Bis zur Jahrtausendwende waren die Träger der beruflichen Erwachsenenbildung wie Grone, DAA, die TÜV-Akademien, das bfw des DGB, das BFZ Essen oder die DEKRA-Akademie angesehene Bildungseinrichtungen, für Lehrer*innen durchaus eine attraktive Alternative zum Schuldienst. Dort gab es tariflich geregelte Entlohnungs- und Beschäftigungsbedingungen, vergleichbar mit denen der staatlichen Schulen. 25 Unterrichtsstunden waren üblich, die Eingruppierung für Lehrkräfte nach dem damaligen BAT IIa (wie bei angestellten Lehrer*innen im öffentlichen Dienst) weit verbreitet. Die Hamburger Stiftung Berufliche Bildung (SBB) beispielsweise gewann 1999 einen angesehenen Preis für Innovation in der Erwachsenenbildung.
Das klingt heute wie ein Märchen aus einem fernen Zeitalter. Aber die Geschichte hatte kein Happy- End: Solide Arbeitsbedingungen, hohes Qualitätsniveau, regelmäßige Fortbildungen – das hatte natürlich seinen Preis. Und der war der damaligen rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer in ihrer Hartz-Kahlschlagpolitik ein Dorn im Auge. Arbeitsmarktpolitik sollte billiger werden, Arbeitslosigkeit sollte vor allem durch kurzfristig wirkende Maßnahmen bekämpft werden. Die Bundesregierung setzte nicht mehr auf Qualifizierung, sondern auf Disziplinierungsmaßnahmen gegenüber den Arbeitslosen und die Schaffung eines Niedriglohnsektors.
Längerfristig wirkende Fördermaßnahmen, ein Baukastensystem für gering Qualifizierte mit dem Ziel der Reintegration in zunehmend anspruchsvollere Jobs, passgenaue Berufsausbildungen und Umschulungen – alles war auf einmal teurer und nutzloser Sozialklimbim, gefragt war jetzt, Arbeitslose so schnell wie möglich in schlecht bezahlte Einfachjobs oder in die Scheinselbständigkeit zu schieben. Gut für die Statistik – schlecht für die Betroffenen.
Das hatte Auswirkungen auf den Bereich der beruflichen Weiterbildung: So kritisiert ein damaliges Flugblatt von GEW und ver.di die bereits deutlich spürbaren Folgen dieser Kahlschlagpolitik: Die milliardenschweren Streichungen im Eingliederungshaushalt der Jahre 2003 und 2004 und die neuen gängelnden Regelungen beförderten gerade nicht die (Re-)Integration in den ›Arbeitsmarkt‹, sondern führten zur Verstärkung der Ausgrenzung (gerade auch von Frauen und Menschen mit benachteiligenden Erwerbsbiographien). Der damals neue »Bundesdurchschnittskostensatz und die bundesweite Ausschreibung von Weiterbildungskursen nach dem Günstigkeitsprinzip« (d.h. nach dem Prinzip, dass der billigste Anbieter den Zuschlag erhält, solange er die geforderten Minimal-Qualitätsstandards irgendwie einzuhalten verspricht) erlegten den Weiterbildungsträgern »existenzgefährdende Preissenkungen« auf, die diese dann – na, wer hätte es gedacht – durch Einsparungen von Personalkosten aufzufangen suchten.
Dies blieb natürlich nicht ohne Proteste. GEW und ver.di riefen gemeinsam zu Kundgebungen und Demonstrationen auf, so beispielsweise am 6. November 2003 zu einem bundesweiten Aktionstag Für den Erhalt der beruflichen Weiterbildung. Es wurden Betriebsversammlungen in den Weiterbildungseinrichtungen ausgerufen sowie eine ›education parade‹ veranstaltet, mit den »Trauerstücken ›Rot-Grün im Arbeitsmarkt-Reformrausch‹ sowie ›Chronik eines angekündigten Todes – in Memoriam Weiterbildung‹«, wie das Flugblatt der GEW und ver.di zum Aktionstag in Hamburg mit bitterem Witz ankündigte.
Leider waren diese Proteste nicht erfolgreich, auch weil es damals keine parlamentarische Opposition mehr gab – Rot-Grün machte ja nun die Politik, die CDU/CSU und FDP unter Kanzler Kohl (noch) nicht gewagt hatten. In der Folge wurden etwa 100.000 Beschäftigte der Erwachsenenbildung arbeitslos. Oder sie blieben in der nun neoliberalisierten Branche, allerdings ›freiberuflich‹ ohne soziale Absicherung oder im Angestelltenverhältnis zu Gehältern, die vor 2003 ihrem Arbeitslosengeld entsprochen hätten.
Diese prekären Beschäftigungsverhältnisse in der der staatlich verantworteten Weiterbildung dominieren bis heute: »Etwa drei Viertel der Lehrkräfte in der Weiterbildung arbeiten als Honorarkräfte, es gibt viele Scheinselbstständige und Menschen, die ihre Sozialversicherungen nur unzureichend oder gar nicht bedienen können. Obwohl gut 70 % der Beschäftigten in der Weiterbildung Akademiker*innen sind, sind die Einkommen im Schnitt niedrig«, so Dr. Andreas Martin vom Deutschen Institut für Erwachsenenbildung auf einer Veranstaltung der GEW Hamburg im Jahr 2019.
Fazit: Zur Sicherung der Lebensbedingungen der Lehrenden wie zur Qualitätssicherung der Weiterbildungsmaßnahmen ist es unabdingbar, die Kolleg*innen in der staatlich verantworteten Weiterbildung wieder anständig zu bezahlen und eine bedarfsorientierte Vor- und Nachbereitung im Kostenschlüssel vorzugeben. Das ist keine wirklichkeitsfremde Forderung – es war lange Zeit üblich und der Qualität förderlich.
Detlev Zunker, Sprecher der GEW-Fachgruppe Erwachsenenbildung
Der Artikel erschien in der hlz 9-10/2022, S.38 f.
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