Die vergangenen Betriebsversammlungen des Hamburger Schulvereins fanden in den Räumen der GEW, im zentral gelegenen Curio-Haus statt. Nun mit aktuell veränderter Vereinssatzung und Beförderung des Geschäftsführers zum allein vertretungsberechtigten Vorstand, ist die Nähe zur GEW nicht mehr gewünscht. Das Jubiläum „100 Jahre Betriebsrätegesetz“ ist für den Betriebsrat des Hamburger Schulvereins leider kein Grund zum Feiern. Anja Bensinger-Stolze, GEW Vorsitzende, sprach auf der Betriebsversammlung am 19.2.2020 in der Freiluftschule Wohldorf und bekräftigte die Unterstützung der GEW für die Beschäftigten und den Betriebsrat.
Die Rede geben wir hier wieder:
Beitrag auf der Betriebsversammlung des Hamburger Schulvereins von 1875 e.V. am 19.2.2020
Thema: 100 Jahre Betriebsrätegesetz und der Betriebsrat des Hamburger Schulvereins im Jahre 2020
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Betriebsratsmitglieder, liebe Gastgeber hier im Haus,
ich freue mich heute hier in der Freiluftschule Wohldorf an der Betriebsversammlung des Hamburger Schulvereins teilnehmen zu können. Es war nicht ganz einfach, dieses schöne Stück Erde zu erreichen; mich hat es 1,5 Stunden Fahrt gekostet. Sicher wird es dem einen oder der anderen auch so gegangen sein. Deshalb ist es um so schöner, dass Ihr heute hier seid!
Vor 100 Jahren, am 4. Februar 1920 trat das Betriebsrätegesetz in der Weimarer Republik in Kraft. Im Vorfeld hatten die Arbeiter- und Soldatenräte zum Ende des Ersten Weltkriegs dazu beigetragen der Monarchie ein Ende zu bereiten und der ersten deutschen Demokratie Geburtshilfe geleistet. Ihre Kampfkraft wurde in den vielen regionalen Generalstreiks so deutlich, dass die Unternehmer in Deutschland fürchteten es komme zu einer völligen Umwälzung der Gesellschaft, in der das Eigentum vergesellschaftet wird. Deshalb waren sie bereit, sich mit den Gewerkschaften zu arrangieren. Die Arbeiterinnen und Arbeiter forderten volle Mitbestimmungs- und Kontrollrechte in den Betrieben. Bei der wesentlichen Demonstration mit über 200.000 Arbeiter*innen am 13.1.1920 vor dem Berliner Reichstagsgebäude eröffnete die Sicherheitspolizei das Feuer auf die unbewaffneten Demonstrierenden und es gab 42 Tote und über 100 Verletzte. Das endgültige Betriebsrätegesetz blieb dann zwar hinter den Erwartungen zurück, aber es legte den Grundstein für die betriebliche Demokratie.
Und bevor ich diesen historischen Moment mit Euch in Verbindung bringe, sei noch angeführt, dass von 1933 bis 1945 die Nationalsozialisten dieses Gesetz beseitigten und ein Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit erließen, in dem es hieß: „Im Betriebe arbeiten der Unternehmer als Führer des Betriebes, die Angestellten und Arbeiter als Gefolgschaft (...). Der Führer des Betriebes entscheidet der Gefolgschaft gegenüber in allen betrieblichen Angelegenheiten (...). Diese hat ihm die in der Betriebsgemeinschaft begründete Treue zu halten.“ Also, jede Mitbestimmung war im Dritten Reich ausgesetzt. Erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die Beschäftigten wieder beteiligt.
1952 wurde die Mitbestimmung insbesondere bei sozialen und personellen Sachverhalten im Betriebsverfassungsgesetz festgelegt. Damit war die sogenannte Sozialpartnerschaft zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern begründet.
Wir machen einen Sprung ins Jahr 2020. 100 Jahre später müssen wir konstatieren, dass es immer mehr Arbeitgeber gibt, die Betriebsräte bekämpfen. Das ist undemokratisch. Der Anteil an Betriebsräten in Unternehmen ist rückläufig. Betriebsräte oder diejenigen, die einen gründen wollen, sehen sich immer häufiger Angriffen ausgesetzt. Und da kommt der Hamburger Schulverein ins Spiel! Euer Betriebsrat als Gremium wird bei seiner Arbeit behindert, in dem ihm nicht alle der Mitbestimmung unterliegenden Vorgänge vorgelegt wird oder verspätet oder erst auf Druck. Die Arbeit an Betriebsvereinbarungen wird verschleppt – Euer Betriebsrat kann Euch dafür Beispiele nennen. Einzelne Betriebsratsmitglieder werden auf verschiedene Weise – im Rahmen von rechtlichen Grauzonen – angegangen. Zwei Eurer BR-Mitglieder haben in den letzten zwei Jahren eher unfreiwillig den Hut genommen. Der stärkste Angriff läuft momentan gegen Euren Betriebsratsvorsitzenden! Die groben Linien des Vorgehens der Geschäftsführung sind bekannt. In der jetzt laufenden Revisionsverhandlung am Landesarbeitsgericht – die Verhandlung am 6.2.2020 war öffentlich – hat der Richter zunächst einmal den polemischen Ton in der Klage-Erwiderung des Geschäftsführers und des Rechtsanwalts gerügt. Dort heißt es, dass der Kläger – also Euer Betriebsratsvorsitzender – „seine arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit“ nicht erbracht habe und dies „Kunststück“ sei „keinem anderen Erzieher und keiner anderen Erzieherin“ gelungen. Dies ist nicht nur an sich polemisch und ehrabschneidend, sondern zeigt auch wie die Arbeit eines Betriebsrats von der Geschäftsführung betrachtet wird, als Nicht-Arbeit, als überflüssig und Störfaktor. Warum macht man das?
Ihr sollt an keiner Stelle mehr mitreden, weder pädagogisch noch auf Eure Arbeitsbedingungen bezogen. Man möchte nur noch Eure Arbeitskraft. Kolleginnen und Kollegen, die Geschichte lehrt uns: Nur eine gelebte Demokratie in allen Bereichen der Gesellschaft – und unser Arbeitsort ist einer der wesentlichen Bereiche einer / eines jeden von uns – vermag es, ein starkes Bollwerk gegen autoritäre und demokratiefeindliche Bestrebungen zu sein.
Noch einmal zurück zum Hamburger Schulverein und seiner Organisation. Ihr alle habt ein Schreiben der Geschäftsführung bekommen, in dem die Veränderung durch eine Neufassung der Satzung bekannt gegeben wurde. Der Vorstand besteht jetzt aus einer hauptamtlichen Geschäftsführung – Frau Troppenz mit pädagogischer Expertise und Herr Reidegeld mit kaufmännischer Expertise -. Dies ist geschehen obwohl ich auf der Mitgliederversammlung auf das schlechte Verhältnis zwischen diesen Akteuren und dem Betriebsrat und den Beschäftigten hingewiesen habe. Als Kontroll- und Beratungsgremium ist ein Aufsichtsrat eingesetzt worden. Und einmal jährlich gibt es noch eine Mitgliederversammlung, der man berichtet. Die Begründung für die Veränderung der Organisation des Schulvereins ist noch nachvollziehbar. Ein Betrieb dieser Größe ist durch einen rein ehrenamtlichen Vorstand heute sicher kaum noch zu verantworten. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, es hätte auch eine andere Variante gegeben, z.B. eine gemeinnützige GmbH. Dabei wäre allerdings die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat das A und O. Warum man diesen Weg nicht gewählt hat, überlasse ich Eurer Fantasie!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Lage ist ernst, aber nicht aussichtslos und wir als GEW werden Euch und den Betriebsrat natürlich unterstützen.
Wendet Euch an Euren Betriebsrat, wenn Ihr Schwierigkeiten habt und wendet Euch als GEW-Mitglieder an uns!
Gebt bitte nicht auf, unterstützt Euren Betriebsrat, damit helft Ihr Euch und leistet einen wichtigen Teil für die Demokratie!
Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit!