Kaum ist die Gesundheitssenatorin nicht mehr an Bord, wird der Gesundheitsschutz der Kita-Beschäftigten aufgegeben. Zuständig ist zukünftig die Sozialsenatorin, die sich aus nicht nachvollziehbaren Gründen von dem Kita-Öffnungskonzept des Bundesministerium entfernt, dass sie selber mitverantwortlich erarbeitet hatte. Ein ausgewogenes Konzept, dass ab dem 30. April in Kraft trat und in der Hamburger Umsetzung vorsah in Drei-Wochen-Schritten, die Kitas bis Ende der Hamburger Schulferien wieder in den Regelbetrieb zu führen. Am 29. Juni sollten, als vorletzter Schritt, die jüngsten Elementarkinder (ab 3 Jahren) in die Kitas kommen und nach frühestens weiteren drei Wochen alle Krippenkinder (0-3 Jahre).
Ein Drei-Wochen-Rhythmus, der den Kita-Trägern und -Beschäftigten, ausreichend Zeit zur Verfügung stellte, um für den jeweils nächsten Schritt entsprechende Schutzkonzepte aufzustellen und der gestiegen Kinderzahl angemessen nach zu justieren.
Einigkeit besteht darüber, dass der Erfolg der stetig fallenden Zahl an Neuinfektionen, mit der schnell erfolgten Schließung von Schulen und Kitas zusammenhängt, (Wirksamkeitsstudie der Uni Göttingen vom 18.05.2020). Einigkeit bestand auch darin, bei sinkenden Infektionszahlen Schulen und Kitas langsam wieder zu öffnen. Vergangenen Lockerungswettbewerben zwischen den Bundesländern hatte der Hamburger Senat unter Führung des ersten Bürgermeisters, der als Mediziner ein fundiertes Wissen über Pandemieverläufe hat, noch widerstanden.
Nun scheint die Sozialsenatorin, deren Aufgaben um das Gesundheitsressort erweitert wurden, dem Druck der Nachbarländer zu erliegen und lässt alle Vorsicht fallen, in dem sie die ab 3 Jahre alten Elementarkinder elf Tage früher, ab dem 18. Juni in die Kitas holt und zeitgleich auch alle Krippenkinder, die ursprünglich erst frühestens einen Monat später in die Krippen kommen sollten.
Die Veränderung der Neu-Infektionszahlen im Einzelnen: Von zwölf Neuinfizierten am 30.04. – an diesem Tag wurde der ursprüngliche Plan der Lockerung in vier Phasen im Bundestag verabschiedet - über neun am 08.05. und sieben am 15.05., sowie drei am 22.05. und vier am 29.05., gefolgt von acht am 03.06. und vier am 05.06. liegt die Zahl der Neuinfizierten in Hamburg am 08.06. dem Tag der Verkündung der Lockerung zum 18.06. bei zwei Neu-Infektionen. Einen Tag später waren es wieder vier Neuinfizierungen. Diese Zahlen bilden das Infektionsgeschehen in der Hansestadt Hamburg ab (entnommen vom RKI Covid 19 Dashboard).
Das bedeutet, als sich die Zahl der täglich Neuinfizierten in knapp sechs Wochen von zwölf auf zwei abgesenkt hatte, verkündete die Senatorin ab dem 18.06. die Zahl der betreuten Kinder auf einen Schlag zu verdoppeln und somit alle rund 90.000 Kinder in den Kitas mit mindestens 20 Stunden und an mindestens 3 Tagen betreuen zu lassen.
Es wird mit dieser Maßnahme in Kauf genommen, dass das Corona-Virus in die Kitas einziehen und dort kursieren kann. Ebenso wird in Kauf genommen, dass sich Kita-Beschäftigte infizieren und erkranken. Denn im Gegensatz zu den Kindern ist bei den Beschäftigten davon auszugehen, dass bei ihnen eine Infektion auffällt und mit Symptomen einhergeht. Die Erzieher*innen werden auf diese Weise als sogenannte „Anzeiger“ benutzt. Wenn sie erkrankt sind, weiß man, dass der Virus sich unter den Kindern (und den Beschäftigten) verbreitet hat.
Dass in Hamburg jede 23. Person bezogen auf die Anzahl der erfassten Infizierten Personen an Covid 19 starb (bundesweit jede 22. infizierte Person), verstärkt die Sorge vor Ansteckung bei den Kita-Beschäftigten.
Zwar hat die Sozialbehörde den Kita-Trägern die Möglichkeit eröffnet ihre Kita-Beschäftigten auf Kosten der Behörde testen zu lassen.
Mit der „Fast-Track-Testung“ soll auf freiwilliger Basis festgestellt werden können, ob bei den getesteten Personen eine SARS-CoV-2-Infektion besteht.
Wir haben allerdings erhebliche Zweifel daran, dass das einzuhaltende Procedere (Träger stellt einen Antrag auf Testung, für die zu testenden Personen sind Online-Anmeldungen durchzuführen, die Behörde nimmt die Anträge entgegen und die Behörde vergibt die Termine zur Testung) dazu führt, dass die Empfehlung wöchentlich testen zu lassen, ob die Kita-Beschäftigten infiziert oder infektionsfrei sind, auf diese Weise umgesetzt wird. Es fehlen nach wie vor einheitliche Regelungen zum Umgang mit Risikogruppen bei den Beschäftigten, es fehlt die Festlegung von regelmäßigen Testverfahren und es fehlt die verbindliche Begrenzung der Kinderzahlen in den Gruppen. Die neuen Erkenntnisse zu der Verbreitung des Virus durch „Superspreader“ machen deutlich, dass große Gruppen vermieden werden müssen – denn Kitas haben immer das lokale „Cluster-Risiko“ zur Virenschleuder von Covid-19 zu werden. (Quelle: Prof. Dr. Drosten)
Unter Zuhilfenahme des GEW-Arbeitsschutzrechtsgutachtens (www.gew.de/aktuelles/detailseite/neuigkeiten/was-die-kitaoeffnungen-fuer-risikogruppen-bedeuten/) raten wir den Betriebs- und Personalräten der Kita-Träger jetzt aktuell eine Gefährdungsanalyse im Rahmen des Arbeitsschutzes vom Arbeitgeber erstellen zu lassen und bei der Aufstellung der erforderlichen Maßnahmen die wöchentlich wiederkehrende Testung des eingesetzten Personals in den Maßnahmenkatalog aufzunehmen. Die Maßnahmen sind mit dem Betriebsrat zu vereinbaren. Scheut nicht die Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber, denn die einzelne Kollegin kann sich zwar auf die Gesundheitsfürsorgeverpflichtung des Arbeitgebers berufen, wird aber dennoch ihren Dienst antreten müssen und erst im Schadensfall in einem Gerichtsverfahren Ansprüche wegen Verletzung der Fürsorgepflicht geltend machen können.
Nachdem die Sozialsenatorin bewusst das Infektionsrisiko für die Kita-Beschäftigten maximal steigert, sind jetzt die gewählten Interessenvertretungen in den Einrichtungen aufgefordert, ihre Arbeitgeber zu verpflichten, den Schutz der Beschäftigten aufrecht zu halten. Arbeitgeber, die sich gegen den Gesundheitsschutz stellen und sich hinter den Vorgaben der Sozialsenatorin verstecken, anstelle gegenüber der Behörde deutlich zu machen, dass eine so weitgehende Lockerungsmaßnahme mit dem Gesundheitsschutz der Fachkräfte nicht in Einklang zu bringen ist, muss vor Augen gehalten werden, dass sie für jeden im Betrieb eintretenden Infektionsfall haftbar zu machen sind. Die Geltungsmachung solcher Schadenersatzansprüche ist Bestandteil des Arbeitsrechtschutzes, den die Gewerkschaft ihren Mitgliedern bietet.
Seit Beginn der Notbetreuung in den Kitas üben die Erzieher*innen mit den Kindern die stete Anwendung der Hygienemaßnahmen und vermitteln den Kindern wie wichtig es ist, diese Grundregeln zu befolgen. Selbstverständlich mit der entsprechenden Authentizität und vorbildlichen Verhalten. Seit Mitte März konditionieren sich die Beschäftigten auf den Ernst der Lage und bekommen nun von heut auf morgen das Signal, dass die Entlastung der Eltern wichtiger ist, als der Schutz ihrer Gesundheit.
Wir vermissen die Wertschätzung der Leistungen der Kolleg*innen, die durch die Notbetreuung und ihren Einsatz und ihr Engagement in der Corona-Krise einmal mehr bewiesen haben, wie systemrelevant auch die Berufe im Sozial- und Erziehungsdienst sind? „Die Erzieher*innen fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Es ist unverständlich, wie in den Kitas in einen Regelbetrieb auch mit Einschränkungen übergegangen werden soll, ohne für den ausreichenden Arbeits- und Gesundheitsschutz der Beschäftigten und ihrer Familien, und damit auch für die Kinder und deren Familien zu sorgen.
Jens Kastner, Sprecher der Fachgruppe Kinder- und Jugendhilfe, GEW LV Hamburg
Foto: GEW