Seit dreieinhalb Wochen ist nun das öffentliche Leben durch Allgemeinverfügungen eingeschränkt und reglementiert. So manchen von uns ereilt der Lagerkoller und die Kontakteinschränkungen werden von vielen als starke Beschneidung empfunden. Es ist richtig, wenn wir darauf achten, dass die Einschränkungen der Grundrechte nur so lange andauern, wie es tatsächlich geboten ist, um die Folgen dieser Pandemie einzugrenzen. Sie dürfen nicht als bewährte Instrumente verstetigt werden.
An den Hochschulen beginnt das Semester verspätet. Ab dem 20.4.2020 soll es an der Hamburger Universität – ebenfalls im Digitalmodus wie an den Schulen bisher – aber wieder losgehen. Diese Entscheidung wurde präsidial verordnet, nicht mit den Betroffenen abgestimmt und bringt ähnliche Probleme mit sich, wie an den Schulen auch. Auch hier soll die digitale Lehre die Präsenzlehre von heute auf morgen ersetzen, ohne die digitalen Voraussetzungen dafür geschaffen zu haben. Dass ein wesentlicher Faktor beim Studieren die diskursive Reflexion darstellt, wird dabei ganz hinten angestellt. Buisness as usual und am besten alles im gleichen Umfang. Hoffentlich soll hier nicht auf Biegen und Brechen das volle Semesterprogramm durchgezogen werden.
Im Weiterbildungsbereich ist das Umstellen auf digitales Lernen häufig keine Alternative und für bestimmte Themen ungeeignet. Die Folgen für die Beschäftigten sind dort verheerend. Die allermeisten Honorarkräfte an der VHS in Hamburg werden seit dem 1.4.2020 nicht mehr bezahlt. Auch Hamburgs Soforthilfe für Solo-Selbstständige greift bei vielen nicht, da sie nicht in Hamburg ihren Wohnsitz haben oder nicht regelmäßig 20 Wochenstunden gearbeitet haben. Diese Bürokratie verhindert eine schnelle Hilfe!
Eltern, Schüler*innen oder Lehrer*innen haben mit Homeoffice, verordnetem Fernunterricht, der nun auch noch benotet werden soll und eventuell Prüfungsvorbereitungen für das Abitur oder den Ersten und Mittleren Schulabschluss mehr als alle Hände voll zu tun. Die Schulleitungen bekommen die sogenannten B-Briefe in einer Häufigkeit, dass dabei die Übersicht schon einmal verloren gehen kann. Gerade hat man sich vergegenwärtigt was eigentlich damit gemeint ist, kommt der nächste auf den Tisch geflattert – nein, natürlich digital. Ein etwas ruhigeres Krisenmanagement wäre sicher besser. Nicht das aus den B-Briefen B-Ware wird, die keiner mehr zur Kenntnis nimmt.
In einem der letzten B-Briefe wurde die Notbetreuung weiter ausgedehnt. Er kann nun auch für Schüler*innen in „belastenden Lebenssituationen und für über 14Jährige mit psychosozialem Unterstützungsbedarf“ beantragt werden. Als Pädagogin finde ich das Ansinnen richtig, Schüler*innen, die zu Hause schwierigen Situationen ausgesetzt sind oder sich in emotional und sozial in schwieriger Lage befinden zu unterstützen und ihnen in der Notbetreuung Halt zu geben. Ich weiß aber auch, dass diese Schüler*innen sich nicht unbedingt an Regeln halten können. Auch wenn die Gruppen in der Notbetreuung nicht mehr als fünf Schüler*innen haben sollen, kann das zu einem schwierigen Unterfangen werden, wenn die Abstands- und Hygienemaßnahmen eingehalten werden sollen. Dies ist auch der Behörde deutlich. Denn der besagte B-Brief schlägt vor, bei Schüler*innen, „die den vorgegebenen Rahmen nur schwer einhalten können“ den Betreuungsschlüssel bis 1:1 zu erhöhen, „um Risiken für das Betreuungspersonal und die Schülerinnen und Schüler zu reduzieren“. Das Gesundheitsrisiko ist weiterhin vorhanden. Deshalb muss in Corona-Zeiten mit diesen Maßnahmen sorgsam umgegangen werden. Bisher hat die Behörde für den Einsatz in der Notbetreuung nur eine Empfehlung ausgesprochen. Mir ist unverständlich, warum nicht eindeutig festgelegt wird, das ältere, vorerkrankte und schwerbehinderte Kolleginnen und Kollegen nicht in der Schule, sondern im Homeoffice eingesetzt werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf die Situation in den speziellen Sonderschulen hinweisen, die auch jetzt in der Notbetreuung Schüler*innen mit komplexem Unterstützungs- und Pflegebedarf im Bereich der körperlich-motorischen und geistigen Entwicklung mit bis zu drei Kolleg*innen pro Kind versorgen müssen. Hier fehlt es an Schutzkleidung! Zu Recht haben Personalräte der betroffenen Schulen die Behördenleitung aufgefordert, diesen Missstand zu beseitigen.
Natürlich ist mir klar, dass es andere Berufsgruppen gibt, die gerade jetzt sehr viel stärker gesundheitlichen Risiken ausgesetzt sind. Ich habe jedenfalls großen Respekt vor denjenigen, die in der jetzigen Situation in den Krankenhäusern, ob als Ärztin, Pflegerin oder Reinigungskraft, in der Altenpflege oder im Einzelhandel ihre Arbeit tun. Mir geht es nicht darum, die oben dargestellten Beschäftigungsverhältnisse als die am stärksten mit einem gesundheitlichen Risiko behafteten hervorzuheben. Mir geht es aber darum, dass die Ansteckungsgefahr so gering wie möglich gehalten wird und an erster Stelle die Gesundheit der Beteiligten steht!
Aus diesem Grund und vor dem Hintergrund der sozialen Gerechtigkeit hat sich die GEW jetzt schon mehrfach zu Wort gemeldet und die Durchführung der Prüfungen – Abitur, ESA und MSA – in Frage gestellt. Wir fordern noch einmal hier nicht auf Gedeih und Verderb die Prüfungen durchzuführen. Momentan erreichen mich sehr viele skeptische Stimmen aus den Kollegien und aus den Schulleitungen, die sich Sorgen darum machen, dass es trotz aller Anstrengungen nicht gelingt, die nötigen Hygienevorschriften (z.B. Desinfektion der Prüfungsräume auch zwischen den Prüfungen) umzusetzen. Noch habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben, dass hier noch einmal ein Umdenken stattfindet!
Die anstehenden Ostertage sind für mich eine notwendige Pause in diesen hoch aufgeladenen Corona-Zeiten. Für die Tage danach kündigen die politisch Verantwortlichen in Bund und Ländern an, die Situation neu zu bewerten und eventuell zu weiteren Einschränkungen oder auch Lockerungen zu kommen. Dabei steht auch der weitere Umgang mit Kitas und Schulen im Fokus. Ob und wie ein Wieder- oder Neustart aussehen kann, muss gesellschaftlich breit diskutiert werden und die Maßnahmen müssen abgewogen werden. Wir sind kein Obrigkeitsstaat, in dem nur gewartet wird, was die Regierung entscheidet! Die Gesundheit muss dabei Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen - und natürlich auch Prüfungsinteressen – haben. An dieser Stelle möchte ich meinen Anfangsgedanken noch einmal aufnehmen: Mit einer schrittweisen Aufnahme des sozialen Lebens müssen auch die Grundrechte schrittweise wieder eingesetzt werden!
Sammeln wir Kraft, um die nächsten Wochen gut durchzustehen und darauf zu achten, dass aus der Gesundheitskrise keine gesellschaftliche Krise wird, in der unsere demokratischen Eingriffs- und Mitbestimmungsrechte abhandenkommen!
Foto: GEW/Roland Stolze