Seit dem 16. März diesen Jahres sind Kindertagesstätten nur noch für eine Notbetreuung geöffnet. In über 1.100 Hamburger Kindertagesstätten gilt, dass Kinder berufstätiger Eltern, die systemrelevante Berufe ausüben, bei entsprechendem Bedarf ihre Kinder in eine Kita zur Notbetreuung bringen dürfen. Ebenso ist die Notbetreuung für Kinder mit dringlichem sozialpädagogischem Bedarf ermöglicht. Andere Eltern haben zu begründen, warum sie ihr Kind in die Notbetreuung bringen.
Nach einer bei einigen Trägern vorherrschenden Orientierungslosigkeit, wie der Personaleinsatz unter Pandemiebedingungen zu organisieren war, hat es sich nach gut einem Monat eingespielt. Die Zusicherung der Stadt Hamburg, die Zahlungen an die Träger ungekürzt weiter zu leisten, sichert auch die Beschäftigten ab. Kurzarbeit kommt nicht zum Tragen. Die Beschäftigten haben sich auf Abruf für den Arbeitseinsatz zur Verfügung zu halten.
Der unter Normalzeiten herrschende Fachkräftemangel spielt zurzeit keine Rolle mehr. Die Inanspruchnahme der Notbetreuung ist zahlenmäßig auf einem niedrigen Niveau, so dass das einzusetzende Personal nach gesundheitlichen Risikoabwägungen ausgewählt wurde. Ältere und gesundheitlich vorbelastete Kolleg*innen arbeiten von abgesperrten Arbeitsplätzen aus der Einrichtung heraus oder in der Hauptsache „mobil“ von zuhause aus. Sie halten Kontakt zu ihren Kindern und Eltern, entwerfen die eine oder andere Spielidee, Bastelmaterial und Ähnliches, um Anregungen für den Tag in die Familien zu geben.
Seit dem 22. April wurde die Kita-Notbetreuung erweitert, auch alleinerziehende Eltern können ihre Kinder ohne weitere Begründung in die Notbetreuung bringen, um, wie aus den Äußerungen der Sozialsenatorin herauszuhören war, Überforderungssituationen bei den Alleinerziehenden zu begegnen.
Am Ende der ersten Woche dieser Öffnungserweiterung war noch nicht abzusehen ob die Inanspruchnahme der Notbetreuung dadurch nennenswert angestiegen ist.
Aber in den Medien werden die Stimmen lauter, die eine weitere, bis hin zur generellen Öffnung der Kitas fordern. Herdenimmunität und Durchseuchung sind die treibenden Stichworte –Kinder erkranken an Covid 19 nicht/kaum – für sie bestehe keine Gefahr – haben es schon durchlebt, ohne es zu merken – lauten die Argumente, aufgebaut auf den gesundheitlichen Aspekt (der Kinder). Die Wirtschaft muss wieder starten, auch nicht systemrelevante Berufstätigkeiten müssen wieder ausgeübt werden können und berufstätige Eltern müssen wieder ihrer Arbeit nachgehen, lauten die Forderungen aus ökonomischer Sicht.
Welche Gesundheitsgefahr geht von den Kindern aus?
Ob Kinder mehr oder weniger ansteckend sind, ist durch Forschungen und/oder Untersuchungen nicht, bzw. noch nicht geklärt. Am 20. April verwies Christian Drosten, Leiter der Virologie an der Berliner Charité, auf eine chinesische Studie (Erstautor „Bi“), die am 27. März erschien und nach seiner Kenntnis die einzige Studie ist, die in ihrer untersuchten Fragestellung prüft, ob Kinder überhaupt in einer bestimmten Rate infiziert werden und ob sie dann logischerweise auch andere infizieren können. Sie kommt zu dem Schluss, dass sich Infektion und Infektionsweitergabe der Kinder nicht von dem Geschehen bei den Erwachsenen unterscheiden. (nachzulesen in der NDR-Info Podcast Veröffentlichung vom 20.04.2020)
Alle weiteren Rücknahmeschritte der verfügten Maßnahmen sind nur unter der Prämisse gestattet, dass zusätzliche Schutzmaßnahmen eingeführt werden und eingehalten werden müssen. Abstand halten, Mundschutztragen, Händewaschen – das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat die Arbeitsschutzregelungen angepasst und mit der Verabschiedung des Papiers „SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard“ den Arbeitgebern Handlungsanweisungen aufgegeben. Durch technische, organisatorische und wenn diese nicht genügen, auch durch persönliche Schutzmaßnahmen müssen Arbeitgeber dafür Sorge tragen, dass die Arbeitnehmer*innen vor Gesundheitsschädigungen geschützt sind, bzw. geschützt werden.
Welchen Schutz gewährt der Arbeitgeber in den Kitas?
Grundlage für „erforderliche Maßnahmen des Arbeitsschutzes“ (§3 Abs. 1 ArbSchG) sind die Erkenntnisse aus Gefährdungsbeurteilungen, die der AG durchzuführen hat (§5 ArbSchG). Darauf bezieht sich auch die Arbeitsschutzstrategie unter II.: „Die Verantwortung für die Umsetzung notwendiger Infektionsschutzmaßnahmen trägt der Arbeitgeber entsprechend dem Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung.“
Aus dem Kita-Alltag kennen wir die Feststellung des Impfstatus von schwangeren Kolleginnen; ist in bestimmten Bereichen der Impfstatus nicht ausreichend, darf die Kollegin nicht in der Kinderbetreuung eingesetzt werden – daran halten sich die Arbeitgeber sehr gewissenhaft, denn bei Schädigungen des ungeborenen Kindes, sind Arbeitgeber für Behandlungs- und Folgekosten haftbar zu machen.
Auch gibt es Berufsgruppen, die per se vom Arbeitgeber vor Infektionen geschützt werden. Wenn nicht technisch oder organisatorisch möglich, dann aber auf jeden Fall durch persönliche Schutzmaßnahmen, in der Regel durch die Bereitstellung von Schutzbekleidungen, wie z.B. für Ärzte, Krankenschwestern, Pflegepersonal, so auch bei der Polizei und der Feuerwehr.
Am 21. April gab die BASFI das Schreiben „Handlungsempfehlungen und Schutzkleidung“ an die Kita-Träger und Kitas heraus, in dem sie auf die in Zusammenarbeit mit dem Institut für Hygiene und Umwelt entwickelten Empfehlungen im Zusammenhang mit der Coronavirus-Erkrankung COVID 19 verweist. Die Empfehlungen sollen Handlungssicherheit für den Einsatz von Schutzkleidung bei den beruflichen Tätigkeiten vermitteln und orientierende Hinweise zum möglichen Einsatz von Mund-Nase- oder Atemschutzmasken geben.
Viel Papier, dass den Kolleg*innen letztendlich die Einordnung abverlangt, ob die zu betreuenden Kinder gesund sind. Dann seien keine Schutzkleidung und keine Masken nötig.
Kranke Kinder sind nicht in der Einrichtung, bzw. sofort als krank erkannt, separiert und von den Eltern sofort abgeholt worden.
Ergo keine Gefährdung, keine Arbeitsschutzmaßnahmen außer Händewaschen und somit keine Haftung des Trägers, oder?
Gesunde Kinder? - Sind unerkannte Virenträger gesund?
Die Verunsicherung ist groß, sollen die Kinder nur deshalb wieder verstärkt in die Kitas kommen, damit sie wieder mit gleichaltrigen Kindern in ihrer sozialen Entwicklung weiterwachsen? Oder sollen sie auch für eine Durchseuchung sorgen? War die Einstellung der Kindertagesbetreuung nötig? Warum sollen die Großeltern nicht von ihren Enkeln besucht werden, da die Kinder doch laut Gefährdungsbeurteilung in den Kitas als gesund gelten.
Erzieher*innen können nicht dafür sorgen, dass die gebotenen Abstände eingehalten werden, Kinder können nicht mit Mundschutzmasken versehen werden, Atemschutzmasken für Erzieher*innen sollten nicht in der direkten Interaktion zu den Kindern getragen werden. Da sie angeblich nicht nötig sind, werden sie nicht von den Arbeitgebern gestellt, (das Tragen von privat angeschafften Masken ist den Erzieher*innen allerdings nicht untersagt). Atemschutzmasken, die den Anwender vor einer Infektion schützen, sind für den Kita-Bereich nicht vorgesehen.
Welcher Schutz könnte für Arbeitnehmer*innen darüber hinaus zum Tragen kommen?
Die Berufsgenossenschaften, die gesetzlichen Unfallversicherungen gewähren Schutz vor Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, indem sie Behandlungskosten und Kosten für Heil- und Hilfsmittel übernehmen. Sie bezahlen stationäre Behandlungs- und alle weiteren Maßnahmen, die zur Genesung beitragen. Bei bleibenden Folgeschäden ist eine Anerkennung als Berufskrankheit und auch eine vorzeitige Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente durch die Berufsgenossenschaft, bzw. die Landesunfallkassen gegeben.
Und was sagt der Spitzenverband der gesetzlichen Unfallversicherungen zum Thema COVID 19 und Versicherungsschutz: (entnommen aus: https://www.dguv.de/de/corona/index.jsp)
„Versicherungsschutz:
COVID-19 ist von der WHO als Pandemie eingestuft worden. Die Infektionskrankheit stellt somit eine Allgemeingefahr dar. Damit erfüllt sie im Regelfall nicht die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls, denn die Betroffenheit ergibt sich zufällig und unabhängig von der versicherten Tätigkeit. Als Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung kommt aber eine Berufskrankheit (Nr. 3101 der Berufskrankheitenliste) in Betracht. Dies setzt voraus, dass der oder die Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war. Ob diese Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen, prüft die zuständige Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse, nachdem eine Anzeige auf Verdacht einer Berufskrankheit gestellt wird.“
Leider bietet auch die Einschätzung der Rechtschutzstelle des DGB, Deutscher Gewerkschaft Bund, keine Sicherheit. Sie schließt ihre Beurteilung mit folgenden Worten:
„Unklar ist zurzeit, ob Gerichte dieser Argumentation folgen werden, dies bleibt abzuwarten. Das Merkblatt zur Berufskrankheit Nummer 3101 lässt aber ausdrücklich Infektionsgefahren zu, die mit derjenigen in Pflegebereichen vergleichbar sind. Auch hier wird es dann Sache der Praxis sein, entsprechende Situationen zu beweisen und sicher auch Sache der Gerichte, das dann anzuerkennen.“ (https://www.dgbrechtsschutz.de/recht/verwaltungsrecht/dienstunfallrecht/...)
Fazit:
Zurzeit können Kita-Träger in der Auswahl des Personals noch auf die Kolleg*innen zurückgreifen, bei denen aufgrund der persönlicher Konstitution (nicht zu alt und nicht vorerkrankt) angenommen wird, dass sie in diese ungeschützte Situation eingesetzt werden dürfen und ihren Einsatz unbeschadet überstehen.
Bei einer weiteren Abkehr von den bisherigen Einschränkungen müssten dann auch stärker gefährdete Kolleg*innen wieder eingesetzt werden. Schon die jetzige Situation verlangt den eingesetzten Kolleg*innen ab, sich in die Gefahr der Ansteckung zu begeben, der sie nur mit der Hoffnung begegnen können, nicht allzu stark zu erkranken, wenn sie sich infizieren.
Wir fordern die Anerkennung als Berufskrankheit auch für Erzieher*innen ohne „Wenn und Aber“. Der Gesundheitsschutz der Beschäftigten hat oberste Priorität.
Unsere Mitglieder können auf unseren Rechtsschutz zählen, wenn sie persönlichen Schaden erfahren.
Aber letztendlich erwarten wir von den politisch Verantwortlichen, dass sie nicht von der generellen Schließung der Kitas abweichen und die Inanspruchnahme Möglichkeit der Notbetreuung nur in solch kleinen Schritten erweitern, die es den Kita-Trägern ermöglicht nicht auf Personal zurückzugreifen, dass zu dem risikobehafteten Personenkreis gezählt wird (ältere Kolleg*innen und vorerkrankte Kolleg*innen und Kolleg*innen, die in häuslicher Gemeinschaft mit solchen Personen leben).
Jens Kastner, Sprecher der Fachgruppe Kinder- und Jugendhilfe, LV Hamburg
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