Seit zwei Wochen ist das öffentliche Leben stark zurückgefahren. Schulen und Kitas im Notprogramm, der Semesterbeginn an den Hochschulen verschoben, alle Weiterbildungsträger mussten ihre Seminare und ihren Unterricht absagen. Für die Beschäftigten verändert sich sehr viel. Entweder ganz andere und manchmal auch mehr Arbeit, z.B. in Kitas und Schulen. Oder auch gar keine Arbeit verbunden mit Honorarausfällen, die viele Kolleg*innen in der Weiterbildung an den Existenzrand bringen.
Die GEW Geschäftsstelle ist für den Publikumsverkehr geschlossen und die meisten Mitarbeiter*innen arbeiten von zu Hause. Zum Glück hatten wir die technischen Voraussetzungen über die Jahre hinweg schon geschaffen. In der jetzigen Situation mussten wir nur an einigen Stellen nachrüsten. Unsere Arbeit geht also weiter und wir versuchen auch in dieser Situation für unsere Mitglieder da zu sein. Jede und jeder gibt dabei sein bestes, um den vielen Anfragen der Kolleg*innen halbwegs gerecht zu werden. Wir halten unsere Homepage auf dem Laufenden, mit allem Neuen zum Thema Corona-Virus und den entsprechenden Maßnahmen und unseren gewerkschaftlichen Einschätzungen und Aktivitäten. Die Rechtsberatung und die Beratung für Personal- und Betriebsräte stellen dabei einen Großteil unserer Arbeit dar. Wir versuchen mit den Arbeitgebern im Gespräch zu sein, um unseren Kolleg*innen das Arbeiten möglich zu machen oder sie finanziell abzusichern. Für die Beschäftigten in der Weiterbildung können wir erste Erfolge verzeichnen.
Natürlich melden sich auch einzelne Mitglieder bei uns. In der Regel schreiben sie uns eine Mail. Nicht nur unter info@gew-hamburg.de laufen die Mails permanent ein, sondern auch mein Mailaccount hat sich noch nie so schnell gefüllt. Wir bekommen von Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern Anfragen, Hinweise, meist konstruktive Kritik, Lob und sogar Dank. Allerdings können wir nicht alle Anfragen einzeln beantworten. Wir nehmen aber alles zur Kenntnis und vieles wird in den laufend überarbeiteten FAQ’s auf unserer Homepage aufgegriffen.
In der ersten Woche hat mich besonders bewegt, dass viele Kolleginnen und Kollegen uns darauf aufmerksam gemacht haben, dass ihre Schüler*innen aus den Flüchtlingsunterkünften keinen freien Zugang zum WLAN haben. Sie hätten häufig auch kein großes Datenvolumen oder nur geringe Guthaben auf ihren Mobilgeräten, so dass die Kommunikation mit ihnen enorm schwierig sei. Deutlich wurde mir dabei, dass die Kolleg*innen alles tun, um alle ihre Schützlinge gut mit Aufgaben zu versorgen und auch darüber hinaus für sie da zu sein.
In der ersten Woche erreichten mich eine Reihe von Hinweisen, die sehr deutlich machen, dass die IT-Systeme in den Schulen unzureichend sind und nicht zuverlässig funktionieren. Im Grunde eine Tatsache, die nicht neu ist. In dieser Situation aber enorme Einschränkungen und eine Menge zusätzlicher Arbeit für die Kolleg*innen bedeutet, um das System am laufen zu halten. Um andere effektivere Systeme in dieser Situation zu benutzen, müssten nicht die Kolleg*innen oder die Leitungen die Verantwortung für mögliche datenschutzrechtliche Risiken übernehmen, sondern die BSB müsste dafür gerade stehen. Der Hinweis, dass man das als Behörde jetzt nicht so genau nehmen werde und jede Leitung sich beraten lassen könne, hilft da nicht. Die Behörde muss hier Verantwortung übernehmen, statt sich mit Verweis auf die selbst verantwortete Schule auszuruhen. Über die nicht funktionierenden IT-Systeme gipfelte der Ärger und die Not eines GEW-Vertrauensmenschen in dem Bild, dass sie in der BSB alle den Kaiser ohne Kleider spielen, der nicht weiß, dass er nackt sei.
Ebenfalls in der ersten Woche wiesen mich Kolleg*innen aus den Schulleitungen darauf hin, dass die Behörde bei der Ankündigung der Schulschließungen von einer „Ferienverlängerung“ spreche. Sie befürchten, dass die vielfältigen Aufgaben – Notfallbetreuung, Materialerstellung und -zustellung, Telefonate, Bildkonferenzen usw. –, die von den Kolleg*innen geleistet werden nicht gesehen werden. Auch vor dem Hintergrund der Anforderungen an die Schüler*innen sei die Betitelung als „Ferienverlängerung“ geradezu zynisch. Je länger diese Art von Unterricht in anderer Form anhält, desto deutlicher wird die Belastung durch die Aufgabenfülle für die Kolleg*innen auch im Homeoffice. Ein sehr eindrücklicher Bericht über diese Arbeit findet sich nun auf unserer Homepage unter der Überschrift „Schöne neue Welt: Ausnahmezustand! Notbetreuung! Wer betreut uns?“
Mittlerweile nimmt die Behörde übrigens in der Frage der „Ferienverlängerung“ eine ganz andere Haltung ein. Man kann auch von einem Paradigmenwechsel sprechen. Im neuesten Schreiben vom 27.3.2020 des Landesschulrats an die Schulleitungen und dem pädagogischen Personal mutiert die „Ferienverlängerung“ zum „Fernunterricht“, der verbindlich sei. Es wird von Bewertung gesprochen, von Unterricht gemäß Stundenplan. Andererseits solle man die Schüler*innen aber nicht mit Aufgaben „erschlagen“. In dem Schreiben wird fälschlicherweise der Eindruck erweckt, als könne man von jetzt auf gleich den Normalbetrieb Schule von vor der Coronakrise mit ein paar Einschränkungen auf einen sogenannten Fernunterricht umstellen. Als könne man bei laufendem Zugverkehr die Schienen auswechseln und keiner käme dabei zu schaden.
Zum Thema Notbetreuung laufen bei uns nun auch erste Hinweise aus den Kitas ein. Dort kommt es immer häufiger dazu, dass auch Eltern, die beruflich nicht im Bereich der Daseinsfürsorge arbeiten und sich z.T. im Homeoffice befinden, ihre Kinder notbetreuen lassen. Das führt wiederum zu der brisanten Situation, dass nun auch ältere Kolleginnen und Kollegen zur Notbetreuung herangezogen werden. Paradoxerweise dürfen sie privat ihre Enkel nicht betreuen, aber werden in der Kita eingesetzt.
Mich selber beschäftigt der Umstand sehr stark, dass die BSB auch in dieser Situation keine andere Kommunikation mit der Gewerkschaft betreibt als bisher. Wir werden auch in dieser Situation nicht vor wesentlichen Entscheidungen mit einbezogen oder nach unserer Einschätzung gefragt. Wir haben die Möglichkeit Fragen an den Landesschulrat zu adressieren. Das machen wir. Direkte Antworten sind allerdings noch nicht bei uns angekommen. Der Gesamtpersonalrat arbeitet auf Hochtouren und versucht die Anfragen und Hinweise aus den Schulen zu bündeln und mit Behördenvertretern im Sinne der Beschäftigten zu klären. Einen Dialog zwischen Behörden- und Gewerkschaftsspitze gibt es dagegen nicht. Allerhöchstens werden Maßnahmen drei Tage vor Veröffentlichung mitgeteilt, so als würde einem ein abgenagter Knochen hingeworfen. Ein gemeinsames Vorgehen zwischen Arbeitgeber, Interessenvertretung und Sozialpartnern sieht anders aus und wäre in dieser Situation aber mehr als geboten. Vor diesem Hintergrund bleibt der GEW und mir als Vorsitzenden nichts anderes übrig, als die aus unserer Sicht nicht hilfreichen Entscheidungen der Behörde öffentlich zu benennen. Es war mir in der ersten Woche des Ausnahmezustands deshalb wichtig, noch einmal deutlich zu machen, dass eine Notbetreuung für diejenigen Schüler*innen da sein sollte, deren Eltern in den entsprechenden Berufen der Daseinsfürsorge arbeiten. Der Senator hatte in seiner Videoaufnahme bei der Formulierung, es könnten alle in die Schule kommen, denen die Decke auf den Kopf fiele, ein falsches Signal gegeben. Eventuell werden wir bei einer längeren Schulschließung auch Kinder und Jugendliche in der Notbetreuung haben, die auf Anraten des Jugendamtes aus ihren Familien in Obhut genommen wurden. Dafür muss dann Platz sein!
In der zweiten Woche hat sich die GEW zum Thema Abiturprüfungen zu Wort gemeldet. Bei dieser Diskussion werden übrigens die Prüfungen für den Ersten (ESA) und Mittleren Schulabschluss (MSA) vergessen. Bei allen Entscheidungen muss die Gesundheit der Schüler*innen und Beschäftigten an erster Stelle stehen. Aus unserer Sicht können sowohl auf Grundlage der bereits in den ersten zwei Jahren gesammelten Leistungspunkte ein Anerkennungsabitur und aufgrund der Ganzjahresnoten auch ESA und MSA ohne Prüfungen erteilt werden. Dies würde sehr viel Druck und Stress nehmen.
Die grundlegenden Baustellen in unserem Bildungssystem werden in dieser Krisensituation wie unter einem Brennglas deutlich: Kinder aus ärmeren Familien oder mit Lernschwierigkeiten werden in dieser Situation besonders benachteiligt; bei der digitalen Ausstattung in den Schulen fehlt es an vielen Enden; die Belastungen der Beschäftigten werden ignoriert.
Mut macht mir in dieser Situation allerdings, dass so viele Kolleg*innen in den Bildungseinrichtungen beruflich, aber auch mit privaten Initiativen versuchen den anderen zu unterstützen und ihn nicht allein zu lassen. Als GEW tun wir dies auch über Deutschland hinaus. Wir unterstützen die Initiative „LeaveNoOneBehind“!
Anja Bensinger-Stolze, Vorsitzende der GEW Hamburg