Die Unterscheidung in gewöhnliche und politische Streiks legt bereits nahe, dass es sich beim politischen Streik um eine Sonderform des Streiks handele. Diese Sonderbehandlung des politischen Streiks ist allerdings schon das Ergebnis einer Politik, die zulässige und legitime Streiks von illegitimen unterscheiden will. Diese Unterscheidung ist in Deutschland zwar besonders ausgeprägt, jedoch erst seit den 1950er Jahren. Zu Beginn der Arbeiter*innenbewegung waren die Unternehmer bemüht, Streiks generell verbieten zu lassen. Das machte im Grunde jeden Streik politisch. So wurden die ersten großen Streikwellen in Deutschland zwischen 1869 bis 1872 auch militärisch niedergeschlagen.
Generalstreik für das allgemeine Wahlrecht
Als die klassische Erscheinungsform des politischen Streiks gilt der Generalstreik in Belgien im Jahr 1883, bei dem 250.000 Arbeiter die Einführung des allgemeinen Wahlrechts forderten. Es folgten in den kommenden Jahren in Europa zahlreiche Streiks für das Wahlrecht (Schweden 1902, Belgien 1902) oder gegen staatliche Repression (Niederlande 1903, Italien 1904). Diese Streikwelle löste in der deutschen Arbeiter*innenbewegung eine lebhafte Diskussion darüber aus, wann Generalstreiks oder politische Streiks eingesetzt werden sollten.
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JÖRG NOWAK ist Politikwissenschaftler an der Universität Brasília und forscht zu Streiks, kollektiven Mobilisierungen und sozialen Konflikten. Er hat Bücher über Streiks in Europa sowie Massenstreiks in Indien und Brasilien veröffentlicht.
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[Der vollständige Artikel findet sich in der hlz Mai-Juni 2023, S. 17 f.]