Um eine solidarische Praxis zu entwickeln, wird in der GEW Hamburg momentan die Idee eines Austauschprogramms zwischen Geflüchteten und in Deutschland schon tätigen Kolleg_innen diskutiert, das nicht nach dem Aufenthaltsstatus fragt. Interessierte Pädagog_innen könnten zusammenarbeiten, Strukturen der GEW kennenlernen und gemeinsam Schulunterricht, den Kita-Alltag, das Hochschulseminar oder den Nachmittag im Jugendzentrum gestalten. Eingebunden werden soll das Projekt in einen politischen Rahmen, der eine deutliche Kritik am europäischen Migrationsregime einschließt.
Gründe gibt es genug
Unter dem Schlagwort “Flüchtlingskrise” wird seit Monaten das Thema Migration & Flucht verhandelt. Nachdem im Sommer 2015 vielmehr das europäische sogenannte Migrationsmanagement bzw. das Grenzregime in eine Krise geraten ist und für kurze Zeit das Dublin-Verfahren außer Kraft gesetzt war, reagier(t)en Europa und die Bundesregierung mit verstärkter Repression auf die Migrationsbewegung: Zäune wurden errichtet, Grenzkontrollen wieder eingeführt, Fluchtrouten versperrt, neue Länder als sichere Herkunftsländer deklariert[1] und das faktisch schon in den 1990er Jahren abgeschaffte Asylrecht weiter verschärft. Auch jene, die es nach Deutschland geschafft haben, sehen sich staatlichen Repressionen ausgesetzt: so wurde teilweise die Residenzpflicht wieder eingeführt, es werden vermehrt Gutscheine anstatt Bargeld ausgegeben, Abschiebungen werden trotz ärztlicher Bedenken erleichtert und zudem nicht mehr angekündigt, Geflüchtete müssen sich finanziell an den Integrationskursen beteiligen (wenn sie überhaupt Zugang erhalten), der Familiennachzug wird größtenteils verwehrt und es werden Abschiebelager an den Grenzen errichtet. Eine Hierarchisierung von Fluchtgründen anhand der Figur der_s „guten“ und der_s „schlechten“ Geflüchteten und die damit einhergehend variierende Zu- oder Absprache von Rechten weitet sich aus.
Neben der staatlichen nimmt auch die nicht-staatliche rassistische Gewalt an Quali- und Quantität zu: Brennende Unterkünfte, Schüsse auf eine Wohnung im hessischen Dreieich und die Blockierung eines ankommenden Busses im sächsischen Clausnitz sind nur einige Beispiele für die über 900 rassistischen Angriffe seit Anfang 2015. Die Täter_innen sind, wie einer der wenigen aufgeklärten Fälle in Escheburg zeigt, nicht nur in der extremen Rechten, sondern auch unter den so genannten besorgten Bürger_innen zu suchen. Diese rotten sich zusammen und bilden stets dort, wo eine neue Unterkunft entsteht, Protest-Initiativen, die je nach Habitus gewaltsam vorgehen oder vor Gericht ziehen. In Hamburg haben sich derzeit diverse Stadtteilinitiativen unter dem Dachverband IfI zusammengeschlossen, um Großunterkünfte zu verhindern. Hinter dieser zunächst progressiv erscheinenden Forderung ist jedoch auf den zweiten Blick die Forderung einer Obergrenze zu erkennen, wie in dem Artikel Tiefgaragen zuerst für Deutsche! in dieser Ausgabe dargestellt. Während die IfI in ihrer Außendarstellung noch stark darauf bedacht ist, derlei Ziele bzw. Beweggründe in ihrem vermeintlichen Bemühen um die Integration von Geflüchteten zu implizieren, treten gesellschaftliche Rassismen an anderer Stelle so offen zu Tage wie seit Langem nicht mehr. Die Grenze des Sagbaren hat sich weit nach rechts verschoben, wenn wie in Bornheim männlichen Geflüchteten der Zutritt zum öffentlichen Schwimmbad versagt wird. Diese Tendenz zeigt sich auch in den Ergebnissen der letzten Landtagswahlen: Die AFD sitzt mittlerweile in acht Landparlamenten.
Im letzten Jahr sind aber auch viele Hilfsinitiativen entstanden, die ehrenamtlich die Grundversorgung übernehmen. Menschen, die bisher nicht sozial und/oder politisch aktiv waren, organisieren sich und übernehmen staatliche Aufgaben. Das ist wichtig und richtig. Eine Politisierung dieser humanitären Hilfe findet jedoch nicht immer statt und führt zu Konflikten zwischen oder innerhalb der einzelnen Inis. Viele der Menschen, die konkrete Unterstützung leisten, verstehen ihr Handeln als unpolitisch, obwohl sie sich teilweise mit ihren Aktionen am Rande der Legalität befinden. Die derzeitigen desaströsen Umstände sind jedoch ein Resultat einer auf Mikro-, Meso- und Makroebene rassistischen Alltagspraxis. Wenn nicht die Aufrechterhaltung des Status quo das Ziel ist, muss humanitäre Unterstützung in einen politischen Rahmen gesetzt werden.
Gewerkschaften als gesellschaftspolitische Akteurinnen
Auch Gewerkschaften als gesellschaftspolitische Akteurinnen sind hier in der Verantwortung auf die aktuellen Zustände aufmerksam zu machen, Position zu beziehen und ihre eigenen Strukturen zu nutzen, zu öffnen und zu verändern. Fragen sozialer Ungleichheit dürfen nicht gegeneinander ausgespielt, sondern müssen zusammen gedacht werden. Auch wenn die derzeitigen Ereignisse in Zahl und Intensität erschlagend wirken, sollten wir nicht resignieren, sondern der rassistischen Grundstimmung ein alternatives Projekt entgegensetzen. In Bezug auf die GEW Hamburg hieße dies, Geflüchteten Zugang zu gewähren, institutionell, strukturell und inhaltlich. Gremien müssen geöffnet und Zugänge diverser werden, Infomaterial und Veranstaltungen mehrsprachig organisiert und Raum für Austausch und neue Themen geschaffen werden, damit ein solidarischer Kampf möglich ist, der auch die vielen selbstorganisierten Kämpfe von Refugees, wie der Gruppe Lampedusa in Hamburg, aufgreift. Es gilt, kreativ zu sein und die eigenen Ressourcen und Strukturen auch unkonventionell zu nutzen. Andere Gewerkschaften haben vorgemacht, wie dies aussehen kann: So fordert der amerikanische Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO von Arbeitgeber_innen, dass diese für alle Beschäftigten Bankkonten einrichten, was illegalisierten Kolleg_innen aufgrund ihres Aufenthaltstatus nicht möglich ist. Die spanischen Verbände CC.OO und UGT koalieren seit Jahren mit Menschenrechts- und Migrant_innenorganisationen und kämpfen mit diesen solidarisch für die Legalisierung. Andere Gewerkschaften stellen ihre Häuser als Meldeadresse und/oder Raum zur Verfügung. Dies sind nur einzelne Beispiele, Möglichkeiten gibt es viele!
Here to participate!
Refugees und Aktive aus der GEW Hamburg initiieren gerade ein Programm, das sowohl die Gewerkschaft, als auch das Berufsfeld „Bildung“ für Geflüchtete öffnen soll.
Zum einen soll Geflüchteten, die im Bildungsbereich tätig waren oder dies anstreben, mit oder ohne Arbeitserlaubnis, die Organisierung innerhalb der GEW theoretisch und praktisch ermöglicht werden. Dies soll über eine symbolische Mitgliedschaft hinausgehen und auch Strukturen und Gremien für Kolleg_innen mit Fluchterfahrung zugänglich machen, um so eine aktive Mitarbeit zu ermöglichen.
Zum anderen sollen Wege in die Berufswelt – ob in der Schule, der Kita oder in der Sozialarbeit – geebnet werden. Geflüchtete Lehrer_innen sollen die Möglichkeit bekommen via Hospitationen Einblicke ins deutsche Bildungssystem (z.B. an Schulen) zu gewinnen, gegebenenfalls auch Unterricht selbst gestalten, Kontakte knüpfen und eigene Erfahrungen einbringen können. Mit dem „Here to participate!“ GEW-Refugee-Buddy-Programm soll so ein Austausch von geflüchteten und nicht-geflüchteten Pädagog_innen auf Augenhöhe – wenn auch unter ungleichen gesellschaftlichen Bedingungen – hergestellt werden.
Um die neuen Kolleg_innen als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft anzuerkennen und ihnen eine Partizipation in allen Bereichen zu ermöglichen, geht es außerdem darum, gemeinsam für ihre institutionelle Gleichstellung zu kämpfen: Für Bleiberecht und Arbeitserlaubnis.
Auf den bisherigen Vernetzungstreffen nahmen neben Refugees auch Lehrer_innen und Kolleg_innen aus verschiedenen GEW-Zusammenhängen teil und konzipierten erste Grundzüge des geplanten Programms. Am 25. April wird das „Here to participate“-Programm dem Gewerkschaftstag vorgestellt und beantragt werden, es in der GEW Hamburg zu etablieren.
Zudem sind alle interessierten Kolleg_innen mit und ohne Fluchterfahrungen eingeladen, zu einem offenen Informationstreffen am 23. Mai um 17.30 ins Curiohaus zu kommen. Neben Informationen zum deutschen Bildungssystem wird dort die Möglichkeit geschaffen, Buddy-Tandems zu bilden und konkrete Schritte der Partizipation zu planen.
Bei Interesse an dem „Here to participate“-Programm melde Dich mit einer kurzen Beschreibung deines Interesses. Außerdem sind Menschen gesucht, die Übersetzungsarbeiten anbieten können.
[1] September 2014: Serbien, Bosnien & Herzegowina, Mazedonien; Oktober 2015: Kosovo, Montenegro, Albanien; Februar 2016: Tunesien, Marokko, Algerien.