„Wir vertrauen auf die Expertise unserer Lehrerinnen und Lehrer“. Welch überraschende Aussage von Gavin Williamson, dem englischen Bildungsminister. Nach dem letztjährigen Debakel um die externen Schulabschlussprüfungen (wir berichteten) ließ das Ministerium (Department for Education -DfE) 1,2 Millionen Schüler*innen, ihre Lehrer*innen und Eltern im Ungewissen, wie die diesjährigen Prüfungen ausgeführt werden sollten. Ganz einfach: die Beurteilung, sprich Zensur, die sich aus der Leistung des/ der Schüler*in in dem laufenden Schuljahr und einer internen Abschlussprüfung ergibt, gilt als Abschlusszensur und berechtigt bei der GCSE- Prüfung (mittlerer Abschluss) zum Übertritt in die Studienstufe oder bei der A-Level Prüfung (Abitur) zur Bewerbung für einen Studienplatz.
Mit dem so ausgesprochenen Vertrauen hat Williamson zugleich auch die Verantwortung und Organisation der Prüfungen vom Ministerium weg auf die einzelnen Schulen verlagert. Bislang wurden die Prüfungsaufgaben von externen Exam boards geplant, von den Schulen gekauft und an national festgesetzten Terminen, unter Aufsicht der Lehrer*innen geschrieben. Korrigiert wurden sie extern von dem jeweiligen exam board rekrutierten (und bezahlten) examiner.
So sehr die beiden großen Lehrer*innengewerkschaften dieses Vertrauen in die Urteilskraft der Lehrer*innen begrüßen, so nennt Mary Bousted, die Kovorsitzende der NEU, diesen Plan ‚the least worst‘ (am wenigsten schlimmsten) und Patrick Roach, der Vorsitzende von der NASUWT, bescheinigt der Regierung ‚missed a golden opportunity‘ um ‚ein zuverlässiges und durchführbares Konzept’ vorzulegen. Die Verlängerung des Prüfungszeitraums um zwei Wochen lenke von dem Problem ab.
Zum einen ist der enorme Zeitaufwand für die Vorbereitung und Korrektur der Prüfungen nicht im Deputat der Lehrkräfte abgebildet. Zum anderen fordert das Bildungsministerium, dass die Schulen darauf achten müssen, dass es keine ‚Inflation‘ von guten Zensuren geben darf. Ggfs werden Schulen bei auffällig guten Ergebnissen überprüft.
Geoff Barton, Vorsitzender der Schulleitergewerkschaft ASCL, begrüßt zwar das Vertrauen der Regierung in die Organisationsfähigkeit und Flexibilität der Schulen, warnt jedoch vor den Risiken, wenn jede Schule ihr eigenen Richtlinien aufstellt und letztlich die Schulleitungen für zu gute Bewertungen verantwortlich gemacht werden sollen.
Patrick Roach fordert erneut, eine klare Orientierung der Regierung und Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, um eine Strategie für die kommenden Jahre zu erarbeiten.
Zu den für den weiteren Bildungs- und Berufsweg entscheidenden Prüfungen kommen die allgemeinen Schulöffnungen in England ab dem 8. März. Die NEU warnt vor der Rückkehr von 10 Millionen in überfüllte Gebäude. Es gibt keine wissenschaftliche Evidenz für diese Maßnahme .Bei sinkenden Covidinfektionszahlen sind diese immer noch dreimal höher als bei den Schulöffnungen im letzten September.
Wie soll mit den unterschiedlichen Lernbedingungen, dem unterschiedlichen Leistungsstand durch die Pandemierestriktionen umgegangen werden? Hier hat die Regierung ein neues Amt eingeführt, Sir Kevin Collins ist der ‚Education recovery commissioner’. Das klingt so, als ob das kranke Bildungssystem wieder genesen soll. Gavin Wiliamson kündigte an, es sollten Änderungen in Angriff genommen werden, wie man sie zuletzt nur nach dem 2. Weltkrieg gesehen habe. Die Schuljahrplanung in Semester, Trimester, Ferien, summer schools, längere Schultage sind erste Gedanken.
Das im letzten Juni etablierte National Tutoring Programme soll erweitert werden, um in Kleingruppen oder Einzelunterricht Versäumtes nachzuholen. Das Spektrum dieser ‚Tutoren’ reicht von nicht qualifizierten 18jährigen bis hochqualifizierten pensionierten Lehrkräften. Schulen müssen 25% der Kosten selbst tragen, 75% kommen aus dem 350Millionen £ schweren Programm. Für dieses Programm gibt es mittlerweile 32 kommerzielle Anbieter, von denen 11 gemeinnützig sind. Die Unterrichtenden verdienen im Schnitt 19£ die Stunde, während der Anbieter zwischen 72£ und 84£bekommt. Mary Bousted prangert dies als ineffiziente Verwendung öffentlicher Gelder an.
Von Seiten der politischen Opposition gibt es andere Forderungen. Labour möchte die ‚breakfast clubs‘ erweitern in feste Einrichtungen. Die LibDem fordert, es Schüler*innen der Abschlussklassen zu ermöglichen voll finanziert ein Schuljahr zu wiederholen. Amanda Spielman, die Leiterin von Ofsted, der nationalen Aufsichtsbehörde für Bildung warnt, dass alle Änderungen nur gestützt auf wissenschaftliche Untersuchungen und mit Unterstützung der Eltern geschehen dürfen.
Die Bildungsgewerkschaften werden sicher nicht als Zuschauer dieser Entwicklung am Rand stehen.
Barbara Geier
Bild: Rolf Handke / pixelio.de