Am "Fall" der Ida Ehre Schule zeigt sich beispielhaft die Strategie der AfD, die durch sie drohende Gefahr, aber auch die richtige Form der Gegenwehr
von Fredrik Dehnerdt, stellvertretender Vorsitzender GEW Hamburg
Was ist passiert?
Seit ihrem Einzug in die Bürgerschaft vor vier Jahren sieht die AfD die Grundsätze politischer Bildung an Schulen gefährdet und wittert stattdessen "politische Indoktrinationen", also die einseitige Beeinflussung der Schülerinnen und Schüler durch die Lehrkräfte. Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde dies vor einem halben Jahr, als die AfD ein Online-Portal freischaltete, das Schülerinnen und Schüler seitdem dazu aufruft, politisch engagierte bzw. AfD-kritische Lehrkräfte anonym zu melden, was Empörung, aber auch Verunsicherung bei den Lehrkräften in Hamburg auslöste. Große „Enthüllungen“ gab es seitdem nicht. Während der letzten vier Jahre hat die AfD eine hohe zweistellige Zahl von Anfragen (SKA) zu diesem Thema über die Bürgerschaft gestellt. Die dort vorgebrachten Vorwürfe wurden in der überwältigen Anzahl von der Schulbehörde zurückgewiesen – bisher…
In einer Anfrage vom 1.3.2019 kritisiert die AfD Aktivitäten an der Ida Ehre Schule und fragt unter dem Titel „Verfassungsfeindliche linksextremistische Aktivitäten an der Ida Ehre Schule unter Duldung des Lehrerkollegiums und der Schulleitung“, ob diese zulässig seien (DS 21/16417). In der Antwort, die bereits eine Woche später, am 8.3, vorliegt, stellt die Schulbehörde fest, dass es Schülerinnen und Schülern einerseits freistehe, ihre politischen Ansichten auch im Unterricht zu formulieren, dass jedoch politische Werbung an Schulen nicht zulässig sei. Daher habe die Behörde eine Begehung des Schulgebäudes vorgenommen und einige monierte Aufkleber entfernt. Zugleich kündigte die Behörde an, das betroffene Kollegium hiermit zu befassen.
Dieser Vorgang spielte sich in den Schulferien ab, so dass die betroffenen Kolleginnen und Kollegen, wie auch die Schülerinnen und Schüler überwiegend erst verspätet davon Kenntnis erlangen konnten. Eine Befassung des Kollegiums vor der Beantwortung der Anfrage hielt die Behörde nicht für nötig.
Die AfD nahm diese durchaus überraschende Antwort der Behörde gerne auf und erklärte kurz nach Schulbeginn am 19.3, dass sie ein „linksextremistisches Netzwerk an Stadtteilschule“ aufgedeckt hätte.
„Antifaschismus = Gewalt“? – Rechtspopulistische Positionen werden gesellschaftsfähig
Mit ihren Anfragen seit 2015 hatte es die AfD schwer, in die Presse zu kommen, was sich aus einer berechtigten Zurückhaltung der Medien bei diesem Thema erklärt. Denn es war und ist offensichtlich, dass die AfD ein falsches Verständnis politischer Bildung an Schule vertritt und es ihr darum geht, ihre rechtspopulistischen Ansichten bekannter zu machen. Dies änderte sich mit dem Online-Portal, doch auch hier war die Berichterstattung bis hin zu den konservativ-bürgerlichen Medien eher distanziert kritisch. In diesem Fall und begünstigt durch das Vorgehen der Schulbehörde titelte nun das Abendblatt am 19.3 „Linksextremisten agieren ungestört an Schule“, bezeichnete die Schülerinnen und Schüler als gewaltverherrlichend und die Lehrkräfte als entweder naiv, oder sie hielten „Extremismus für eine gute Sache“. Damit übernahm das Abendblatt die Rhetorik der AfD, ohne zu hinterfragen, ob die schweren Vorwürfe berechtigt sind und – wie sich hinterher herausstellte – ohne mit den Betroffenen zu reden. Einige Tage lang herrschte diese Diktion und schlug auf die Schule, die Lehrkräfte und die Schülerinnen und Schüler ein. Die Schulbehörde schwieg.
„Antifaschismus ist legitim auch an Schule!“ – Solidaritätswelle für die Ida Ehre Schule
Wenige Tage später, am 21.3, veröffentlichte die Schulleitung der Ida Ehre Schule eine bemerkenswerte Stellungnahme. In dieser gibt sie eine Chronologie der Ereignisse wieder, die eine durchaus andere Bewertung zulassen als die bisher vorherrschende. Zugleich geht sie auf die Anschuldigungen ein. Die monierte „Pinnwand“ war im Rahmen eines Projektvorhabens „Kunst als kulturelle Kompetenz“ entstanden und in einem geschützten Raum montiert gewesen, das angebliche Foto mit „politischer Werbung für eine gewaltverherrlichende Gruppe“ war im Rahmen eines von der Stadt ausgeschriebenen Wettbewerbs entstanden. In Richtung der Medien kritisiert die Schulleitung, dass diese fahrlässig die Diktion der AfD übernommen hätten, wo doch eine faktenbasierte Darstellung angezeigt gewesen wäre. Denn wer sich mit der Ida Ehre Schule beschäftige werde schnell feststellen, dass diese für ihr gesellschaftspolitisches Engagement und ihre aktive SchülerInnenschaft nicht nur bekannt, sondern auch mehrfach ausgezeichnet wurde. Völlig zu Recht verwahrt sich die Schulleitung daher dagegen, „dass im aktuellen Diskurs eine Verschiebung in die Richtung stattfindet, dass Antifaschismus an Schulen nicht gewünscht sei oder der freiheitlichen, demokratischen Grundordnung widerspreche. Im Gegenteil, ohne einen konsequenten Antifaschismus ist dies nicht möglich.“ Die Erklärung schließt mit der Bekräftigung der Schulleitung weiterhin „dazu beizutragen, Schüler*innen zu befähigen, die Geschicke der Welt als mündige Bürger*innen im Rahmen einer freiheitlichen, demokratischen Grundordnung zu einem Besseren zu entwickeln.“
Eine höchst erfreuliche Welle der Solidarisierung begann bereits kurz nach Bekanntwerden der Vorwürfe. Als GEW stellten wir unter dem Titel "Antifaschismus ist ein legitimes Aktivitätsfeld auch an Schule und darf nicht verkürzt als linksextrem denunziert werden" fest, dass antifaschistisches Engagement an Schulen gemäß Bildungsauftrag legitim und zulässig ist und von der GEW ausdrücklich begrüßt wird. „Eine verkürzte Gleichsetzung von antifaschistischem Engagement mit Linksextremismus lehnen wir als undifferenziert ab.“ Auch der DGB erklärte sich solidarisch mit der Ida Ehre und betonte, dass nicht Antifaschismus das Problem sei, sondern der Faschismus. In einer bemerkenswerten Pressemitteilung der Grünen Hamburg heißt es: „Aus Aufklebern an der Schule abzuleiten, hier dürfe ungestört extremistisches Gedankengut verbreitet werden, ist absurd und völlig überzogen. Im Gegenteil, durch die aktuelle Empörungswelle laufen wir Gefahr, uns von irgendeiner rechten Partei den Diskurs diktieren zu lassen und ihr Denunziationsportal gesellschaftsfähig zu machen.“ Besonders erfreulich waren und sind die vielfältigen Solidaritätsaktivitäten von anderen Schulen, Kollegien, Schülerinnen und Schülern, Eltern und verschiedenen antifaschistischen Gruppen. Wenige Tage nach Bekanntwerden des Vorfalls fand eine mit 3000 Teilnehmenden gut besuchte Solidaritätsdemo statt. Das Abendblatt, offenbar erstaunt über diese Wendung, änderte im Nachhinein die Überschrift ihres reißerischen Artikels.
Am 27.3 fand eine aktuelle Stunde zum Thema in der Hamburgischen Bürgerschaft statt, bei der sich die Parteien intensiv mit dem „Fall“ Ida Ehre beschäftigten. Und der Senator schwieg.
„Und die Lehre ist…“ – Aufklärung und Aktion, Solidarität und Bündnisarbeit
Am „Fall“ Ida Ehre zeigt sich, dass die Versuche der AfD, rechtspopulistisches Gedankengut gesellschaftsfähig zu machen, durchaus greifen, wenn auch wie im konkreten Fall erfreulicherweise nur für einige Tage. Hoch erfreulich ist die Reaktion, Solidarität und die differenzierte und sachliche Auseinandersetzung, die nun weitergeführt werden muss.
Noch immer schweigt die Schulbehörde, trotz weiter bestehender schwerster Vorwürfe von Seite der AfD gegenüber Lehrkräften und SchülerInnen. Warum sich die Behörde weigert, sich als Dienstherr vor die Lehrkräfte zu stellen und zugleich unwidersprochen die ihr zum Schutz Befohlenen als kriminell bezeichnen lässt, ist weiter offen.
Als GEW begrüßen wir die vielfältigen Soli-Aktivitäten für die Ida Ehre, das darüber hinaus gehende antifaschistische Engagement von Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern und Veranstaltungen wie z.B. an der Max Brauer Schule zu Rechtspopulismus am 9.4. Wir freuen uns über die mittlerweile gut 15 Offenen Briefe von Schulen, die sich kritisch zu den Versuchen der AfD äußern, Einfluss auf Unterricht zu nehmen. Als GEW bieten wir allen von AfD-Aktivitäten betroffenen Mitgliedern politische und juristische Unterstützung an. Wir arbeiten politisch dazu in unserer GEW-AG gegen Rechts und freuen uns über Aktive. Wir tauschen uns mit anderen gesellschaftlichen Bereichen aus, z.B. beim Kongress des AStA der Uni Hamburg zu „Perspektiven gegen Rechts“ am 12.4 oder auch mit Kultureinrichtungen wie Kampnagel am 17.4 zum Thema Rassismus an Schulen. Wir unterstützen die regelmäßigen Demos gegen rechte Hetze in Hamburg vom Hamburger Bündnis gegen Rechts wie in Kürze am 14.4. Wir planen mit BündnispartnerInnen im Herbst einen Kongress zum Thema Rechtspopulismus, um über die Gefahren durch die AfD aufmerksam zu machen. Wir müssen dafür sorgen, dass solch rechtspopulistisches Gedankengut, wie es sich im „Fall“ Ida Ehre zeigt, nicht gesellschaftsfähig wird.
Unter www.gew-hamburg.de/themen/aktionen-und-kampagnen/GEW-zur-bildungspolitik-der-afd-hamburg finden sich Artikel, Meldungen und Pressemitteilungen der GEW Hamburg zum Thema AfD-Meldeportal/Rechtspopulismus.
Verweise auf die zitierten und genannten Dokumente:
https://www.gew-hamburg.de/themen/bildungspolitik/die-bildungspolitik-der-afd-hamburg-teil-2
https://www.gew-hamburg.de/themen/bildungspolitik/haltung-zeigen-statt-zurueckhaltung-ueben
https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/vorgaenge/66068/1
https://www.idaehreschule.de/wp-content/uploads/Stellungnahme_der_Schulleitung_IES.pdf
https://hamburg.dgb.de/presse/++co++6b21760a-4c9d-11e9-a17e-52540088cada
https://www.gruene-hamburg.de/partei/absurde-debatte-ueber-aufkleber-an-der-schule/