Maßnahmen entstehen. Wenn man die Gegebenheiten vor Ort nicht auf dem Schirm hat, kann man viele Hygienepläne am grünen Tisch entwickeln. Wer mit der Gießkanne Vorgaben für den nun aufzunehmenden Unterricht, u.a. in den sogenannten Hauptfächern mit jeweils drei Stunden, über alle Schulen ausgießt und die Umsetzung dann den Einzelschulen überlässt, handelt verantwortungslos. Dieses Krisenmanagement verunsichert, es führt zu Panik, Wut und Ohnmacht.
Die Kolleginnen und Kollegen, die im Moment Präsenz- und Fernunterricht, Prüfungen (Vorbereitung und Durchführung) und die Notbetreuung versuchen halbwegs sinnvoll umzusetzen, haben eine bessere Unterstützung verdient. Die hier geleistete (Mehr-)Arbeit darf nicht noch mit Spekulationen über Samstagsunterricht oder Verkürzung der unterrichtsfreien Zeit quittiert werden.
Am Ende möchte ich auf die Beschäftigten in der Weiterbildung aufmerksam machen. Ihre bisher schon prekären Beschäftigungsbedingungen stürzen sie nun in existenzbedrohende Verhältnisse. In Hamburg hat es – nicht zuletzt durch den Druck der Gewerkschaften - geklappt, sie als Solo-Selbstständige bis Ende Mai zu unterstützen. Diese Unterstützung muss weiter fortgeschrieben werden, dafür setzt sich die GEW ein. Auch die Umstellung auf Online-Unterricht gleicht ihre Gehaltsausfälle nicht aus. Die Onlineangebote sind gerade am Anfang mit sehr viel mehr an Zeitaufwand zu erstellen und die Angebote sind zeitlich kürzer angesetzt als die bisherigen Präsenzangebote. D.h. sie arbeiten mehr für weniger Geld. Für viele VHS-Honorarkräfte kommt diese Hilfe gar nicht zum Tragen. Es ist zwar gelungen, die Honorare bis Ende März zu sichern, aber da muss ebenfalls weiter unterstützt werden.
Unser gewerkschaftlicher Kampf für eine finanzielle Absicherung und einen guten Arbeits- und Gesundheitsschutz - auch in der Krise - geht weiter!
Die zweite Zwischenbilanz „Dreieinhalb Wochen Coronakrise“ findet sich unter https://www.gew-hamburg.de/themen/gew/dreieinhalb-wochen-coronakrise-zweite-zwischenbilanz
Die erste Zwischenbilanz „Zwei Wochen Coronakrise“ findet sich unter https://www.gew-hamburg.de/themen/gew/zwei-wochen-coronakrise-eine-zwischenbilanz
Foto: GEW Hamburg