"Volks"-Begehren - Migrant_innen nicht vorgesehen

Magazin
Als sei es gestern gewesen

Höchst undemokratisch ist ein ‚Volks‘-Begehren, an dem ein nicht unbeträchtlicher Teil migrantischer Eltern nicht teilnehmen darf.

2010 schrieb ich bereits: „Zuletzt vermisse ich eine klare Stellungnahme zu dem höchst undemokratischen Moment, den uns das Bündnis ‚Wir wollen lernen‘ (WWL) beschert: Eltern von Kindern mit Migrationsbiografie sind in erheblichem Maße von der im Sommer anstehenden Entscheidung betroffen, dürfen dennoch keine Stimme abgeben! Was hat das bitte mit einem VOLKSentscheid zu tun?“

Damals schon forderten wir ein demokratischeres Wahlrecht. Und wieder steht uns ein ernüchternder Moment bevor: Wenige umso privilegiertere Menschen zwingen eine ganze Stadt in die Knie.

Vom versprochenen Schulfrieden keine Spur, von „Mehr Demokratie“ auch nicht.

Immerhin erbittet Senator Rabe die Meinung der Betroffenen, auch wenn Frau Kirsch dies kritisiert. Doch nach den erniedrigenden Kompromissangeboten am Politikertisch wirkt dieser vernünftige Schritt eher wie das letzte Zucken eines sterbenden Löwen. Unser Bildungssenator neigt bereits das Haupt in der großen Angst, die Geschichte der Hamburger Bildungspolitik könnte sich nach vier kurzen Jahren wiederholen und sein Stuhl mehr als unsicher werden.

Dabei hat uns die Elternkammer gezeigt, wie sich das demagogische Schloss der G9-Initiative durch sachliche Argumente in Luft auflösen lässt.

Die gesamte Schulbauplanung müsste neu konzipiert, die bereits laufenden Schulbauprojekte gestoppt werden, da aus dem Parallelangebot G8+G9 ein ganz anderer Raumbedarf resultieren würde.

Eine Verlängerung der Schulzeit auf den Gymnasien bei gleich bleibender Stundenzahl würde für die Schülerinnen und Schüler dieser Schulform zu einer drastischen Reduzierung der Wochenstundenzahl führen, so dass die Frage berechtigt ist: wie, wo und unter welcher Anleitung sollen sich Schüler_innen die für das Erlangen des Abiturabschlusses erforderlichen Lerninhalte aneignen?

Die zweite Säule des Hamburger Schulsystems – die Stadtteilschule – verlöre zusätzlich an Attraktivität, da sie, bereits jetzt mit allen erdenklichen Herausforderungen einer Großstadtschülerschaft belastet, keine Alternative für zurecht verunsicherte oder einfach ehrgeizige Eltern darstellt.

Wie gut, dass es die exzellent arbeitenden Elterngremien gibt. Vielen anderen Eltern geht einfach die Geduld aus. Sie sehen sich erneut ohnmächtig gegenüber einer Gruppe weniger Handlanger, die an das Insistieren nörgelnder Kinder erinnern: „Ich will aber. Hier und jetzt!“. Auf sie kann die Politik – die Experten! – leider nur mit vielen Worten und letztendlichem Kleinbeigeben antworten.

Diejenigen, die einst unter sich bleibend „lernen wollten“ – so der Name der Vorgängerinitiative –,sind offensichtlich nicht imstande, das Gesamtbild der Hamburger Bildungslandschaft (von Konzeption lässt sich nicht reden) zu betrachten. Stattdessen vertreten sie erneut ausschließlich die Interessen ihrer Elite und bestimmen entsprechend seit mindestens vier Jahren die Hamburger Bildungspolitik. Sie erzwingen Volksentscheide, an denen zahlreiche Wahlberechtigte ohne oder mit bereits erwachsenen Kindern teilnehmen werden.

Die wirklich Betroffenen dürfen nicht abstimmen (s. hoher Anteil migrantischer Eltern ohne deutschen Pass), müssen dabei zusehen, wie über sie entschieden wird.

Heute wie vor vier Jahren bleibt die Frage: Was hat das bitte mit Demokratie zu tun?

MARINA MANNARINI