Tarifrunde 2015 im Wissenschaftsbereich: In den jüngsten Tarifrunden gingen viele Kolleginnen und Kollegen, die an Hochschulen beschäftigt sind, auf die Straße. Sie wollen auch die aktuelle Runde nutzen, ihre Interessen deutlich zu artikulieren.
Landläufig wird oft gesagt, man müsse die Beschäftigung an Hochschulen und Forschungseinrichtungen endlich tariflich regeln. Das klingt nach einer radikalen Forderung und lässt aufhorchen. Diese Sprüche sind allerdings wenig zielführend, denn natürlich unterliegt die Mehrheit des wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Personals an den Fachhochschulen, Universitäten, Kunsthochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen Tarifverträgen. Die unter der Hoheit der Länder stehenden Hochschulen fallen – außer Hessen und Berlin – generell unter den Tarifvertrag der Länder (TV-L), an Bundeswehrhochschulen gilt der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD).
Die Forderungen der Gewerkschaften in der Tarifrunde 2015 für die im öffentlichen Dienst der Länder Beschäftigten gelten daher grundsätzlich auch für die Hochschulen. Es geht u. a. um 5,5 Prozent mehr Lohn und die Übernahme von jungen Menschen, die an den Hochschulen eine Ausbildung absolviert haben – ebenso um die Übertragung des Tarifergebnisses auf die Besoldung der Beamtinnen und Beamten. Selbst das L-EGO-Thema* greift im Tarifkampf an den Hochschulen: Nach wie vor werden Lehrkräfte für besondere Aufgaben an Fachhochschulen in der Regel selbst mit Hochschulabschluss zwei Vergütungsgruppen niedriger – in Entgeltgruppe (EG) 11 – eingruppiert als an Universitäten.
Institute ohne Tarifbindung
Komplizierter ist es tatsächlich bei den Forschungseinrichtungen, die nicht direkt dem Bund oder den Ländern zugeordnet sind. Die vielen Kolleginnen und Kollegen an Max-Planck-Instituten, Einrichtungen der Fraunhofer-Gesellschaft, von Helmholtz- und Leibniz-Gemeinschaft haben zwar in der Regel Arbeitsverträge, in denen verankert ist, dass der TV-L oder der TVöD für das individuelle Beschäftigungsverhältnis gilt. Die Einrichtungen unterliegen aber nicht der Tarifbindung. Damit sind ihre Beschäftigten zwar vom Ergebnis der jeweiligen Tarifrunde betroffen, vom Tarifkampf aber ausgeschlossen.
Zudem gibt es eine berechtigte Unzufriedenheit. Zwar ist der institutionelle Geltungsbereich der Tarifverträge des öffentlichen Dienstes klar geregelt, im personellen Geltungsbereich ist die Situation für große Beschäftigtengruppen dagegen völlig unbefriedigend: Die tarifvertragliche Regelung für Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer, wissenschaftliche, künstlerische und studentische Hilfskräfte sowie Lehrbeauftragte lautet kurioserweise, dass diese Gruppen nicht unter den TV-L bzw. TVöD fallen. Neben der generellen Aufhebung dieser Ausschlussklausel ist die dringlichste Forderung, endlich die Arbeitsbedingungen der sogenannten „Hilfskräfte“ zu tarifieren. Aber dieses Thema steht nicht auf der Tagesordnung der Tarifverhandlungen und unterliegt daher der sogenannten Friedenspflicht – darf also nicht Gegenstand von Arbeitskampfmaßnahmen sein. Das gilt beispielsweise auch für die wissenschaftsspezifischen Regelungen des § 40 TV-L.
Dies heißt jedoch nicht, dass darüber nicht geredet werden kann. Sieht eine der Tarifparteien die Notwendigkeit, eine Regelung zu ändern, bleibt es ihr unbenommen, diese auf den Verhandlungstisch zu legen. Das gilt auch für Themen, die beide Tarifparteien für nicht mehr zeitgemäß halten und bei denen sie Änderungsbedarf sehen.
In der aktuellen Debatte über das Fristvertragsunwesen, die nicht zuletzt durch das „Templiner Manifest“ der GEW angestoßen wurde, könnte dies etwa die Einführung einer Befristungs- oder Risikozulage beinhalten. Mittlerweile besteht Konsens darüber, dass zu kurze Befristungen der Arbeitsverträge des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals zu Qualitätseinschränkungen und demografischen Verwerfungen führen. Wenn sich die Hochschulrektorenkonferenz, der Wissenschaftsrat, die Bundestagsparteien und die Bundesbildungsministerin einig darüber sind, dass die Befristungs- und Teilzeitpraxis der Wissenschaft schadet, sollte auch der tarifvertragliche Weg zu vernünftigen Lösungen frei gemacht werden.
Deshalb fordert die GEW auch bei einer anstehenden Revision des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG), die Tarifsperre zu streichen und ausdrücklich das Verhandlungsmandat der Tarifparteien für alle Beschäftigungsbedingungen im Wissenschaftsbereich aufzunehmen. Die im „Templiner Manifest“ und „Herrschinger Kodex“ formulierten Forderungen bieten eine gute Basis und Anregungen für solche Regelungen.
Klärungsbedarf
Einige weitere Probleme erwachsen daraus, dass es zwischen dem TVöD und dem TV-L bei den speziell wissenschaftsbezogenen Regelungen Unterschiede gibt, wenn es um die Eingruppierung und damit die Bezahlung geht. Dies wirkt sich insbesondere dann aus, wenn Kolleginnen und Kollegen zwischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen wechseln. Außerdem gibt es keine ausreichenden Lösungen für die soziale Absicherung, wenn Beschäftigte zeitweise im Ausland arbeiten. Die Formulierungen im § 40 TV-L etwa zur Anerkennung von Promotionszeiten als „einschlägige Berufserfahrung“ oder die Frage, was „ausreichende Gelegenheit zu eigener wissenschaftlicher Arbeit“ bedeutet, bedürfen der einvernehmlichen Klärung.
Noch steht der „tarifpolitische Flickenteppich“ zwischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen einerseits und den verschiedenen Beschäftigtenkategorien andererseits nicht auf der Tagesordnung von Tarifverhandlungen. Die Probleme zu benennen, die Forderung nach Tarifierung der Beschäftigungsbedingungen aller im Wissenschaftsbetrieb Tätigen ist aber eine wichtige gewerkschaftliche Aufgabe.
Auch wenn die Tabellenentgelte im Zentrum der jetzigen Tarif- und Besoldungsrunde stehen, gibt diese zugleich Anlass und Gelegenheit, die Interessen der Kolleginnen und Kollegen an den Wissenschaftseinrichtungen deutlich zu artikulieren. Dafür, dass deren Forderungen auch durchgesetzt werden können, ist eine stärkere gewerkschaftliche Bindung notwendig. Hier gibt es gute Ansätze – seit Jahren gewinnt die GEW an den Hochschulen immer mehr Mitglieder. Wir sollten die Tarifrunde auch dazu nutzen, die Stimme der Beschäftigten an den Wissenschaftseinrichtungen hörbarer zu machen.
Hans-Dieter Klein,
Redaktionsleiter der Landeszeitung der GEW Sachsen-Anhalt
Dieser Artikel erschien in der E&W 2/2015
*Die rund 200 000 angestellten Lehrkräfte an Schulen haben keinen Tarifvertrag, der ihre Eingruppierung in die Entgeltgruppen des Tarifvertrags der Länder (TV-L) – und damit ihre Bezahlung – regelt.