Herrschinger Kodex zeigt Wirkung: Uni-Initiativen für „Gute Arbeit in der Wissenschaft“

11. September 2014Von: WebredaktionThema: Hochschule und Forschung
Herrschinger Kodex

Der GEW-Appell aus Herrsching bleibt nicht ungehört. An den Universitäten Duisburg-Essen, Halle-Wittenberg und Frankfurt (Oder) sorgen seit kurzem Rektoratsbeschlüsse und eine Dienstvereinbarung für Mindeststandards guter Arbeit in der Wissenschaft.

Mit dem Templiner Manifest setzt sich die GEW für eine Reform von Beschäftigungsbedingungen und Karrierewegen in Hochschule und Forschung ein. Gefragt sind insbesondere Bund und Länder, über die Gesetzgebung und eine veränderte Wissenschaftsfinanzierung die Weichen für den „Traumjob Wissenschaft“ zu stellen. Mit dem 2012 vorgelegten Herrschinger Kodex „Gute Arbeit in der Wissenschaft“ appelliert die GEW zugleich an das Verantwortungsbewusstsein der einzelnen Wissenschaftseinrichtungen. Jede Hochschule, jede Forschungseinrichtung kann schon heute selbst aktiv werden und sich dazu verpflichten, für stabile Beschäftigungsbedingungen und berechenbare Karrierewege zu sorgen.
 
Der Appell aus Herrsching blieb nicht ungehört. An den Universitäten Duisburg-Essen, Halle-Wittenberg und Frankfurt (Oder) sorgen seit kurzem Rektoratsbeschlüsse bzw. eine Dienstvereinbarung für Mindeststandards guter Arbeit in der Wissenschaft. Viele Impulse des Herrschinger Kodex „Gute Arbeit in der Wissenschaft“ sind in diese Dokumente eingegangen. Der Hintergrund dafür ist zweifellos auch der politische Handlungsdruck, den die GEW mit ihrer Kampagne für den „Traumjob Wissenschaft“ erzeugt hat. Letztlich haben aber vor allem viele engagierte Kolleginnen und Kollegen vor Ort gesorgt, dass es zu konkreten Verbesserungen kommt. Vielen Dank dafür – und weiter so!

 

Duisburg-Essen: Auch Führungskräfte sollen sensibilisiert werden

An der Universität Duisburg-Essen hat das Rektorat am 7. Mai 2014 „Leitlinien für die Gestaltung befristeter Beschäftigungsverhältnisse und Regeln guter Praxis für die Beschäftigten im wissenschaftlichen Mittelbau“ beschlossen, die nun im Verkündungsblatt der Universität veröffentlicht wurden und in der Präambel explizit auf das Templiner Manifest der GEW Bezug nehmen.

Zentrale Bedeutung haben die Vorgaben für Mindestvertragslaufzeiten bei Zeitverträgen. Bei Promovierenden sollen die Vertragslaufzeiten „dem Qualifikationsvorhaben (z. B. Promotion) angemessen sein“, mindestens aber zwei Jahre bei Erstverträgen umfassen. Promovierte „sollen“ Einstiegsverträge mit einer Laufzeit von mindestens zwei Jahren erhalten. Für die Qualifizierung muss künftig mindestens ein Drittel der Arbeitszeit zur Verfügung stehen. Drittmittelverträge müssen künftig über die Gesamtlaufzeit des Projekts abgeschlossen werden – „falls keine inhaltlichen Gründe dagegen sprechen“. Besonders interessant: Soll im Rahmen eines Drittmittelprojekts promoviert werden, sind die Uni-Einrichtungen gehalten, Mittel für eine Anschlussförderung bereit zu halten und ggf. Arbeitsverträge mit einer Laufzeit über die Projektlaufzeit hinaus abzuschließen.

Stellen für wissenschaftliche Hilfskräfte sowie für Lehrkräfte für besondere Aufgaben dürfen künftig nicht mehr zur Promotionsförderung eingesetzt werden, letztere sollen künftig „möglichst“ nur noch als Dauerstellen eingerichtet werden. Apropos Dauerstellen: In den Leitlinien fordert das Rektorat jede Fakultät auf, ein „Dauerstellenkonzept“ zu entwickeln, in die auch Stellen zur Sicherung der Lehre einfließen sollen. Weiter sehen die Leitlinien Betreuungsvereinbarungen für Promovierende und eine grundsätzliche Vergütung von Lehraufträgen (oder eine Anrechnung auf die Arbeitszeit bei Beschäftigten) vor. Damit Drittmittelbeschäftigte wie ihre Kolleginnen und Kollegen auf Haushaltsstellen von der automatischen Vertragsverlängerung bei Mutterschutz und Elternzeit profitieren, sollen diese, wenn möglich, sachgrundlos nach § 2 Absatz 1 des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes befristet werden. Das Rektorat sagt gleichzeitig zu, für zunächst drei Jahre aus zentralen Mitteln entsprechende Überbrückungszeiträume zu finanzieren. Vorgesetzte möchte die Uni künftig im Rahmen von Führungskräfteschulungen für „für die besonderen Bedürfnisse von befristet Beschäftigten im wissenschaftlichen Mittelbau, insbesondere mit Fokus auf die Vereinbarkeit von Arbeit und Familienaufgaben“ sensibilisieren.

 

Halle-Wittenberg: Ombudskommission soll Einhaltung der Leitlinien überwachen
 
Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hat am 3. Juni 2014 „Leitlinien zur Gestaltung von Beschäftigungsbedingungen“ verabschieden, die unter Überschrift „Gute Arbeit in der Wissenschaft“ stehen (siehe Anlage). Die Anlehnung an das Motto des Herrschinger Kodex „Gute Arbeit in der Wissenschaft“ ist kein Zufall. Sehr weitgehend haben nicht nur Ideen, sondern ganze Textpassagen des von der GEW erarbeiteten Herrschinger Kodex in den Rektoratsbeschluss Einzug gehalten. In der Präambel zu den Leitlinien bekennt sich die Uni zu einer „aufgabengerechten Personalstruktur“, zu „planungssicheren Karrierewegen“ und „stabilen Beschäftigungsbedingen“.
 
Dass es sich dabei nicht um blumige Worte handelt, wird an den nachfolgenden konkreten Regelungen deutlich. Bei Qualifikationsstellen muss künftig die Laufzeit des befristeten Arbeitsvertrages der voraussichtlichen Dauer der Qualifizierung entsprechen. Sowohl für Promovierende als auch für Promovierte ist für Erstverträge eine Untergrenze von drei Jahren vorgesehen, bei Promovierten ist zusätzlich eine Verlängerung um weitere drei Jahre vorgesehen. Analog muss bei Drittmittelstellen die Vertragslaufzeit der Laufzeit des Projekts entsprechen. Lehraufträge sollen künftig nur noch zur Ergänzung des Lehrangebots beitragen und für eine Dauer von mindestens zwei Semestern vergeben werden; bei ihrer Vergütung sind Vor- und Nachbereitungszeiten zu berücksichtigen. Auf die Personalkategorie der wissenschaftlichen Hilfskraft mit Hochschulabschluss wird die Uni künftig grundsätzlich zu Gunsten einer Beschäftigung als wissenschaftliche Mitarbeiterin oder wissenschaftlicher Mitarbeiter verzichten. Postdocs müssen Vollzeit, Promovierenden mindestens 50 Prozent-Stellen angeboten werden.
 
Die familienpolitische Komponente des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, die eine Verlängerung von Zeitverträgen bei Kinderbetreuung auch über die gesetzliche Höchstbefristungdauer von sechs plus sechs (bzw. in der Medizin neun) Jahren zulässt, soll an der Uni künftig „in der Regel“ angewandt werden. Um ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis auf allen Karrierestufen zu erreichen, sollen künftig Quoten festgelegt werden, die sich am Anteil der Frauen auf der jeweils vorangehenden Qualifikationsstufe orientieren. Die Uni verpflichtet sich explizit zu den im Herrschinger Kodex genannten drei Komponenten einer aktiven Personalpolitik: Personalentwicklung, Personalplanung und Personalmanagement. In diesem Zusammenhang ist die Einrichtung eines zentralen Überbrückungsfonds vorgesehen, mit dem die Zwischenfinanzierung von Beschäftigungsverhältnissen ermöglicht werden soll. Ziel der Personalplanung der Uni ist „aufgabenadäquates Verhältnis zwischen befristeten und unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen.“
 
Zur Überwachung der Leitlinien sieht der Rektoratsbeschluss die Einrichtung einer Ombudskommision vor, der Rektor/in und Leiter/in der Personabteilung sowie je ein/e Vertreter/in der Promovierenden, der Postdocs, des Personalrats sowie ein/e Dekan/in angehören. Die Ombudskommission hat Verstöße gegen die Leitlinien zu untersuchen und jährlich zu berichten.

 

 

Frankfurt (Oder): Anwendung der familienpolitischen Komponente in vollem Umfang
 
An der Europa-Universität Viarina Frankfurt (Oder) haben der Uni-Präsident und der Personalrat für das wissenschaftliche Personal eine Dienstvereinbarung „zur Gestaltung von Arbeitsverträgen akademischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ ausgehandelt, die am 27. August 2014 unterzeichnet wurde. In der Präambel bekennen sich Präsident und Personalrat zu einer „nachhaltigen Personalentwicklung“; Ziel der Dienstvereinbarung ist, „die Planbarkeit von wissenschaftlichen Karrieren zu erhöhen, transparente Mindeststandards bei der Ausgestaltung von Arbeitsverträgen zu etablieren und die Rahmenbedingungen wissenschaftlicher Arbeit gleichstellungs- und familienfreundlicher zu gestalten.“ Im Laufe der nächsten zwölf Monate soll ein Personalentwicklungskonzept vorgelegt werden, das „Dauer- bzw. Tenurestellen neben der klassischen Professur integriert“, heißt es weiter in der Dienstvereinbarung. Wie die Dienstvereinbarung umgesetzt wird, ist nach zwei Jahren auf Basis einer Auswertung der Personalstatistik, genehmigter Ausnahmen und Rückmeldungen der Beschäftigten zu evaluieren.
 
In der Dienstvereinbarung wird unmissverständlich festgelegt, dass die familienpolitische Komponente des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, die eine Verlängerung von Zeitverträgen bei Kinderbetreuung um zwei Jahre je Kind auch über die gesetzliche Höchstbefristungsdauer hinaus zulässt, „künftig in vollem Umfang genutzt“ wird. Explizit soll sie auch angewandt werden, wenn Kinder von Ehe- oder Lebenspartner/in im gemeinsamen Haushalt mitbetreut werden. Wie in Duisburg-Essen sollen künftig Drittmittelbeschäftigte, wenn möglich, sachgrundlos nach § 2 Absatz 1 Wissenschaftszeitvertragsgesetz befristet werden, um ihnen ebenfalls einen Anspruch auf Vertragsverlängerung bei Mutterschutz und Elternzeit zu geben.
 
Was Mindestvertragslaufzeiten für Zeitverträge angeht, so verlangt die Dienstvereinbarung, „dass die Dauer der Befristung in einem angemessenen Verhältnis zu dem Qualifizierungsziel steht“. Für Erstverträge In der Promotionsphase ist eine Laufzeit von mindestens drei Jahren vorgesehen; eine Verlängerung bis zu möglichen Höchstbefristungsdauer, mindestens aber um ein Jahr hat zu erfolgen, wenn die Promotion in den ersten drei Jahren nicht abgeschlossen werden konnte. Für die Qualifizierungsphase nach der Promotion gilt eine Mindestvertragslaufzeit von vier Jahren, ebenfalls mit entsprechenden Verlängerungsoptionen bis zur Höchstbefristungsdauer. Bei Drittmittelverträgen muss sich die Laufzeit über die Dauer der Projektlaufzeit erstrecken, falls sich der Vertrag nicht auf ein vorher abzuschließendes Teilprojekt bezieht. Ausnahmen von den Regelungen zu Mindestvertragslaufzeiten sind nur mit einer qualifizierten Begründung möglich und müssen dem Personalrat unverzüglich angezeigt werden. Bei Qualifizierungsbefristungen müssen mindestens 40 Prozent der Arbeitszeit für die eigene Qualifizierung zur Verfügung stehen. Was den Stellenumfang angeht, so sieht die Dienstvereinbarung in Phase nach der Promotion Vollzeitstellen, in der Promotionsphase mindestens 50 Prozent-Stellen vor.

 

„Drei Leuchttürme“ – Kommentar von Andreas Keller

„Auch die Bäume der GEW und ihrer engagierten Kolleginnen und Kollegen vor Ort an Hochschulen und Forschungseinrichtungen wachsen nicht in den Himmel. Dennoch sind Festlegungen, die in Duisburg-Essen, Halle-Wittenberg und Frankfurt (Oder) erreicht werden konnten bemerkenswert. Drei Universitäten sind dabei, sich als attraktive Arbeitgeber zu profilieren, die sich nicht nur um exzellente Forschung und qualitativ hochwertige Lehre Gedanken machen, sondern an die Grundlagen guter Wissenschaft denken: gute Arbeit! Drei Leuchttürme, deren Strahlkraft berechenbare Karrierewegen und stabile Beschäftigungsbedingungen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausmachen.

Mindeststandards für Zeitverträge, kein Missbrauch von Teilzeitbeschäftigung und Lehraufträgen, familienfreundliche Gestaltung von Beschäftigungsbedingungen, Chancengleichheit für Frauen und Männer – wichtige Eckpunkte einer aktiven Personalpolitik, wie sie die GEW im Herrschinger Kodex ‚Gute Arbeit in der Wissenschaft‘ vorgeschlagen hat, wurden aufgegriffen. Es bleibt zu beobachten, wie die Richtlinien und die Dienstvereinbarung umgesetzt werden und inwieweit von Ausnahmeregelungen Gebrauch gemacht wird. Den ersten Schritt aber haben die drei Unis gemacht: Hochschulleitung und Beschäftigte fordern gemeinsam eine aktive Personalpolitik und einen verantwortungsbewussten Umgang mit Zeitverträgen an ihren Einrichtungen ein. Bleibt zu hoffen, dass andere Hochschulen sich jetzt herausgefordert sehen und nachziehen, vielleicht an der einen oder anderen Stelle noch einen Schritt weiter gehen. Insbesondere bei der Frage, wie promovierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern durch einen Tenure Track berechenbare Perspektiven gegeben werden können, gibt es noch Leerstellen.

Weiter ist zu wünschen, dass Bund und Länder – durch die anstehende Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, durch eine Weiterentwicklung der Landeshochschulgesetze, aber auch durch eine verlässliche und verantwortungsbewusste Wissenschaftsfinanzierung – geeignete Rahmenbedingungen setzen und den Hochschulen, die zögern, sich auf einen Kodex ‚Gute Arbeit in der Wissenschaft‘ verpflichten, entsprechende Impulse und Vorgaben machen. Letztlich kommt es aber vor allem auf die Kolleginnen und Kollegen in den Einrichtungen an. Die GEW und ihre Landesverbände sind bereit, Initiativen für einen Kodex ‚Gute Arbeit in der Wissenschaft‘ an Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu unterstützen. Organisiert euch, engagiert euch – es lohnt sich!“