Über 70 KollegInnen aus den Bundesländern Berlin, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein sind am 17. April ins Curio-Haus gekommen, um länderübergreifend über Perspektiven der LehrerInnen-Arbeitszeit zu diskutieren.
In der Begrüßung stellte Anja Bensinger-Stolze, Vorsitzende der GEW Hamburg, fest, dass das Thema Arbeitszeit uns als GEW Hamburg schon lange beschäftigt. „Auf dem letzten Hamburger Gewerkschaftstag hatten wir als Ziel formuliert, dass der Einsatz der KollegInnen 20 Unterrichtsstunden nicht überschreiten dürfe und wir eine Arbeitszeittagung ausrichten wollen.“ Auf dieser sollen verschiedene Fragen diskutiert werden: Liegt es an dem Hamburger AZM, dass die Belastungen so hoch sind? Wie sieht es in anderen Bundesländern aus, die alle beim Pflichtstundenmodell geblieben sind? Gibt es weitere Modelle, die uns aus der ewigen Mehrarbeitsspirale führen können? Und – last but not least – was können wir tun, um das zu verändern?
12 Jahre AZM sind genug!
Als Auftakt ging Hans Voß auf die Geschichte des "Hamburger Arbeitszeitmodells" ein. 2003 wurde die Lehrkräfte-Arbeitszeit-Verordnung erlassen, gegen die sich früh Widerstand formierte. Er richtete sich vorwiegend gegen die Erhöhung der Arbeitszeit. Eine GEW-Untersuchung zeigte, dass die KollegInnen mehr unterrichten mussten, im Durchschnitt fast 2 Unterrichtsstunden mehr. KollegInnen mit niedrig faktorisierten Fächern waren noch viel stärker betroffen. Schaut man sich die Schulen genauer an, so stellt man fest: es gibt nicht das eine Arbeitszeitmodell, sondern jede Schule hat ihr eigenes. Das hängt unter anderem auch damit zusammen, dass seit 2003 weitere Sparbeschlüsse gefasst und die Schulen zu selbstverantworteten Einheiten (SVS) wurden, dazu kamen und kommen immer neue Aufgaben an die Schulen, ohne dass ihnen – wie 2003 versprochen – Arbeitszeitzuweisungen folgen. Aus dieser Misere wurden und werden unterschiedliche Wege gesucht, alle sind aber mit einer erheblichen Arbeitsverdichtung und Mehrarbeit verbunden. Viele weitere Infos sind unter www.voss-hh.de zu finden.
Veränderungen in der Lehrerarbeitszeit seit 1995
Anschließend stellte Bernd Winkelmann, Sprecher der GEW Bremen, Veränderungen in der Lehrerarbeitszeit in Bremen seit 1995 dar. Dabei problematisierte er das Pflichtstundenmodell. „Die Pflichtstundenbemessung weist keine ausreichende Schutzfunktion mehr auf. Neue Tätigkeiten, die mit der Neubestimmung der Aufgabe von Schule zu tun haben, werden nicht erfasst. Wir vermuten, dass sie auch nicht erfasst werden sollen.“ Unabhängig von dem jeweiligen Arbeitszeitmodell jedoch gelte: „Wollen wir mit Aussicht auf Erfolg Verhandlungen zu Arbeitszeiten bzw. entsprechenden Modellen führen, muss die GEW-Mitgliedschaft geschlossen und spürbar kampfbereit sein. Ohne eine solche Kampffähigkeit wird es kein akzeptables Arbeitszeitmodell geben.“
Studie der GEW Niedersachsen: Wie viel arbeiten Lehrkräfte?
Nach der Mittagspause stellte Laura Poth, stellvertretende Vorsitzende der GEW Niedersachsen, eine Studie der GEW Niedersachsen vor, in der danach gefragt wird, wieviel die Lehrkräfte wirklich arbeiten. Mit dem Ende der niedersächsischen Osterferien startete eine landesweite Studie zur Erfassung der Arbeitszeit der LehrerInnen in Niedersachsen. An 262 Schulen aller Schulformen werden mehrere tausend Lehrkräfte über ein Jahr lang ihre Arbeitszeit minutengenau erfassen. „Unser Ziel war, dass wir 100 Schulen für die Teilnahme erreichen können. Die Tatsache, dass es nun mehr als doppelt so viele geworden sind, zeigt, wie groß die Belastungen und der Druck in den Kollegien ist", so Laura. Ausgangspunkt für die Erstellung der Studie war die Entscheidung der rot-grünen Landesregierung, 2014 die versprochene Altersermäßigung von einer Unterrichtsstunde für Lehrkräfte über 55 Jahren zu streichen sowie gleichzeitig die Unterrichtsverpflichtung an Gymnasien um eine Stunde zu erhöhen. Die GEW steht seit der Ankündigung dieser Zusatzarbeit in Auseinandersetzungen mit der Regierung. Ziel der Studie ist nun eine exakte Erfassung der geleisteten Arbeit über ein ganzes Schuljahr hinweg. „Die gefühlte Belastung bei den Kolleginnen und Kollegen ist sehr hoch", berichtete Laura, „wir wollen nun durch eine wissenschaftliche Studie konkrete Zahlen erreichen". Es gehe dabei nicht nur um die Gymnasien, sondern um alle Schulformen. Die meisten Teilnehmer kommen aus Grund- und Gesamtschulen sowie Gymnasien. „Egal, wohin man schaut, neue Aufgaben wie die flächendeckende Umsetzung der Inklusion können die Lehrer nicht einfach so zusätzlich erledigen. Wir machen unsere Arbeit gerne, aber wir brauchen dazu gute Arbeitsbedingungen", erklärte Pooth. Die Studie endet mit den Osterferien 2016, die Ergebnisse werden zu den Sommerferien 2016 präsentiert.
Arbeitszeitmodell, Pflichtstundenmodell oder Präsenzmodell?
Die weitere Debatte drehte sich um die Frage, welche Perspektiven wir sehen. In einer inszenierten Debatte zwischen Arbeitszeitmodell, Pflichtstundenmodell und Präsenzmodell, wurden unter aktiver Mitarbeit der Anwesenden die Vor- und Nachteile der jeweiligen Modelle herausgearbeitet. Dabei wurde insbesondere darüber diskutiert, ob – und wenn ja, wie – die außerunterichtlichen Tätigkeiten erfasst und berechnet werden sollten. Anschließend wurde in einer Runde der GEW-Vorsitzenden von Berlin (Sigrid Baumgart), Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern (Anett Lindner), Niedersachsen und Schleswig-Holstein (Mathias Heidn) über Möglichkeiten einer bundesweiten Kampagne zur Reduzierung von LehrerInnen-Arbeitszeit diskutiert..
Länderübergreifende Kampagne zur Reduzierung von LehrerInnen-Arbeitszeit diskutiert
Im Schlusswort stellte Anja Bensinger-Stolze fest, dass eine Veränderung der Belastung der KollegInnen an den Schulen nicht automatisch mit einer Rückkehr zum Pflichtstundenmodell kommen würde, sondern es in erster Linie darauf ankomme, dass GEW und Beschäftigte deutlich machen, dass sie diese Mehrarbeit und Mehrbelastung nicht mehr hinnehmen. „Wenn wir dies im Verbund mit anderen Landesverbänden der GEW tun, können wir nicht gegeneinander ausgespielt werden, was der Hamburger Senator gerne in Gesprächen versucht“, so Anja. Ziel müsse sein, eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit herzustellen und dann in Verhandlungen mit der Behörde zu kommen, um konkrete Verbesserungen herzustellen. Hierfür war die Veranstaltung ein gelungener Auftakt.
Die Vorträge befinden sich teilweise im Anhang.
Bericht und Fotos: Fredrik Dehnerdt
Anhang | Größe |
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hans_voss_das_hamburger_azm.pdf | 991.65 KB |
bernd_winkelmann_17_04_15_arbeitszeitmodelle.pdf | 82.71 KB |