Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zum Streikrecht für beamtete Lehrkräfte ist eine Niederlage. Jetzt wird die GEW das Urteil analysieren, um Anknüpfungspunkte für politische Forderungen zu finden. Die GEW ist von dem Urteil des EGMR enttäuscht, akzeptiert und respektiert dieses aber.
von Daniel Merbitz, GEW-Vorstandsmitglied Tarif- und Beamtenpolitik
Ich bin enttäuscht! Der EGMR hat das Streikverbot für beamtete Lehrkräfte in Deutschland am 14. Dezember 2023 bestätigt. Er folgte damit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2018. Ich bin enttäuscht, weil die bisherige Rechtsprechung des EGMR ein statusbezogenes Beamtenstreikverbot abgelehnt und nur ein Verbot für zulässig erklärt hatte, das sich auf die Funktion der Beamten beispielsweise bei der Polizei, dem Militär oder in der Justiz bezieht. Das Urteil ist somit eine Abkehr von den bisherigen Positionen des EGMR. Man kann mit Blick auf die juristische Begründung durchaus von einer 180-Grad-Wende sprechen.
Ich bin auch enttäuscht, weil damit die Chance einer Demokratisierung der Arbeitswelt an den Schulen vertan wurde. Es gibt nun keine Beteiligung der Statusgruppen Beamte und Angestellte am Arbeitskampf in Tarifrunden oder Abwehrkämpfen gegen Versuche, die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern. Die Lasten werden auch künftig die Tarifbeschäftigten allein tragen.
Wir müssen festhalten: Es ist uns nicht gelungen, auf dem juristischen Weg das den Beamtinnen und Beamten an Schulen und Hochschulen vorenthaltene Streikrecht durchzusetzen. Damit geht in der GEW auch ein generationenübergreifendes Projekt zu Ende: 1971 hatte der Gewerkschaftstag ein Streikrecht auch für die beamteten Kolleginnen und Kollegen gefordert. Erst im Jahr 2009 kam juristisch Bewegung in das schier aussichtslose Thema, als der EGMR das Beamtenstreikverbot in der Türkei kippte. Dies war der Ausgangspunkt für unsere Streikaufrufe für beamtete Lehrkräfte und den Gang durch die Instanzen. Mein besonderer und ausdrücklicher Dank gilt den Klägerinnen und Klägern, die fast anderthalb Jahrzehnte mit dem GEW-Rechtsschutz den Kampf gegen Disziplinarmaßnahmen und damit für ein Beamtenstreikrecht geführt haben.
Trotz der Niederlage vor dem EGMR müssen wir uns nicht verstecken: Die GEW hat alles versucht, um das Streikrecht juristisch durchzusetzen. Mehr geht auf dem Gerichtsweg nicht. Das zeigt auch die Ausdauer und den Willen unserer Gewerkschaft, sich für eine bessere Beteiligung und die Wahrung des Streikrechts einzusetzen. Darauf dürfen wir stolz sein. Nun werden wir das Urteil ganz genau analysieren. Es gibt Anknüpfungspunkte für politische Forderungen: So setzt die Begründung der Entscheidung etwa voraus, dass es eine faire und echte Beteiligung der Gewerkschaften bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen für Beamtinnen und Beamte geben muss.
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