Nach der Umstellung des Ganztags auf die Eintourigkeit (Kernzeit 8.00 -15.00 Uhr), und nun 30 Monaten Schule unter Coronabedingungen, verschärfen sich die Lern- und Arbeitsbedingungen an Sonderschulen weiter. Die ohnehin durch viele Sparmaßnahmen – wie Lehrerarbeitszeitverordnung (LAZVO), Selbstverwaltete Schule (SVS), der Streichung der Sprachförderung, die unverbindliche Stundentafel, Frequenzen wie vor 30 Jahren (alle anderen Schulformen hatten Senkungen) – mangelhaft ausgestatteten Sonderschulen werden durch den Ganztag weiter belastet. Trotz deutlich veränderter und gewachsener Aufgaben in allen Bereichen gibt und gab es für den Ganztagsbetrieb keine zusätzlichen Ressourcen. Erneut zeigt sich das Dilemma von ständig wachsenden Anforderungen und Verantwortlichkeiten an die Einzelschule und der mangelnden Ausstattung aller Formate des Ganztages.
„Die Sonntagsreden der Behörde von einem ‚Guten Ganztag‘ gaukeln etwas vor, was es schon lange nicht mehr gibt! Die Unterfinanzierung der Sonderschulen gefährdet schon lange ihren Auftrag, die Gesundheit ihrer Beschäftigten und die umfassende und nachhaltige Förderung der Schülerinnen und Schüler“, kritisieren Sven Quiring, Vorsitzender und Bodo Haß, Stellvertretender Vorsitzender der GEW Hamburg.
Nachdem über den Herbst sehr viele Alarmrufe aus den Sonderschulen in der GEW ankamen, wurde auf einem gut besuchtem Treffen vereinbart, dass die Beschäftigten die bedrückende Situation an ihrem Arbeitsplatz dokumentieren und anonym zur Verfügung stellen. Gleichzeitig informierte die GEW Hamburg die Behördenspitze in einem Gespräch über die Notlage an den Sonderschulen.
Die Rückmeldungen lassen wenig Zweifel daran, dass der Schuh drückt:
„In diesem Schuljahr wird der Personalmangel an unserer Schule besonders deutlich. Es fehlen Lehrkräfte, Erzieher*innen und FSJler*innen. Aus Personalmangel sind verschiedenste Zeiten in sämtlichen Klassen während des Schultages regelhaft mit nur einer Person besetzt. Dies führt dazu, dass lediglich eine Person für 8 bis 12 Schülerinnen und Schüler verantwortlich ist. Dies ist bei Schüler*innen mit dem Förderbedarf geistige Entwicklung, wie ihn alle unsere Schüler*innen haben, untragbar und führt zu inakzeptablen und gefährlichen Situationen. Eine Pflege von Schüler*innen, die Unterstützung beim Toilettengang benötigen oder Windeln gewechselt bekommen, ist in diesen Zeiträumen nicht möglich, da die Klasse sonst unbeaufsichtigt wäre. Das bedeutet, dass Schüler*innen über Stunden in ihrem Kot sitzen gelassen werden müssen oder eingenässte Kleidung nicht gewechselt werden kann. Dies ist schlicht menschenunwürdig!“
„Da unsere Schule als Ganztagsschule von 8 bis 15 Uhr dauert, finden auch Frühstück und Mittagessen während der Schulzeit statt. In diesen Essensituationen muss einzelnen Schüler*innen Essen angereicht werden. Gleichzeitig die restliche Klasse zu versorgen, zu beaufsichtigen, anzuleiten o. Ä. ist alleine kaum möglich. So muss etwa in einer Klasse zwei Schüler*innen Essen angereicht werden. Dort kommt die Mutter jeden Tag in die Schule, da sonst eine angemessene Versorgung mit Nahrung nicht möglich wäre.“
„In jeder Klasse gibt es Schüler*innen, die regelmäßig epileptische Anfälle bekommen. Normalerweise sind bei Auftreten eines Anfalls drei Personen in der Klasse notwendig: eine Person, die sich um das betreffende Kind kümmert und ggf. das Notfallmedikament verabreicht, eine Person, die die Klasse beaufsichtigt und eine Person, die ggf. Eltern und/oder Krankenwagen etc. informiert. Bei lediglich einer Person in der Klasse kann in so einem Fall nicht fachgerecht und angemessen gehandelt werden.“
„An unserer Schulform gibt es eine erhebliche Anzahl an Schüler*innen, die über ein verringertes oder kein Gefahrenbewusstsein verfügen. Schüler*innen, die weglaufen oder erkunden, können alleine nicht im Blick behalten werden und geraten ggf. in gefährliche Situationen. Dies betrifft auch die Wege vom und zum Schulbus und die Pausenzeiten, in denen Aufsichten nicht ausreichend abgedeckt sind und somit die Sicherheit der Schüler*innen nicht gewährleistet werden kann. Trotz höchster Aufmerksamkeit der Kolleginnen und Kollegen sind in dieser Woche mehrere Kinder in den öffentlichen Straßenverkehr gelangt und es wurde Personal zur Suche der Aufsicht entzogen. Das ist unhaltbar und gefährlich.“
„Verschärft wird die Situation durch den massiven Mangel an FSJler*innen und Schulbegleiter*innen (F3-Kräfte). Eine Vielzahl von Schüler*innen mit Bewilligungen für FSJler*innen oder Schulbegleitungen sind unversorgt. Die FSJler*innen, die es an unserer Schule gibt, müssen geteilt werden. Dabei bleibt festzuhalten, dass FSJler*innen als arbeitsmarktneutral gelten. Sie sind Freiwillige, die keine Fachkräfte ersetzen können. Sie sind zusätzlich in der Klasse einzusetzen, nicht anstelle von Fachkräften. Auch Aufsichtspflichten können nicht an sie abgegeben werden. Wobei sie unterstützen können, sind beispielsweise Pflegetätigkeiten und Unterstützung von Schüler*innen im Unterricht. Eine fachgerechte Einarbeitung in Pflege o. Ä. ist aufgrund des Personalmangels jedoch kaum möglich.“
Vor diesem Hintergrund fordert die GEW:
- Keine neuen Aufgaben, keine Mehrarbeit und Arbeitsverdichtung für die Beschäftigten, keine Unterrichtsstundenerhöhungen und Wegfall von Pausenzeiten und Entlastungen.
- Zusätzliche Stellen und Einstellungen zur Kompensation aufgrund des Ausfalls von Beschäftigten sowie eine Aufstockung der Haushaltsmittel für jede Schule. Die Schulen müssen wieder die Möglichkeit bekommen, ihre Kolleg*innen die Arbeit machen zu lassen, für die sie eigentlich eingeplant sind.
In Hinblick auf eine endlich angemessene Anpassung der Sonderschulen an die sich ständig verändernden Aufgaben, eine sehr differenziert zu fördernde Schüler*innenschaft und den verbindlichen Ganztag fordern die GEW weiterhin mit Nachdruck:
- Eine Senkung der Klassenfrequenzen wie sie in allen anderen Schulformen stattgefunden hat.
- Eine personelle Ausstattung, die eine Doppelbesetzung (Lehrkraft, Erziehungskraft) im Ganztag auch ermöglicht und die therapeutische Versorgung gewährt. An allen Schulen fehlen die Lehrerstunden dafür.
- Eine Gleichbehandlung schwerstbehinderter Schüler*innen bei der individuellen Zuweisung von Lehrerstunden. Die im Vergleich zu allen anderen Schülern deutlich schlechtere Zuweisung ist mit dem Bildungsanspruch gerade auch dieser Schülerschaft schon lange nicht mehr haltbar.
- Stellenzuweisungen an jede Sonderschule für Pflegefachkräfte, die nicht nur in Coronazeiten dringend benötigt werden. In anderen Bundesländern ist dies längst möglich.
- Wieder Zuweisung der Sprachförderstunden an allen Sonderschulen analog der Stundenzuweisung in allen anderen Schulformen.
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