Eine sehr ungewöhnliche schulpolitische Wahlkampfdiskussion erlebten mehr als 80 interessierte Gäste am Dienstagabend im Veranstaltungsraum der GLS Bank über den Dächern von Hamburg. Die Debatte wurde nicht durch übliche Wahlkampffloskeln und das Vorlesen der Wahlprogramme bestimmt, sondern durch echten Dialog, das Eingestehen von Unsicherheiten und der Bereitschaft, die Debatte ernsthaft fortzusetzen und zu institutionalisieren.
Das Bündnis „Mehr Zukunft in der Schule“, in dem - erstmals in Hamburg - Schulleitungsverbände, Gewerkschaften, andere schulpolitische Verbände sowie Eltern-, SchülerInnen- und Lehrerkammer zusammenarbeiten, ist im Herbst 2019 mit seinen zentralen Forderungen „Mehr Dialog, mehr Verantwortung, mehr Zeit“ an die Öffentlichkeit getreten.
Diese Forderungen waren Diskussionsthema:
Zum Thema “Mehr Dialog“ führt Christian Gefert, Vorsitzender der Vereinigung der Leitungen Hamburger Gymnasien und Studienseminare (VLHGS) aus: „Das Bündnis erwartet eine Gesetzesinitiative der Parteien in der Bürgerschaft zur Einrichtung eines Bildungsrats Schule für Hamburg und dessen gesetzliche Verankerung. Das Ziel dabei ist es, die Expertinnen und Experten aus Schulen direkt und stärker als bisher in den Dialog mit den schulpolitischen Akteurinnen und Akteuren einzubeziehen. Ein Gremium, das dafür alle an einen Tisch bringt, gibt es in Hamburg noch nicht.“
Die Forderung nach einem Bildungsrat fand bei Birgit Stöver (CDU), Olaf Duge (GRÜNE), Sabine Boeddinghaus (LINKE) und Daniel Oetzel (FDP) einhellige Zustimmung. Birgit Stöver betonte, dass die BildungspolitikerInnen für eine systematische schulpolitische Arbeit auf die Expertise der schulischen Akteure aus dem Bündnis richtiggehend angewiesen seien. Olaf Duge berichtete von positiven Erfahrungen zum Beispiel mit dem Denkmalrat und regte an, dass ein Bildungsrat in enger Abstimmung mit dem Parlament anzusiedeln und auch mit Ressourcen auszustatten sei. Daniel Oetzel wies auf die Wichtigkeit der Unabhängigkeit eines Bildungsrats hin und berichtete auch von positiven Erfahrungen der „Zukunftskommission Sport“. Sabine Boeddinghaus schlug konkret vor, dass das Bündnis zu Beginn der neuen Legislatur einen Workshop mit BildungspolitikerInnen der Bürgerschaft durchführt, um die weitere Ausgestaltung und Implementierung des Bildungsrats auf den Weg zu bringen. Diese Anregung wurde von den anderen PolitikerInnen geteilt und wird vom Bündnis aufgegriffen. Hier soll natürlich auch die SPD Fraktion einbezogen werden, die die zugesagte Teilnahme an der gestrigen Veranstaltung aus Krankheitsgründen leider kurzfristig absagen musste.
„Wir fordern die Politik auf“, so Mathias Morgenroth-Marwedel, Sprecher der Vereinigung der SchulleiterInnen der Hamburger Stadtteilschulen in der GGG zum Thema „Mehr Verantwortung“, „kurzatmige Vorgaben oder pauschale Vorschriften für alle Schulen zu vermeiden. Vielmehr brauchen Schulen eine Steuerung, die Entwicklungsanreize schafft und sie durch behördliches Handeln unterstützt.“
Auch hier stimmten die BildungspolitikerInnen grundsätzlich der Forderung des Bündnisses zu. Unterschiedliche Auffassungen gab es aber dazu, wie eng die politischen und behördlichen Rahmensetzungen gesteckt sein und wie groß die Freiräume für die Schulen sein sollen. Einigkeit bestand darin, dass die Schulbehörde die Schulen stärker kommunikativ begleiten müsse und dass dieser Aspekt gegenüber der reinen Kontrolle von Schulen gestärkt werden müsse. Helge Pepperling, Vorsitzender dlh (die Lehrergewerkschaften Hamburg), sagte, selbstverantwortete Schule könne nicht heißen, den Mangel selbst verantworten zu müssen. Das Thema „mehr Verantwortung“ soll weiter im zukünftigen Bildungsrat diskutiert werden.
Anja Bensinger-Stolze, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW Hamburg), kommentiert das Thema „Mehr Zeit“: „In der Komplexität der gesellschaftlichen Veränderungsprozesse brauchen wir eine wesentlich engere Zusammenarbeit zwischen Schule, Eltern, Expertinnen und Experten in der Schule und im schulischen Umfeld. Lehrkräfte, pädagogisches Personal und Schulleitungen müssen vor Ort auf diese Herausforderungen reagieren können. Es bedarf deshalb einer deutlichen Erhöhung des Zeitkontingents von Pädagoginnen und Pädagogen sowie Schulleitungen für Kommunikation und Kooperation!“
Auch diese Forderung stieß bei den BildungspolitikerInnen auf Zustimmung. Olaf Duge (GRÜNE) berichtete aus eigener Lehrertätigkeit, dass die Aufgaben in den letzten Jahren deutlich zugenommen hätten und forderte eine Überarbeitung des Lehrerarbeitszeitmodells. Dem schloss sich auch Daniel Oetzel (FDP) an. Er regte an, den Schulen zusätzliche Verwaltungsressourcen zuzuweisen, mit denen sie selbst entscheiden könnten, ob sie eine Verwaltungsleitung einstellen oder die Sekretariatsarbeitszeit aufstocken wollten. Überhaupt sei das Thema Entlastung der PädagogInnen durch Übernahme von Verwaltungstätigkeiten durch andere Berufsgruppen noch lange nicht ausgeschöpft, so Birgit Stöver (CDU). So könnten die Organisation von Klassenreisen auch regional oder zentral durch Verwaltungskräfte geleistet werden. Sie forderte zusätzlich mehr Zeit für Kooperation und Unterrichtsentwicklung für die PädagogInnen. Sabine Boeddinghaus (Linke) forderte eine Höchstgrenze von 20 Unterrichtsstunden bei einer Vollzeitstelle. Sie will die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte gemeinsam mit diesen und auch mit den SchülerInnen evaluieren und daraus konkret Verbesserungen entwickeln.
Im Namen des Bündnisses dankte Antje Müller (Elternkammer) den PolitikerInnen und dem Publikum für die engagierte und offene Diskussion und kündigte an, dass das Bündnis direkt nach der Wahl auf die BildungspolitikerInnen der Bürgerschaft zugehen und bei der Umsetzung der drei Kernforderungen mit ihnen die Zusammenarbeit fortsetzen und vertiefen wolle.
Kontakt für das Bündnis „Mehr Zukunft in der Schule“:
Christian Gefert, vlhgs@gefert.de , Tel. 0170 - 514 17 57
Mathias Morgenroth-Marwedel, morgenroth-marwedel@gmx.de , Tel. 0173 - 610 69 88
Anja Bensinger-Stolze, bensinger-Stolze@gew-hamburg.de, Tel. 0151 – 121 73 830
www.zukuftschule.hamburg
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Hintergrund: Forderungspapier des Bündnisses (https://zukunftschule.hamburg/wp-content/uploads/2020/02/Mehr-Zukunft-Jan-2020.pdf)
Im Bündnis arbeiten folgende Organisationen zusammen:
- Vereinigung der Leitungen der Hamburger Gymnasien und Studienseminare
- Verband Hamburger Schulleitungen
- Vereinigung der Schulleiterinnen und Schulleiter an beruflichen Schulen in Hamburg e.V.
- Vereinigung der Schulleiter/innen der Hamburger Stadtteilschulen in der GGG
- GGG Hamburg – Gemeinnützige Gesellschaft Gesamtschule
- Elternkammer Hamburg
- Lehrerkammer Hamburg
- SchülerInnenkammer Hamburg
- GEW Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Hamburg
- dlh - die Lehrergewerkschaften Hamburg
- Verband Integration an Hamburger Schulen e.V.
- Grundschulverband Hamburg