In diesem Jahr hat sich die Kollegin Dorothea Kaufmann bereits zweimal in der hlz („Keine Zahlenspielerei“, hlz Juli/August 2019 und „Höchst individuelles Leid“, November 2019) mit dem Thema Arbeitszeit der Lehrkräfte in Hamburg kritisch auseinandergesetzt. Beide Artikel bringen die permanente Überlastung der Hamburger Lehrkräfte zum Ausdruck. In ihrem letzten Artikel hat sie am Beispiel der Gymnasialkolleg*innen versucht das Schönrechnen der BSB deutlich zu machen und anhand der Lehrerarbeitszeitverordnung (LAZVO) nachzuweisen. Dies ist keine einfache Sache. Das macht auch jedes Argumentieren sowohl in Richtung Behörde und Senat, aber auch gegenüber den Eltern und der Presse extrem schwierig. Wir geben aber nicht auf und werden das Thema Arbeitszeit der Lehrkräfte weiter thematisieren ‐ und wenn notwendig auch skandalisieren. Deshalb haben wir auch als Vorsitzende noch einmal versucht, das Thema möglichst einfach, für möglichst viele nachvollziehbar zu machen. Für dieses Vorhaben haben wir auch Anleihen bei unserem ehemaligen GPR‐Vorsitzenden und Arbeitszeitexperten Hans Voß genommen.
Entgegen allen Ankündigungen und Verlautbarungen der Hamburger Behörde für Schule und Berufsbildung und auch allen Artikeln in der Hamburger Presse, die versuchen die LAZVO zu erklären, muss festgehalten werden, dass die Arbeitszeit der Lehrkräfte in Hamburg höher als in allen anderen Bundesländern ist. Bei einem Vergleich mit anderen Bundesländern ist der grundlegende Unterschied, den die LAZVO beschreibt eine Festlegung der Wochenarbeitszeit von 46,57 WAZ (Wochenarbeitszeit) auf Grundlage der Jahresarbeitszeit (inklusive der Ferien usw.) und einer unterschiedlichen Faktorisierung nach Schulformen, Fächern und Schulstufen.
Wie kommt es immer wieder zu diesen Falschmeldungen, die etwas anderes behaupten und sogar davon sprechen, dass die Lehrerarbeitszeit in Hamburg besonders gerecht berechnet sei?
a) Um die andere Art der Berechnung der Hamburger LAZVO im Gegensatz zu den Pflichtstundenmodellen in den anderen Bundesländern zu erklären, wird auf die Grundformel verwiesen: Jede Lehrer*innenstelle bringt 75% Unterrichtsstunden, 10% für allgemeine Aufgaben (Konferenzen, Aufsichten usw.) und 15% Funktionszeiten (z.B. für Ganztagskoordination, Ausbildungsbetreuung, Fachkonferenzleitung, Klassenleitung usw.) mit an die Schule. Diese Zeiten bringt jede Lehrer*innenstelle an ihre Schule, aber das heißt nicht, dass sie selbst nicht mehr als 75% an Unterrichtszeit unterrichtet. Wenn sie selbst keine Funktion übernimmt, erhöht sich ihre Unterrichtszeit um genau diese 15%. Die allgemeinen Aufgaben bestehen aus teilbaren und unteilbaren Anteilen. Die unteilbaren Anteile werden – wie in der Tabelle unten zu sehen – unabhängig vom Stellenumfang an alle Lehrkräfte gleich verteilt. Daraus ergibt sich für die zu leistende Arbeitszeit folgendes Bild:
Arbeitszeit einer Vollzeitkolleg*in ohne Funktionszeit
|
Arbeitszeit |
Zeiten für Allgemeine Aufgaben |
Restzeit (Unterrichtszeit) |
Unterrichtzeit (in Prozent der Gesamtarbeitszeit) |
Grundschulen |
46,57 |
3,8 |
42,77 |
91,84 |
Gymnasien |
46,57 |
3,8 |
42,77 |
91,84 |
Stadtteilschulen |
46,57 |
4,5 |
42,07 |
90,34 |
Berufliche Schulen |
46,57 |
5 |
41,57 |
89,26 |
Spezielle Sonderschulen/ReBBZ |
46,57 |
3,8 |
42,77 |
91,84 |
durchschnittliche Unterrichtszeit: |
42,39 |
91,22 |
||
Behördenangabe (1) |
37,72 |
81 % |
b) Die Behörde unterstützt die falsche Lesart der LAZVO, indem sie davon ausgeht jede Lehrkraft habe auch individuell nicht mehr als 75% an Unterrichtsstunden zu leisten (siehe obige Tabelle) und meldet aufgrund dieser falschen Annahme auch keine korrekten Zahlen an die Kultusministerkonferenz (KMK). Die KMK erstellt zum Vergleich der Unterrichtszeiten der Lehrer*innenstelle eine Tabelle, in der die Hamburger LAZVO in das System eines Pflichtstundenmodells übertragen wird. Die oben errechneten Prozentzahlen an Unterricht müssen nach Schulform, Schulstufe und Fach für eine Umrechnung nach einem Pflichtstundenmodell weiter bearbeitet werden. Dazu benötigt man den jeweiligen Durchschnittswert der Faktorisierung in der jeweiligen Schulform.
|
Unterrichtzeit (in Prozent der Gesamtarbeitszeit) Durchschnittsfaktor |
Durchschnittliche Unterrichtsstunden in HH |
Vergleich mit Niedersachsen (2) |
|
Grundschulen |
91,84 |
1,35 |
31,68 |
28 |
Gymnasien |
91,84 |
1,56 |
27,41 |
23,5 |
Stadtteilschulen |
90,34 |
1,58 |
26,62 |
24,5 |
Berufliche Schulen |
89,26 |
1,5 |
27,71 |
24,5 |
Spezielle Sonderschulen/ReBBZ |
91,84 |
1,4 |
30,54 |
26,5 |
Da es eine Deckelung der Unterrichtsstunden in Hamburg auf 29 Stunden pro Woche gibt. Sind die Schulleitungen in der Grundschule und in den speziellen Sonderschulen/REBBZ angehalten, den Lehrkräften entsprechende Aufgaben und Funktionszeiten zu geben, damit sie nicht mehr als 29 Unterrichtsstunden pro Woche haben.
c) Jede Schule bekommt also über die einzelne Lehrer*innenstelle F‐Zeiten zugewiesen, mit denen bestimmte Aufgaben vergolten werden. Die zugewiesenen F‐Zeiten entsprechen nicht mehr den immer weiter ausgebauten Aufgaben von Lehrkräften und Schulleitungen. Auch die Schulleitungen müssen für ihre Aufgaben die benötigte Zeit aus dem Topf der F-Zeiten entnehmen. Die von der Behörde eingesetzte Behlerkommission kommt in ihrem Abschlussbericht 2008 bereits auf 42 weitere Aufgaben der Lehrkräfte und 40 weiteren Aufgaben für die Schulleitungen. Mittlerweile haben wir 2019 und es hat bisher kaum spürbare, eher marginale Entlastungen gegeben.
d) Der Vergleich mit Niedersachsen ist hier in der Tabelle bewusst gewählt, weil es dort eine Arbeitszeitstudie gegeben hat, die für alle und insbesondere für die Gymnasialkolleg*innen eine erhebliche Mehrarbeit nachweist. Wenn wir in Hamburg also davon ausgehen müssen, das alle Lehrkräfte über den Pflichtunterrichtsstunden in Niedersachsen liegen, dann ist die in Niedersachsen geforderte Absenkung der Pflichtstundenzahl erst recht für Hamburg angesagt.
Dies gilt ebenso für die Teilzeitbeschäftigten in Hamburg. Wenn z.B. eine Grundschullehrkraft eine Reduzierung auf 75% ihrer Arbeitszeit vornimmt, hat sie in Niedersachsen 21 Unterrichtsstunden und in Hamburg 23 Unterrichtsstunden (bei keiner zusätzlichen Funktion) zu unterrichten. In Hamburg haben wir einen sehr hohen Grad an Teilzeitbeschäftigten. Er liegt bei 55%. Dies müsste für die Behörde ein Alarmsignal sein. Viele Kolleg*innen reduzieren, um bei weniger Unterrichtsstunden, mehr Zeit für die Vorbereitung zu haben. Aus gewerkschaftlicher Sicht muss es aber auch bei einer vollen Stelle möglich sein, zufriedenstellend ‐ und den eigenen Ansprüchen genügend ‐ unterrichten zu können.
Insgesamt ist deshalb unsere bereits beschlossene Forderung nach zwei A‐Zeiten für alle Kolleg*innen mehr; die Zeit für Kommunikation und Kooperation ist bisher nicht in der LAZVO berücksichtigt. Außerdem wäre eine zusätzliche Zuweisung der F‐Zeiten für die Schulleitungen als weiteren Schritt in Richtung einer besseren Unterrichts‐ und Schulentwicklung wesentlich. All dies kann ein Anfang sein, damit die Kolleg*innen entlastet werden. Dabei darf es aber nicht bleiben. Wir fordern für Hamburg eine wissenschaftliche, unabhängige Untersuchung der tatsächlichen Arbeitszeit und Arbeitsbelastung von Lehrkräften. Von der Hamburger Politik erwarten wir als GEW, dass dies Niederschlag in den Wahlprogrammen der Parteien und in dem kommenden Regierungsprogramm bzw. der nächsten Koalitionsvereinbarung findet. Daran werden wir die Parteien messen.
Anja Bensinger-Stolze
(1) http://www.kmk.org/fileadmin/pdf/Statistik/Pflichtstunden_der_Lehrer_201...
(2) Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland: Übersicht über die Pflichtstunden der Lehrkräfte an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen | Ermäßigungen für bestimmte Altersgruppen der Voll‐ bzw. Teilzeitlehrkräfte | Besondere Arbeitszeitmodelle | Schuljahr 2017/2018 | Stand: September 2017