Ein Kamingespräch mit Feuerzangenbowle über individualisiertes Lernen

02. Februar 2012Von: WebredaktionThema: Schule

Man stelle sich vor: Heinz Rühmann in knabenhafter Montur umringt von seinen ausschließlich männlichen Mitschülern sitzt brav in seiner Bankreihe. Dreißig Augenpaare sind auf den Lehrer Prof. Crey gerichtet, der einen langatmigen Vortrag über chemische Vorgänge hält. Ist das spannend? Ja, vielleicht. Ist das individualisiertes Lernen? Nein, sicher nicht.

Nun stelle man sich vor: Prof. Crey beendet seinen Vortrag mit den Worten: „So, meine Herren, genug des Inputs. Nehmen Sie bitte ihre Wochenpläne hervor. Entscheiden sie sich für eines der angegeben Themen, suchen sie sich einen Lernpartner. Ich stehe ihnen bei Fragen zur Verfügung.“ Die Vorstellung scheint weit hergeholt und wenig realistisch. Aber warum eigentlich?

Aus Perspektive von Prof. Crey ließe sich bezweifeln, dass ihm die nötigen Ressourcen zur Verfügung stehen, in einem engen Klassenraum mit dreißig Schülern individualisiert zu arbeiten. Nötig wären beispielsweise Wochenpläne mit problemorientierten Materialen, individuelle Lernziele und individuelle Lernstandsüberprüfungen. Darauf hat ihn sein Studium nicht vorbereitet, eine Qualifizierung der Lehrkräfte wäre somit Voraussetzung.

Aus Perspektive der Schüler ließe sich bezweifeln, dass sie von einen Tag auf den anderen die nötigen Kompetenzen des selbstgesteuerten Lernens besitzen, um in individuellen Lernsettings erfolgreich zu arbeiten. Zu vermuten wäre, dass die Leistungsstärkeren profitieren und die Leistungsschwächeren abgehängt werden. Von Bildungsgleichheit ließe sich dabei also nicht sprechen.

Diese kurze Einleitung macht deutlich: Individualisierung – derzeit ein pädagogisches Modewort – ist eine Herausforderung für Lehrkräfte und Lernende gleichermaßen. Worin genau diese Herausforderung besteht, das diskutierten am 20. Januar bei einem kritischen Kamingespräch interessierte Kolleginnen und Kollegen im Curio-Haus. Mit viel Zeit, in netter Atmosphäre kamen wir zu dem Ergebnis:

Individualisiertes Lernen birgt viele Potenziale, aber

  •  Lehrerinnen und Lehrer müssen vor Überforderung geschützt werden, hier hat die GEW eine große Aufgabe vor sich
  •  Ressourcen sind nötig, die im Lehrerarbeitszeitmodell nicht vorgesehen sind
  • die emanzipatorischen Chancen der Individualisierung dürfen von nicht neoliberalen Wirtschaftsinteressen ausgenutzt werden
  • das soziale Lernen in der Gemeinschaft ist ebenso wichtig, wie die individuelle Förderung jedes Einzelnen
  • nur ein inklusives Schulsystem ohne selektierende Maßnahmen bietet allen Lernenden die gleichen individuellen Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe

Damit sind nur einige wenige Punkte angesprochen, die wir angeregt diskutiert haben. Spannend war insbesondere die Vielzahl an Perspektiven: Kolleginnen und Kollegen aus den Gymnasien, den Berufsschulen, den Stadtteilschulen und aus der Grundschule tauschten sich über ihre Erfahrungen aus.

Unser Fazit: Das nächste Kamingespräch kann ab sofort geplant werden. Werfen wir doch einen kritischen Blick auf Themen wie Inklusion oder Ganztagsbildung. Du hast andere Ideen? Wunderbar, gehen wir es gemeinsam an.

Melde Dich unter info@gew-hamburg.de, Stichwort, „Kamingespräche“

Doris Wittek, Bernd Viet, Heinrich Tönjes, Sigrid Strauß