Athen, 1.7.2015, OLME-Kongress am Nachmittag und Abend (Blog Teil 2)
Nach der Mittagspause (14 – 16 Uhr) dauert es mehr als 30 Minuten bis der größte Teil der Delegierten wieder im Saal ist und das Präsidium den Kongress fortsetzen kann. Die Kolleginnen und Kollegen diskutieren in kleinen Gruppen die aktuelle Situation in Griechenland. Es geht in diesen informellen Runden am Ende immer um die Frage: Stimmst Du mit „Nein“ oder „Ja“? Stimmst Du am Sonntag beim Referendum den Bedingungen der Geldgeber in jedem Fall zu oder lehnst Du ab?
Die Stimmung im Saal ist angespannt. In den Redebeiträgen werden die drastischen Auswirkungen der bisherigen Sparrunden der Troika deutlich. Es müssten mindestens 15000 neue LehrerInnen eingestellt werden, um an dem Niveau vor der Finanzkrise anzuknüpfen. In den letzten beiden Jahren wurden nur 200 eingestellt. Diese neuen LehrerInnen beginnen mit 680 Euro bei einer vollen Stelle, werden über Jahre nicht in ihren Heimatorten eingesetzt, können von dem Geld kaum Wohnung und Kleidung bezahlen und sparen am Essen. In einigen Regionen wird diesen KollegInnen in den Kantinen der Militärkasernen etwas zu essen angeboten. Auch die bereits im Dienst stehenden KollegInnen haben mit ihrem Lohn kaum ein Auskommen, weil es seit der Finanzkrise drastisch gekürzt wurde. Dennoch gibt es viele KollegInnen, die versuchen die noch größere Not bei ihren SchülerInnen zu lindern. Nicht selten haben die Kinder einfach Hunger erzählt eine Kollegin. Da sich die SchülerInnen dafür schämen, könne man ihnen nicht einfach etwas zu essen mitbringen, sondern überrede sie damit, doch von dem Kuchen der Lehrerin zu essen, weil er nach einem ganz besonderem Rezept gebacken sei. Oder wenn man bei Schülern bemerkt, dass die Schuhsohlen Löcher haben, würde man ihnen nachts anonym im Briefumschlag ein paar Euros unter der Tür durchschieben, sonst würden sie es nicht annehmen. Außerdem werden immer mehr Stundenkräfte in den entlegeneren Landesteilen beschäftigt. Z.b. auf den Inseln Griechenlands. Diese Kräfte haben keine Verträge, keine Rechte und werden über Monate häufig gar nicht bezahlt. Es wird von einer Insel berichtet, auf der für 3000 SchülerInnen 2 Stundenkräfte zuständig sind. Ein anderer Kollege berichtet von den Schwierigkeiten nach dem Streik 2013. Die KollegInnen erhielten kein Lohn und bekamen in der Nähe von Patras einen Brief von der Polizei, in dem mit einer Anzeige gedroht wurde, wenn sie nicht wieder arbeiteten.
Die Kolleginnen und Kollegen machen ihre Wut über die Verhältnisse im Verlauf der Diskussion immer weiter Luft. Vorgesehen war eine Aussprache zum Rechenschaftsbericht,, doch die Agenda hat sich durch die aktuellen Entwicklungen in Griechenland verändert. Es wird sehr emotional über die politische Lage und die im Raum stehende Frage – „Ja“ oder „Nein“ beim Referendum - diskutiert. Ein Kollege macht deutlich, dass Bildung eine politische Frage sei. Man müsse „Nein“ sagen und weiterhin Teil von Europa bleiben und den anderen Ländern mitteilen, wie in Griechenland die soziale Katastrophe aussieht. Man müsse „Nein“ sagen, weil ganz Europa wartet, was hier passiert: Erteilt man der Erpressung durch die Troika eine Absage, oder nicht! Die Delegierten kommen aus den unterschiedlichen politischen Lagern bzw. Parteien und es entbrennt eine heftige Diskussion. Die Syriza- und Linken- KollegInnen werben für ein „Nein“ am Sonntag, die PASOK- und Democratia-KollegInnen geben in ihren Beiträgen häufig den Gewerkschaften und der jetzigen Regierung die Schuld an der schlechten Lage und werben für ein „Ja“. Die KollegInnen, der kommunistischen Partei, sind grundsätzlich gegen dieses „kapitalistische und imperialistische Europa“ und werben für Enthaltung. Die Redebeiträge werden immer lauter, sie überschreiten bei weitem irgendwelche Redezeitbegrenzungen. Kurz vor dem Abendessen ist die Stimmung so aufgeladen, dass bei den Beiträgen des jeweils anderen Lagers laut und voller Wut dazwischen gerufen wird.
Im Saal scheint eine Mehrheit der Anwesenden eher mit „Nein“ stimmen zu wollen. Die Diskussion soll morgen, 2.7.15, fortgesetzt und am Ende soll eine gemeinsame Resolution zur politischen Lage verabschiedet werden.
Beim nächsten Mal mehr.
Athen, 1.7.2015, OLME-Kongress (Blog Teil 1)
Der Beginn des Kongresses verzögert sich um eine Stunde, weil noch nicht genügend Delegierte (Quorum von 50%) anwesend sind. Das stört aber nicht, da alle in Gruppen zusammenstehen und reden und diskutieren.
Um 12 Uhr beginnt der Kongress mit dem, was wir auch kennen: Begrüßung durch den Vorsitzenden Themis Kotsifakis und mit einer Gedenkminute werden die verstorbenen Mitglieder geehrt. Außerdem werden 90 Jahre OLME gefeiert.
Bei der ersten Grußadresse durch den Vertreter der nationalen Arbeiter- bzw. Angestelltengewerkschaft gibt es dann erste lautstarke Zwischenrufe. Er ist gegen das bevorstehende Referendum, er ist gegen die Regierung und aber auch gegen die Sparpolitik. Die jetzige Regierung habe vor der Wahl mehr versprochen als sie jetzt hält. Die Zwischenrufer wollen wissen, ob das seine persönliche Meinung ist oder die seiner Gewerkschaft. Dies beantwortet er aber nicht. Es wird vermutet, dass der Kollege die jetzige Regierung kritisiert, weil er PASOK-Mitglied ist. Während die nächste Grußadresse vom Kollegen der Privatschulgewerkschaft vorgetragen wird, gehen die Diskussionen bei den Delegierten weiter und werden immer lauter, so dass das Präsidium mehrfach Ruhe einfordert.
Zwei Grußworte der zyprischen Gewerkschaften – einmal der SekundarschullehrerInnen und der im Elementarbereichbeschäftigten – versichern den griechischen Kolleginnen und Kollegen ihre Solidarität. Denn sie haben vieles schon erlebt. Auch bei ihnen wurden die Beschäftigtenzahlen und die Gelder für den Bildungsbereich massiv runtergefahren. Sie sind gegen die Sparpolitik und machen deutlich, dass die „Institutionen“ (vormals Troika) den Staat zerstören. Die privaten Stakeholder täten alles um die allgemeine Bildung zu unterminieren, denn daran haben sie kein Interesse. Auch während dieser Vorträge sind die Diskussionen bei den Delegierten in den Reihen so laut, dass sie wieder zur Ordnung gerufen werden.
Es folgt der Schatzmeister mit dem Finanzreport, der Revisor folgt, der Organisations- und Bildungsreferent berichtet. Wir erfahren außerdem, dass im letzten Jahr nur 100 neue LehrerInnen in ganz Griechenland eingestellt wurden. Das viele KollegInnen im Sommer entlassen werden und keinen Lohn bekommen. Nach den Ferien werden sie wieder eingestellt. In diesem Jahr sind es 17.000. Das Gehalt wird immer weniger, viele bekommen keine Stelle dort wo sie wohnen, so dass im letzten Jahr 1800 KollegInnen der Schule den Rücken gekehrt haben und sich einen anderen Job suchen.
Mehr beim nächsten Mal.