Beim Hochschulaktionstag in Hamburg am 20.11.2023 hielt Michael von der Mittelbauinitiative Hamburg einen tollen Redebeitrag:
Die Mittelbauinitiative ist ein Zusammenschluss von Wissenschaftler*innen aller Hamburger Hochschulen und wir kämpfen gemeinsam gegen die prekären Arbeitsbedingungen im akademischen Mittelbau.
Wir sind heute hier, um für bessere Arbeitsbedingungen, gerechten Lohn und einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte zu streiken, aber auch, um die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft allgemein zu thematisieren. Dazu möchten wir zu den aktuellen Tarifverhandlungen etwas Kontext geben.
Eine der Realitäten, die unsere Arbeit und das System Wissenschaft formt, ist das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (kurz WissZeitVG): ein "Sonderbefristungsrecht" für die einen, "Berufsverbot" für die anderen.
Einer der wichtigsten Punkte des WissZeitVG besagt, dass Wissenschaftler*innen maximal 2 mal 6 Jahre befristet angestellt werden dürfen. Das bedeutet aber nicht, dass wir alle auf bequemen 6-Jahres-Verträgen arbeiten. Viele von uns haben deutlich kürzere Arbeitsverhältnisse; aufeinanderfolgende Halbjahresverträge sind eine Realität.
Von der ursprünglichen Intention des WissZeitVG, Wissenschaftler*innen vor Kettenverträgen zu schützen, ist wenig übriggeblieben. Heute wird dieser Irrsinn damit begründet, dass unbefristete Stellen im Mittelbau dazu führen würden, dass wir wissenschaftliche Stellen verstopfen würden, dass keine Innovation in der Wissenschaft passieren würde, und dass die Befristung ja unserer Ausbildung dienen würde. Tatsächlich werden auf diesem Wege Generationen von Wissenschaftler*innen in diesem System mit Kurzzeitverträgen verheizt und dann auf die Straße gesetzt.
Für Promovierende mag diese Befristungslogik in Teilen ja nachvollziehbar sein, danach wird es aber absurd. Menschen zwischen, im Alter von dreißig und vierzig Jahren, welche eine der längsten Ausbildungslaufbahnen in Deutschland durchlaufen haben, wird dann paternalistisch erzählt, sie wären immer noch nicht berufsfähig und dass sie „sich immer noch weiter qualifizieren müssten, damit sie weiterhin an den deutschen Hochschulen arbeiten können" - auf befristeten Stellen, versteht sich. Einer ideologischen Erzählung wie denn Wissenschaft zu funktionieren habe werden hier die Lebensläufe von Menschen geopfert, das wollen wir nicht länger hinnehmen!
2022 wurde das WissZeitVG im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung evaluiert. Und was kam dabei raus? Deutsche Hochschulen reizen das Sonderbefristungsrecht voll aus. Über 80% der Wissenschaftler*innen an deutschen Hochschulen sind befristet angestellt. Die durchschnittliche Dauer der Arbeitsverträge ist kürzer als 2 Jahre. Das heißt, statt der ursprünglich angeblich angestrebten Dauerbeschäftigung sorgt dieses Gesetz viel mehr für die Dauerbefristung von wissenschaftlichem Personal.
Für uns Beschäftigte ist das fatal. Denn wir Wissenschaftler*innen leiden dadurch unter ständiger Ungewissheit und Perspektivlosigkeit. Viele von uns wissen nicht, ob sie in einem halben Jahr noch einen Job haben und ob sie nicht vielleicht umziehen müssen, um doch noch weiter als Wissenschaftler*in arbeiten zu können. Wer in dieser Zeit eine Familie gründen will oder sich um kranke Angehörige kümmern muss, kann die wissenschaftliche Karriere eigentlich vergessen. Wir sehen was das Gesetz mit Frauen bzw. Menschen, die eine Familie anstreben, macht. Wir sehen die gläserne Decke, an die diese Menschen stoßen. Bedingungen, in der wir gute und kreative Forschung - und Lehre - leisten können, sehen anders aus. Aber genau das fordern wir ein!
Die Arbeitsbedingungen an den Hamburger Hochschulen sind seit Jahren Gegenstand von langwierigen Diskussionen und Verhandlungen zwischen dem Mittelbau und der Leitungen der Hamburger Hochschulen. Am 1. November haben die Hamburger Hochschulleitungen nun in ihrer sogenannten Hamburger Erklärung Vorschläge vorgestellt, wie aus ihrer Sicht die Arbeitsbedingungen des Mittelbaus an den Hamburger Hochschulen langfristig verbessert werden könnten.
Wir begrüßen, dass mit der Hamburger Erklärung eine explizite Anerkennung des Problems prekärer Beschäftigungsverhältnisse in der Wissenschaft erfolgt und der Wille zu einer Realisierung entsprechender Reformen klar artikuliert wird! Die dort vorgestellten Maßnahmen im Einzelnen sind aus unserer Sicht allerdings noch kritisch zu diskutieren - und zwar mit uns, dem Mittelbau!
Bei den ganzen Diskussionen um das WissZeitVG, die Hamburger Erklärung und unseren Löhnen, möchten wir aber auch mal den Blick auf eine grundlegende Frage werfen, damit wir uns nicht im Klein-Klein verlieren: Welches System "Wissenschaft" wollen bzw. brauchen wir? Ist das Lehrstuhlkonzept mit seinen patriarchalen Zügen ein Bild der Zukunft oder der Vergangenheit? Wann fangen wir an, mal was anders zu machen und Sachen auszuprobieren? Die Vorschläge sind doch schon auf dem Tisch, z.B. das Department-Model, u.a. vorgeschlagen von der Jungen Akademie, und die Personalmodelle, die durch das Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft vorgestellt wurden: Wir sagen: Die Zeit für Experimente ist gekommen! Wir sind es leid, am Status Quo herum zu operieren und mit seinen Zwängen zu ringen. Wir sagen allen Akteuren: Habt den Mut, Sachen auszuprobieren und es anders zu machen!
Und das bezieht sich nicht nur auf die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen, sondern auch auf unsere Kolleg*innen aus der Studierendenschaft und auch auf das Technische und Verwaltungspersonal. Wir sind solidarisch mit euch und dankbar für eure Unterstützung im Kampf für eine bessere Universität!
Die Situation von Studis und des Mittelbaus muss entprekarisiert werden. Deshalb fordern wir:
- Die Entfristung nach der Promotion.
- Eine Mindestvertragslaufzeit für Promotionsstellen von 4 Jahren mit einer Verlängerungsoption um weitere 2 Jahre.
- Volle Stellen für volle Arbeit!
- Für studentische Beschäftigung die Einführung einer Mindestvertragslaufzeit von 2 Jahren und einen Tarifvertrag.
- Den Ausbau des Mittelbaus als tragende Säule des Hochschulbetriebs und nicht als "Anhängsel" der jeweiligen Professuren.
- Dauerstellen für Daueraufgaben!
Vielen Dank!
Foto: GEW Hamburg