Nachdem über den Herbst sehr viele Alarmrufe aus den Sonderschulen in der GEW ankamen, wurde auf einem gut besuchtem Treffen mit vereinbart, dass die Beschäftigten die bedrückende Situation an ihrem Arbeitsplatz dokumentieren und anonym zur Verfügung stellen. Gleichzeitig informierte die GEW-Hamburg die Behördenspitze in einem Gespräch über die Notlage an den Sonderschulen. Die Rückmeldungen lassen wenig Zweifel daran, dass der Schuh drückt:
Fallbeispiel
Schüler 1 ist 10 Jahre alt. Er ist geistig stark beeinträchtigt und lernt in einer Klasse mit 10 Schülerinnen und Schülern. Alle Kinder der Klasse benötigen durchgehende Aufsicht, da sie sehr impulsiv handeln, ohne die Folgen ihres Tuns für sich und andere zu überblicken. Für mehrere Schüler der Klasse wurde durch die Bildungsbehörde eine Unterstützungsperson (FsJ) bewilligt. Keiner dieser Schüler hat bis heute eine solche Person zur Verfügung. Im September kommt es zu folgendem Vorfall:
Die Lehrkraft der Klasse ist mit der Gruppe allein, da die Erziehungskraft krank ist. Eine Vertretung kann aus Personalmangel nicht organisiert werden. In der Klasse kommt es zu einem körperlichen Konflikt zwischen zwei Kindern. Dieser eskaliert so weit, dass die Lehrkraft die Kämpfenden trennen muss, um Verletzungen zu verhindern. Dies geht nur dadurch, dass der Erwachsene mit einem der prügelnden Kinder in den Vorraum der Klasse geht. Dort gelingt es auch, das völlig aufgelöste Kind zu beruhigen. Zwischenzeitlich versucht die Lehrkraft die Gruppe durch die offene Tür im Blick zu behalten. Dies gelingt jedoch nur zum Teil.
Schüler 1 entzieht sich der Stresssituation, indem er in den Küchenraum ausweicht. Dort öffnet er ein Fenster steigt auf das Fensterbrett, um in den Garten zu schauen. Das Fenster befindet sich in sechs Meter Höhe. Schüler 1 wurde von der Lehrkraft unbeschadet aus der Situation geholt.
Fallbeispiel
Schüler 2 ist 10 Jahre alt. Er ist geistig stark beeinträchtigt und lernt in einer Klasse mit 10 Schülerinnen und Schülern. Alle Kinder der Klasse benötigen durchgehende Aufsicht, da sie sehr impulsiv handeln, ohne die Folgen ihres Tuns für sich und andere zu überblicken. Für mehrere Schüler der Klasse wurde durch die Bildungsbehörde eine Unterstützungsperson (FsJ) bewilligt. Keiner dieser Schüler hat bis heute eine solche Person zur Verfügung.
Schüler 2 übt derzeit, selbstständig auf die Toilette zu gehen. Wenn ihm dies erfolgreich gelingt, strahlt er. Er berichtet seinen Mitschülern voller Stolz davon. Diese loben ihn und freuen sich mit ihm. Schüler 2 ist dann glücklich. Wiederholt kam es zu folgender Situation:
Die Lehrkraft der Klasse ist mit der Gruppe allein, da die Erziehungskraft krank ist. Eine Vertretung kann aus Personalmangel nicht organisiert werden. Schüler 2 signalisiert, dass er auf die Toilette möchte. Es gelingt nicht, eine Aufsichtsperson zu organisieren. Schüler 2 muss warten und uriniert in die Schutzhose. Diese läuft aus. Schüler 2 steht laut weinend in der Klasse und versucht, sich die nasse Hose herunterzureißen.
Fallbeispiel Lehrkraft
Wiederholt gerät die Lehrkraft in Situationen, in denen sie ihre Aufsichtspflicht nur noch erfüllen kann, indem sie physische und psychische Verletzungen der anvertrauten Schülerinnen und Schüler in Kauf nimmt. So müsste sie, gemäß Vorschrift, körperliche Auseinandersetzungen zulassen, wenn sie diese nur beenden kann, indem sie die Gruppe ungenügend beaufsichtigt. Die seelische Not eines Schülers muss sie hinter die Aufsichtspflicht stellen. Dies alles wiederholt sich seit Jahren. Psychisch ist das eine massive Belastung für die Lehrkraft, es wachsen Resignation und Zorn.