Hamburg braucht qualitativ hochwertige Weiterbildungsangebote. Weiterbildung muss für alle zugänglich sein, unabhängig von der sozialen Herkunft und vom finanziellen Hintergrund. Nur so ist es möglich, die Herausforderungen des Arbeitsmarktes durch den Fachkräftemangel, digitale Transformationen und Klimawandel zu bewältigen. Niemand darf im Strukturwandel zurückgelassen werden. Hier bedürfen die gering Qualifizierten und Personen mit Migrationshintergrund besonderer Unterstützung, um nicht den Anschluss zu verlieren. Nur so ist es möglich, Staatsverdrossenheit und antidemokratischen Kräften entgegenzuwirken sowie die Demokratie zu stärken. Die Beschäftigten in der Weiterbildungsbranche sind hierfür die wesentlichen, aber nicht gewürdigten Leistungsträger*innen, die dafür sorgen, dass Weiterbildung gelingen kann. Ihre Arbeitsbedingungen müssen den Kriterien Guter Arbeit entsprechen.
Fachkräftemangel als Wachstums- und Innovationsbremse
In welche Branche wir auch schauen, nahezu überall herrscht deutlicher, zum Teil dramatischer Fachkräftemangel. Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) konnten im ersten Quartal 2022 mehr als 550.000 Stellen nicht besetzt werden. Ein Rekordwert. Mit deutlich negativen Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum und die Umsetzung der dringend benötigten Innovationsprozesse bei der Dekarbonisierung und Digitalisierung. Um diesem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, muss die Qualifizierung der hier lebenden Menschen, auch der zugewanderten, deutlich verbessert werden.
Prekäre Beschäftigung in der Weiterbildungsbranche
Laut Branchenreport Weiterbildung (2018) sind Lehrende in dieser Branche bundesweit nur zu 28 % in sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen beschäftigt. Knapp 60 % der Beschäftigten arbeitet in prekär bezahlten Honorarverträgen. Obwohl fast 70 % der Beschäftigten in der Branche Akademiker*innen sind, ist ihr Einkommen im Schnitt weit entfernt von den Einkommen im Öffentlichen Dienst für vergleichbare Tätigkeiten.
Politische Bildungsangebote sind in Hamburg nicht ausreichend gefördert
Politische Weiterbildung ist für den gesellschaftlichen Zusammenhalt essentiell. Sie bildet die Basis für die Reflexion und das Beurteilen gesellschaftlicher Prozesse und komplexer Sachverhalte. In Zeiten des Wandels treten Unsicherheiten und Ängste auf. Die Lösungsstrategien sind Bildung, Aufklärung und das Aufzeigen von Mitwirkungsmöglichkeiten. Bedauerlicherweise führt die politische Bildung in Hamburg ein Nischendasein, wird weder ausreichend noch dauerhaft genug gefördert.
Grundbildung stärken und verstetigen
Der rot-grüne Koalitionsvertrag von 2020 hebt die Wichtigkeit der Grundbildung hervor: »Die Koalitionspartner sind sich darüber einig, dass der Grundbildung elementare Bedeutung zukommt. Lesen, Schreiben, Rechnen, finanzielle und digitale Kompetenzen sind die Grundlage für ein erfolgreiches Berufsleben.« Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Gerade für diesen Bereich sind Investitionen nachhaltig, weil sie es ermöglichen, einerseits die bekannten Defizite der schulischen Selektivität zu Teilen auszugleichen und andererseits den Fachkräftemangel zu verringern. Gerade bei dieser Zielgruppe von Bildung ist es für den Lernerfolg zudem außerordentlich wichtig, dauerhafte Stellen zu finanzieren, weil hier die Notwendigkeit einer engen Bindung zwischen Teilnehmenden und den Lehrenden für den Lernerfolg besonders hoch ist.
Was kann Hamburg tun?
Das langfristige Ziel: Eine grundlegende Aufwertung aller Bereiche von Weiterbildung zu einem eigenständigen Bildungsbereich. Die einzelnen Bereiche sollten gleichwertig behandelt werden und unter dem Oberbegriff ›Weiterbildung/ Erwachsenbildung‹ zusammengefasst werden. Sprach- und Integrationskurse, Berufliche Bildung, politische Bildung und Grundbildung sind gesellschaftliche Daueraufgaben, die entsprechend dauerhaft finanziert werden müssen, um dort auch Festbeschäftigung zur Regel zu machen.
Hamburgs Verantwortung: Gute Arbeit auch für die Weiterbildung Die zahlreichen, den Gewerkschaften vorliegenden Berichte aus den Betrieben zeigen einhellig ein enormes Defizit an ›Guter Arbeit‹ für diesen Bereich. Hier muss die Politik ansetzen. Gute Arbeit ist beim geförderten Weiterbildungsmarkt abhängig von den Förderhöhen und -bedingungen durch Bund und Stadt. Zurzeit zwingen die Ausschreibungsbedingungen die Unternehmen dazu, Lehrende so prekär wie möglich einzusetzen. Betroffen sind Träger von SGB-II/ III-Maßnahmen, der politischen Bildung, der VHS, der Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache- Kurse sowie der Integrations- und Grundbildungskurse. Für die Bereiche, in denen die Stadt unmittelbaren Einfluss nehmen kann, etwa bei der VHS Hamburg oder im Rahmen der Politischen Bildung und der Grundbildung, fordern wir:
- Die Erhöhung der zugrunde gelegten Honorarsätze, so dass (auch teilöffentliche) Träger nicht gezwungen sind, prekäre Beschäftigung zu praktizieren
- Die Berücksichtigung von Vor- und Nachbereitungszeit von Unterrichtsstunden (nicht mehr als 25 UE pro Vollzeitstelle) und bei arbeitnehmerähnlich Lehrenden eine hälftige Beteiligung der Unternehmen an Sozialversicherung und Ausfallhonoraren.
- Tarifbindung als Vergabekriterium für öffentlich finanzierte Aufträge
- Refinanzierung zukünftiger Tariferhöhungen öffentlich geförderter Weiterbildung
- Verstetigung der Förderung erfolgreicher Projekte von Grundbildung und Politischer Bildung, die Festbeschäftigung zum Regelfall machen.
Ein Weiterbildungsrat für Hamburg
Struktur und Vereinbarungen zu Weiterbildung sollten von den vielen Akteur*innen in Hamburg gemeinsam getragen und beraten werden. Diesen Ansatz, alle an einen Tisch zu holen, verfolgen auch die für den aktuellen Prozess der Entwicklung einer Hamburger Weiterbildungsstrategie Verantwortlichen. Um diese Mitsprache der Akteur*innen langfristig beizubehalten, sollte Hamburg einen Weiterbildungsrat einrichten, in dem alle wichtigen Akteur*innen aus allen Bereichen der Erwachsenbildung dauerhaft zusammenarbeiten. Nach wie vor plädieren wir für ein Weiterbildungsgesetz, in dem Hamburg zusammen mit den o.g. Akteur*innen seine Entwicklungsziele definiert und kontinuierlich Mittel zur Verfügung stellt, diese Ziele auch zu erreichen.
Fazit
Der Senat sollte in der Erwachsenen- und Weiterbildung mutig erste Schritte machen, wie bei dem Beschluss, für die Beschäftigten der Stadt bereits 2018 den 12 €-Mindestlohn einzuführen. Seit 2020 ist dessen Einhaltung in Hamburg Bedingung für die Vergabe öffentlicher Aufträge. Es ist an der Zeit, diesen Schritt auch in der Erwachsenen- und Weiterbildung zu gehen!
Tanja Chawla, Vorsitzende des DGB Hamburg und Sven Quiring, Vorsitzender der GEW Hamburg
Der Artikel erschien in der hlz 9-10/2022, S.58 f.