„Für eine volle Stelle muss ich 50 Unterrichtsstunden unterrichten – und das für 2900 Euro brutto monatlich. Die Vor- und Nachbereitungszeit wird gar nicht bezahlt!“ – „Ich bekomme nur etwas mehr als 29 Euro Honorar für die Unterrichtsstunde, und da ich alle Sozialversicherungen ohne Arbeitgeberzuschuss allein tragen muss, verdiene ich rechnerisch weniger als den Mindestlohn!“
Mit diesen und ähnlichen Aussagen von Beschäftigten in der Weiterbildung begann das Tribunal Weiterbildung, eine gut besuchte GEW Diskussionsveranstaltung mit Beschäftigten, Wissenschaft und Hamburger Fachpolitiker*innen. Es wurde sofort deutlich, wie dramatisch die Arbeitsbedingungen in diesem Sektor des Bildungswesens sind.
Dr. Claudia Liehr-Molwitz (DazDaf Bündnis) wies ergänzend auf die zersplitterte Anbieterstruktur in de Weiterbildung hin: es gibt kaum Betriebs- oder Personalräte, die Interessenvertretung der Beschäftigten ist daher schwierig. Sowohl bei Honorar- als auch bei Angestelltenbeschäftigung herrschen desolate Arbeitsbedingungen.
Dr. Andreas Martin (Deutsches Institut für Erwachsenenbildung) lieferte Rahmendaten aus seinen wissenschaftlichen Untersuchungen: In der Weiterbildung arbeiten mit knapp 700.000 Beschäftigten bundesweit etwa so viele Menschen wie im Schulwesen, für die Hälfte von ihnen ist es die Haupterwerbsquelle. Etwa drei Viertel der Lehrkräfte in der Weiterbildung arbeiten als Honorarkräfte, es gibt viele Scheinselbstständige und Menschen, die ihre Sozialversicherungen nur unzureichend oder gar nicht bedienen können. Obwohl gut 70 % der Beschäftigten in der Weiterbildung Akademiker*innen sind, sind die Einkommen im Schnitt niedrig.
Was tut nun die Hamburger Politik, um Verbesserungen bei diesen Arbeitsbedingungen zu erreichen? Neben dem Entsetzen über die dargestellten Bedingungen waren sich die Fachpolitiker*innen einig, dass die Weiterbildung in der letzten Legislatur zu wenig bis gar nicht im Fokus der Politik war. Das soll in der nächsten Legislatur dringend anders werden.
Kazim Abaci (SPD, integrationspoltischer Sprecher) betonte die Wichtigkeit der Weiterbildung gerade für Integrationsprozesse und kündigte eine Überarbeitung des Hamburger Vergabegesetzes in Richtung auf Tarifbindung an. Außerdem soll nach dem Willen der SPD die Honorarerhöhung für die Dozent*innen der VHS auch in den nächsten Haushaltsjahren fortgesetzt werden.
Olaf Duge (GRÜNE, bildungspolitischer Sprecher) verwies auf die Bedeutung lebenslangen Lernens. Die Grünen werden sich für eine Bezahlung von Vor- und Nachbereitung in der Weiterbildung (Stichwort Faktorisierung der Unterrichtsstunden) einsetzen und die Möglichkeit prüfen, dass die Lehrkräfte sich über die Künstlersozialkasse oder ein ähnliches Solidarsystem versichern können.
Marino Freistedt (CDU, Deputierter der Behörde für Schule und Berufsbildung) zeigte sich entsetzt über die Beschäftigungsbedingungen und forderte die Beteiligung der Honorargeber an der Sozialversicherung.
Sabine Boeddinghaus (LINKE, bildungspolitische Sprecherin) kündigte eine Initiative ihrer Fraktion für ein Hamburger Weiterbildungsgesetz an und verwies darauf, dass die Regierungsfraktionen beispielsweise Anträge der Linken für Honorarerhöhung und bessere Ausstattung in der Volkshochschule trotz aller Sonntagsreden abgelehnt hätten.
Anja Bensinger-Stolze (GEW Vorsitzende Hamburg) fasste die GEW Forderungen an die Hamburger Politik für die Weiterbildung zusammen:
- Bundesratsinitiative für eine Tarifbindung bei öffentlich geförderten Aufträgen und Bildungsmaßnahmen
- Hamburger Tariftreue-Gesetz
- Erhöhung des Landeshaushaltes für Weiterbildung auf mindestens 1 % des Bildungsetats (von etwa 0,46 % 2014, GEW-Berechnung)
- VHS:
- Erhöhung der Honorare der arbeitnehmerähnlich Beschäftigten von jetzt knapp 30 auf 38 € als absolut unterste Haltelinie und Überführung in sozialversicherungspflichtigen Festanstellungsverhältnissen (langfristiges Ziel
- Zuschüsse zur Sozialversicherung
- Ausfallhonorar für Krankheit
- Finanzierung des Mehrbedarfes der VHS durch Erhöhung des Zuschusses der Landesregierung - Einstiegsmöglichkeit aus dem DAZ-DAF-Bereich in den Schuldienst:
- Anerkennung des DaZ/DaF-Studiums als eigenständiges Unterrichtsfach
- Einstieg mit A bzw. E 11/ längerfristig auf A bzw. E 13 (nach Fortbildungsgarantie und Laufbahnbeschreitung [2 Fächer])
Anja Bensinger-Stolze sagte: „Die Hamburger Politik muss endlich zur Kenntnis nehmen, dass es sich bei der Weiterbildung nicht vorwiegend um Hobbykurse handelt, sondern um hochprofessionelle Lehrtätigkeit in wichtigen gesellschaftlichen Bereichen. Die Arbeitsbedingungen sind dort vielfach skandalös. Das muss dringend anders werden, dafür wird die GEW weiter mit den Beschäftigten kämpfen!“
Fotos: Dirk Mescher
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