Es findet an den Schulen wieder Präsenzunterricht in reduziertem Rahmen statt. Dabei gelten die entsprechenden Hygiene- und Abstandsregelungen bei mindestens halbierten Gruppen. Die Kitas haben ihre Notbetreuung erweitert. Seit dem 4.6.2020 können auch die viereinhalb-jährigen Kinder in die Kita kommen. Wenn hier auch nicht die Abstandsregelungen eingehalten werden können, so arbeitet man in kleineren Gruppen usw.
Die Stimmen und der Druck – auch auf die Entscheidungsträger*innen - nehmen zu, nun endlich Schulen und Kitas weiter zu öffnen. Diese Forderung ist nachvollziehbar. Eltern können und müssen wieder arbeiten und möchten ihre Kinder gut untergebracht wissen. Die Belastung der häuslichen Betreuung von Kita- und Schulkindern – evtl. bei gleichzeitigem Arbeiten von zu Hause – über diese Dauer wird mehr und mehr spürbar und lässt in einigen Haushalten die Stimmung gegen Null sinken. Die Kinder und Jugendlichen aus schwierigen Lebenssituationen werden durch den fehlenden Präsenzunterricht immer mehr abgehängt. Schüler*innen und Kita-Kinder wollen endlich wieder ihre Freunde sehen und das soziale Leben wieder aufnehmen, das mit Kita und Schule verbunden ist. Es gibt sicher auch Lehrer*innen und Erzieher*innen, die „ihre“ Kinder und Jugendlichen nun endlich einmal wieder sehen wollen. Einige Lehrkräfte werden vielleicht auch die Nase davon voll haben, die ganze Zeit Fern- und Präsenzunterricht, Unterricht für Schüler*innen aus Risikogruppen und die Notbetreuung gleichzeitig zu bewältigen. Alle Interessen sind nachvollziehbar und berechtigt. Andererseits muss erstes Ziel in Schule und Kita sein, das Gesundheitsrisiko für die Beschäftigten und Kinder und Jugendlichen so gering wie möglich zu halten. So lange Hygiene- und Abstandsregelungen in der Öffentlichkeit und auch in den Arbeitsschutz-Regeln des Bundesministeriums für Arbeit, vorgesehen und einzuhalten sind, so lange muss dies auch für Schulen und Kitas gelten.
Für uns als Bildungsgewerkschaft ist dies ein riesiger Spagat. Einerseits sehen wir natürlich, dass die Schüler*innen, die aus schwierigen Lbenslagen kommen, jetzt noch mehr abgehängt werden und es insbesondere für sie wünschenswert wäre, mehr Präsenzschule zu haben. Andererseits haben wir die Aufgabe als Gewerkschaft den Arbeits- und Gesundheitsschutz unserer Mitglieder zu vertreten. Diese Gemengelage wird auch in die an uns gerichteten Mails deutlich.
Gestern Morgen fast zeitgleich trafen zwei Mails ein, die die Spannbreite der Rückmeldungen deutlich macht. Ein Kollege schrieb, es sei ein Unding, die sechs- und siebenjährigen Schüler*innen mit einem Mal Kurzunterricht pro Woche ernsthaft abspeisen zu wollen. Dies erwarte er nicht von einer Bildungsgewerkschaft.
Diese Art der Rückmeldung ist aus den Reihen der Mitglieder allerdings sehr selten. Sie gibt aber die Meinung einiger Teile der Öffentlichkeit wider.
In der anderen Mail wurde uns von einem Mitglied empfohlen, den Konflikt zwischen Recht der Kinder auf Betreuung und Bildung einerseits und das Recht auf körperliche Unversehrtheit für Kita- und Schulpersonal andererseits vor dem Verfassungsgericht klären zu lassen. Er begründete es damit, dass seit Monaten über die Köpfe von Schul- und Kitatätigen hinweg entschieden würde, obwohl die Gewerkschaft differenziert und nachvollziehbar Stellung nähme.
Hinweise dieser Art bekommen wir häufiger. Diese Mitglieder stützen unseren bisher eingeschlagenen Weg, wünschen sich aber ein eindeutiges Zeichen für den Schutz des Personals. Beide Hinweise sind für die GEW wichtig, weil wir so – in Zeiten der Kontaktbeschränkung usw. - mitbekommen, wie an der Basis gedacht wird.
Dem ersten Kollegen möchte ich neben dem Hinweis auf Einhaltung des Arbeits- und Gesundheitsschutz zweierlei entgegnen. Die Kollegien haben auch in der Zeit des alleinigen Fernunterrichts alles gegeben, um den Schüler*innen ihr Recht auf Bildung - so gut es die Situation erlaubte – zu gewährleisten. Und seit einigen Wochen wird mit der Mischung von Präsenz- und Fernunterricht ebenfalls viel dafür getan, die Schüler*innen zu erreichen und ihnen ihr Recht auf Bildung zu garantieren. Besser wäre es sicher gewesen, wenn sich die KMK frühzeitig dazu verständigt hätte, die Prüfungen nicht über alles zu stellen. Dann wäre es möglich gewesen, die jüngeren Schüler*innen eher auch in einen reduzierten Präsenzunterricht zu holen.
Auf die Empfehlung des zweiten Kollegen, die GEW sollte vor das Verfassungsgericht ziehen, muss allgemein gesagt werden, dass diese Verfahren sehr lange dauern können. Trotzdem werden die juristischen Möglichkeiten – nicht nur in dieser Frage – unter den GEW-Rechtsschützer*innen bundesweit und auch im Koordinierungsvorstand der GEW immer wieder beraten und neu eingeschätzt.
In diesem Spannungsfeld agieren wir; deshalb müssen wir die Lage immer wieder neu beurteilen. Wir werden aber daran festhalten, die Corona-Arbeitsschutzregeln des Bundesministeriums für Arbeit auch in Schule und Kita anzuwenden. D.h. es muss für die Schulen überlegt werden, wie es nach den Ferien weitergehen kann, damit einerseits für die Schüler*innen ihr Recht auf Bildung weiter gewährleistet werden kann und gleichzeitig das Gesundheitsrisiko für sie und die Beschäftigten möglichst gering ist. Deshalb wäre es längst an der Zeit sich mögliche Szenarien dafür zu überlegen. Bei diesen Überlegungen sollten die in den letzten vierzehn Wochen gemachten Erfahrungen eine Rolle spielen. Die Arbeit in kleinen festen Gruppen ist gut angekommen. Bestimmte digitale Lernformate sind – trotz vieler Einschränkungen und bei unterschiedlichen Voraussetzungen – ausprobiert worden und nun gilt es zu überlegen, in welcher Form sie weiter in den Unterricht einbezogen werden können. Statt sich in den letzten Tagen noch damit zu befassen, wer von den Schüler*innen in den Ferien 14 Tage in fremden Gruppen, ohne bisherige Bezugspersonen „Stoff nachholen“ soll, wäre eine stärkere Unterstützung nach den Ferien auch pädagogisch angeraten. In den Ferien sollte der Hamburger Ferienpass hochgefahren werden, um den Kindern und Jugendlichen etwas Spielerisch-Spannendes anzubieten. Gerade Denjenigen, deren Eltern keinen Urlaub machen können, wäre das zu wünschen.
Welche Überlegungen stellen die politisch Verantwortlichen für die Zeit nach den Ferien an? Die KMK-Präsidentin Hubig aus Rheinland-Pfalz will die Abstandsregeln in den Schulen abschaffen und den Unterricht nach den Ferien „normal“ hochfahren. In einigen Bundesländern hat man Ähnliches vor oder ist bereits in den Grundschulen damit gestartet. Auch Senator Rabe hat sich schon einige Male in der Presse in dieser Weise geäußert. Als Begründung werden keine neuen Erkenntnisse über das Ansteckungsverhalten oder Krankheitsverläufe von Kindern und Jugendlichen benannt. Auch die weitere Öffnung der Kitas in Hamburg kommt schneller als geplant. Ab dem 18.6.2020 soll es in einen eingeschränkten Regelbetrieb gehen. Leider hat man die erst am 4.6.2020 gemachten erweiterten Öffnungen noch nicht auswerten können. Der Wettlauf der Bundesländer um die schnellsten Öffnungen hat begonnen. Hoffentlich geht dies am Ende nicht nach hinten los. In Rheinland-Pfalz mussten erste Schulen geschlossen werden, weil Schüler*innen und Pädagog*innen sich mit dem Corona-Virus infiziert haben. Ebenso gibt es in Hessen Schulen die deshalb geschlossen wurden oder größere Gruppen in Quarantäne gehen mussten. Am 4.6. war in der Süddeutschen Zeitung und am 7.6. in der Frankfurter Allgemeine davon berichtet worden, dass in Israel nach einem schnellen Shutdown und strikten Einschränkungen die Schulen im Mai wieder geöffnet wurden; ab 3. Mai für ca. 60% der Schüler*innen (aller Schulformen) und ab Mitte Mai für alle Schüler*innen. Es besteht Maskenpflicht. Nun Anfang Juni mehren sich die Covid-19-Fälle bei den Schüler*innen. 87 Schulen in 30 Orten mussten wieder geschlossen werden. Es wird befürchtet, dass es zu einer zweiten heftigen Ansteckungswelle kommt und dies zu einem zweiten Shutdown führen kann.
Aus Hamburg hört man gerüchteweise, dass die BSB mit einer 20köpfigen Arbeitsgruppe an den Vorbereitungen für den Wiederstart der Schulen nach den Ferien arbeitet. Man hört es soll keine einzige Praktikerin bzw. kein einziger Praktiker aus den Schulen dabei sein. Das lässt nichts Gutes ahnen und zeigt einmal mehr, dass die Beteiligung von Schulen, Schulgemeinschaften und Interessenvertretungen nicht gewollt wird.
Für die GEW heißt es weiterhin die Interessen der Beschäftigten in Kita und Schule zu vertreten und dabei natürlich die Kinder und Jugendlichen nicht aus den Augen zu verlieren. Dieser Gratwanderung stellen wir uns weiterhin, damit die Gesundheit aller geschützt wird.
Anja Bensinger-Stolze
Foto: Roland Stolze