Die GEW weist auf die Stellungnahme von Schulbeschäftigten des Goethe-Gymnasium hin:
Sehr geehrter Herr Senator,
die letzten Wochen waren für alle Schüler*innen und Schulbeschäftigten eine große Belastung. Gerne gehen wir Lehrer*innen und Schulbeschäftigte unserem Beruf nach und arbeiten am besten und gerechtesten mit den Schüler*innen vor Ort in den Schulen. Aber: Die zunehmende Eskalation der Pandemie lässt ein „Weiter so“ nicht zu.
Lockdown verhindern, Gesundheit ernst nehmen
Es muss sofort gehandelt werden. Und das kann nicht eine weitere Ausdehnung der Maskenpflicht oder die Öffnung eines dritten Fensters zum Lüften bedeuten.
Ja, wir wollen einen vollständigen Lockdown verhindern:
- Wir haben eine Fürsorgepflicht in Richtung der Kinder und Jugendlichen, die zu Hause keine angemessenen Lernbedingungen haben.
- Wir müssen mit dem Schulbetrieb dafür sorgen, dass das gesellschaftliche Leben nicht völlig zusammenbricht und unnötig viele Menschen in finanzielle Notlagen kommen.
- Wir haben aber, und das muss Priorität haben, vor allem auch eine Fürsorgepflicht für die Gesundheit aller Schüler*innen, Schulbeschäftigten und ja, der gesamten Gesellschaft gegenüber. Wir müssen realisieren, dass das Virus nicht vor den Schultoren Halt macht (1, 2, 3, 4). Es gibt viele Schulbeteiligte, die entweder selbst zu Risikogruppen gehören oder aber entsprechende Personen zu Hause haben. Der Schutz auch dieser Menschen muss endlich angemessen berücksichtigt werden. Das haben alle Beteiligten verdient.
Vertrauensverlust durch Ihre Kommunikationspolitik
Wir möchten Ihnen einen konkreten Vorschlag nahelegen, aber zunächst möchten wir erläutern, wieso wir so enttäuscht von Ihrer Kommunikationspolitik sind. Diese ist in unseren Augen unehrlich, streng genommen gar unwissenschaftlich und beleidigend.
Warum unehrlich? Noch im August haben Sie öffentlich in einem Interview von einem Plan B und Plan C gesprochen, die u.a. eine umgehende Halbierung der Klassen ab einer Inzidenz von 50 vorsehen. (5) Auch das RKI empfiehlt dieses Vorgehen ausdrücklich. (6) Was sind Ihre Worte wert, wenn Sie sich keine 12 Wochen später nicht mehr daran erinnern können?
Warum unwissenschaftlich? Wenn selbst das RKI in 75% der Fälle nicht nachverfolgen kann, woher die Infektionen stammen, wie können Sie dann weiterhin behaupten, dass die Infektionen auf jeden Fall nicht in Schulen stattgefunden haben und die Schulen ein sicherer Ort seien? Dieser Behauptung, die zu keinem Zeitpunkt wissenschaftlicher Konsens war, wird zunehmend der Boden entzogen, da immer deutlicher wird, dass Jugendliche „ab zehn, zwölf Jahren, vermutlich die gleiche Rolle wie Erwachsene spielen.“ (7, 8) Die potenziellen Superspreading-Ereignisse finden also tagtäglich in den Schulen statt. Kommunizieren Sie ehrlich und gestehen Sie ein, dass offene Schulen – in welcher Form auch immer – ein ständiges Risiko sind, welches bewusst eingegangen wird.
Warum beleidigend? Sie bezeichnen es als ein Geschenk, das wir Lehrkräfte mit den offenen Schulen erhalten haben. (9) Lehrkräfte sind es gewohnt, dass ihre Arbeit häufig kritisch gesehen und selten wertgeschätzt wird.
Aber nun sollen wir auch noch dankbar sein, dass wir unsere Gesundheit dem hohen Infektionsrisiko aussetzen und damit ermöglichen, dass die Wirtschaft am Laufen gehalten wird? Ihre Aussagen sind an dieser Stelle Ohrfeigen für alle Schulbeschäftigte.
Wechselunterricht als Rettung des Präsenzbetriebes
Nach all der Kritik wollen wir nun aber auch konstruktiv nach vorne blicken. Was ist also unsere Forderung, um die drohende Vollkatastrophe in Schule und Gesellschaft abzuwenden?
Wir sind davon überzeugt, dass ein Wechselunterricht der aktuell richtige und notwendige Kompromiss zwischen Sicherheit und Lerngerechtigkeit ist, wohl wissend, dass er nicht die Quadratur des Kreises darstellt und neue schulstandortspezifische Herausforderungen entstehen werden.
Aber es kann durch die Halbierung von Klassen erreicht werden, dass die notwendigen Abstände zwischen den Schüler*innen eingehalten werden können. Auch die problematischen Phasen der Eingangssituation, Raumwechsel, Essensaufnahme sowie Pausenaufenthalte können so deutlich sicherer gestaltet werden. Zudem wollen wir allen Schüler*innen, die zu Hause keine angemessenen Lernbedingungen vorfinden, ermöglichen, immer am Unterricht vor Ort teilzunehmen. Auch dafür konnten wir mit Unterstützung der Behörde viele Schüler*innen mit einem Leihlaptop ausstatten. In den letzten Monaten ist viel Arbeit in den Aufbau digitaler Lernplattformen geflossen, so dass auch die Phasen des Lernens zu Hause strukturierter, zielführender und gerechter gestaltet werden können. Schließlich ist zu erwarten, dass durch den Wechselunterricht auch das Infektionsrisiko für die außerschulische Welt gesenkt wird, da eine deutlich reduzierte Kontaktzahl erreicht wird.
Lassen Sie es uns angehen!
Aktuell unterschrieben von 31 Schulbeschäftigten des Goethe-Gymnasium
1 https://www.tagesschau.de/investigativ/schulen-infektionen-corona-101.html
2 https://www.abendblatt.de/hamburg/article230883752/Ida-Ehre-Schule-56-Co...
3 https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/steigende-infektionen-in-s...
4 https://twitter.com/FrauStahlhut/status/1327652078278340611
5 https://www.elbe-wochenblatt.de/2020/08/04/schulsenator-rabe-es-gibt-ein...
6 https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Praevention...
7 https://www.ndr.de/nachrichten/info/sendungen/kommentare/Kommentar-Coron...
8 https://twitter.com/Karl_Lauterbach/status/1327577942206111744
9 https://twitter.com/GabiElenaDohm/status/1322167593231437825