Detlef Zunker hielt auf der 1.-Mai-Auftaktkundgebung 2023 für die GEW eine Rede zur Lage der Erwachsenenbildung in Hamburg:
Rede auf der 1.-Mai-Auftaktkundgebung von Detlef Zunker
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir sind dem DGB Hamburg sehr dankbar, dass wir als GEW Hamburg diesen Beitrag über die Lage der Erwachsenenbildung (nicht nur hier in Hamburg) halten dürfen.
„Ungebrochen solidarisch“ ist das Motto der diesjährigen 1.-Mai-Kampagne des DGB in ganz Deutschland. Das ist ein sehr passendes Motto für diesen Beitrag für eine Branche, über deren Arbeitsbedingungen nur selten gesprochen wird, denn wir können mit unseren nicht das öffentliche Leben lahm legen!
Ich zitiere aus dem zentralen Aufruf des DBG:
„Gute, existenzsichernde Löhne und faire Arbeitsbedingungen gibt es nur mit Tarifverträgen. Sie sind der Schlüssel für einen fairen Wandel und bieten den besten Schutz vor Krisen. Deshalb fordern wir von der Bundesregierung einen Aktionsplan zur Steigerung der Tarifbindung auf mindestens 80 Prozent. Durch Tarifverträge und Mitbestimmung gestalten wir die Transformation demokratisch. Statt über unsere Köpfe hinweg muss auch am Arbeitsplatz mit uns gemeinsam entschieden werden. Nur so kann ein gerechter Wandel gelingen.“
Und außerdem: „Es darf nicht sein, dass die Hauptlasten der Krise den Beschäftigten aufgebürdet werden.“
Und damit haben wir die perfekte Überleitung zur Weiter- oder Erwachsenenbildung, denn diese ist für den ökologische Umbau unserer VWL essentiell. In ihr arbeiten, was wenig bekannt ist, bundesweit ca. 600.00 Kolleg*innen, etwa genauso viel wie in der schulischen Bildung, in Hamburg etwa 16.000. Sie hat aber in der Politik keine Lobby, weil auch der größte Teil ihrer Zielgruppe (Arbeitslose, Bildungsbenachteiligte und Eingewanderte keine Lobby) hat.
Unsere Arbeitsbedingungen stehen in extremem Widerspruch zu der von allen Seiten in Sonntagreden genannten gesellschaftlichen Bedeutung. Fehlende Tarifverträge über den Mindestlohn Weiterbildung hinaus sind kennzeichnend für diese Branche, die durch Niedrighonorare und -Löhne und extrem schlechte Arbeitsbedingungen (häufig 40 U-Stunden bei einer Vollzeitstelle) gekennzeichnet ist.
Zuerst ein paar grundsätzliche Bemerkungen zur Bedeutung der Weiterbildung aus gewerkschaftlicher (und gesellschaftlicher) Sicht
Weiterbildung muss für alle zugänglich sein, unabhängig von der sozialen Herkunft und vom finanziellen Hintergrund. Nur so ist es möglich, die Herausforderungen des Arbeitsmarktes durch den Fachkräftemangel, digitale Transformationen und Klimawandel zu bewältigen.
Niemand darf im Strukturwandel zurückgelassen werden. Hier bedürfen die gering Qualifizierten und Personen mit Migrationshintergrund besonderer Unterstützung, um nicht den Anschluss zu verlieren. Nur so ist es möglich, Staatsverdrossenheit und antidemokratischen Kräften entgegenzuwirken sowie die Demokratie zu stärken.
Die Beschäftigten in der Weiterbildungsbranche sind hierfür die wesentlichen, aber nicht gewürdigten Leistungsträger*innen, die dafür sorgen, dass Weiterbildung gelingen kann. Ihre Arbeitsbedingungen müssen den Kriterien gute Bedingungen für gute Arbeit entsprechen!
Fachkräftemangel als Wachstums- und Innovationsbremse, auch in der Weiterbildung
In welche Branche wir auch schauen, nahezu überall herrscht deutlicher, zum Teil dramatischer Fachkräftemangel. Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) konnten im ersten Quartal 2022 mehr als eine halbe Mio. Stellen nicht besetzt werden. Ein Rekordwert. Und der dürfte für das erste Quartal 2023 nicht geringer geworden sein.
Mit deutlich negativen Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum und die Umsetzung der dringend benötigten Innovationsprozesse beim ökologischen Umbau und Digitalisierung. Um diesem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, muss die Qualifizierung der hier lebenden Menschen, auch der zugewanderten, deutlich verbessert werden. Das geht aber nur bei deutlich verbesserten Bedingungen für die Kolleg*innen!
Denn wir haben dort Prekäre Beschäftigung in der Weiterbildungsbranche.
Laut Branchenreport Weiterbildung (von 2018) sind Lehrende in dieser Branche bundesweit nur zu 28% in sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen beschäftigt. Schlechter sieht es in keine anderen Branche Deutschlands aus. Knapp 60% der Beschäftigten arbeitet in prekär bezahlten Honorarverträgen. Die Vor- und Nachbereitungszeiten werden in den Honorarsätzen nicht berücksichtigt. Deshalb gibt es keine. Wer es trotzdem macht, leistet diese Arbeit ehrenamtlich. Hinzu kommen massiv gestiegene Lebenshaltungskosten, welche sich in den Honorarsätzen nicht widerspiegeln.
So kann es nicht weitergehen!
Obwohl fast 70% der Beschäftigten in der Branche Akademiker*innen (mit einem extrem hohen Anteil von Frauen; in den Berufssprachkursen sind es ca. 80%), ist ihr Einkommen im Schnitt weit entfernt von den Einkommen im Öffentlichen Dienst für vergleichbare Tätigkeiten.
Das ist ein Skandal.
Und er hat zu einer Abwanderung der Kolleg*innen aus dieser Branche geführt, da sich viele die Arbeit dort nicht mehr leisten können und sie für viele ein Raubbau an der Gesundheit ist!
Das ist das Gegenteil von Zukunftsorientierung!
Erwachsenen- und Weiterbildung ist aber mehr als die wichtige Aufgabe der Bekämpfung des Fachkräftemangels. Dazu gehört auch
Die Politische Bildung
Diese ist für den gesellschaftlichen Zusammenhalt essentiell. Sie bildet die Basis für die Reflektion und das Beurteilen gesellschaftlicher Prozesse und komplexer Sachverhalte. Unsicherheiten und Ängste treten in Zeiten des Wandels auf. Die Lösungsstrategien sind Bildung, Aufklärung und das Aufzeigen von Mitwirkungsmöglichkeiten. Bedauerlicherweise führt die politische Bildung in Hamburg ein Nischendasein, sie wird weder ausreichend noch vor allem dauerhaft genug gefördert. Ein Brain-Drain, eine Abwanderung ist auch hier die Folge!
„Grundbildung stärken und verstetigen“
Steht im rot-grünen Koalitionsvertrag von 2020. Dieser hebt die Wichtigkeit der Grundbildung hervor: Zitat: »Die Koalitionspartner sind sich darüber einig, dass der Grundbildung elementare Bedeutung zukommt. Lesen, Schreiben, Rechnen, finanzielle und digitale Kompetenzen sind die Grundlage für ein erfolgreiches Berufsleben.«
Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Gerade für diesen Bereich sind Investitionen nachhaltig. Sie ermöglichen es , einerseits die bekannten Defizite der schulischen Bildungsungerechtigkeiten zu Teilen auszugleichen und andererseits den Fachkräftemangel zu verringern.
Gerade bei dieser Zielgruppe von Bildung ist es für den Lernerfolg zudem außerordentlich wichtig, dauerhafte Stellen zu finanzieren, weil hier die Notwendigkeit einer engen Bindung zwischen Teilnehmenden und den Lehrenden für den Lernerfolg besonders hoch ist. (Dies kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen…) Doch auch hier dominiert die zeitlich befristete Projektförderung. Abwanderung ….
Was kann Hamburg tun?
Das langfristige Ziel: Eine grundlegende Aufwertung aller Bereiche von Weiterbildung zu einem eigenständigen Bildungsbereich. Die einzelnen Bereiche sollten gleichwertig behandelt werden und unter dem Oberbegriff ›Weiterbildung/ Erwachsenbildung‹ zusammengefasst werden. Sprach- und Integrationskurse, Berufliche Bildung, politische Bildung und Grundbildung sind gesellschaftliche Daueraufgaben, die entsprechend dauerhaft finanziert werden müssen, um dort auch Festbeschäftigung zur Regel zu machen.
Merke: Bildungsarbeit braucht Dauerbeschäftigung!!!
Was Hamburg tun kann: Gute Arbeitsbedingungen auch für die Weiterbildung endlich umsetzen
Die zahlreichen, uns vorliegenden Berichte aus den Betrieben zeigen einhellig ein enormes Defizit an ›Guter Arbeit‹ für diesen Bereich. Hier muss der Senat und die Politik ansetzen.
Zurzeit zwingen die Ausschreibungsbedingungen die Unternehmen dazu, Lehrende so billig wie möglich zu beschäftigen. Betroffen sind Träger von SGB-II/III-Maßnahmen, der politischen Bildung, der VHS, der Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache-Kurse sowie der Integrations- und Grundbildungskurse, überall, wo der Staat die Finanzmittel zur Verfügung stellt, und die Rahmenbedingungen verändern könnte.
Für die Bereiche, in denen die Stadt Hamburg unmittelbaren Einfluss nehmen kann, steht die VHS Hamburg beispielhaft:
Wir fordern für alle VHS-Kursleitenden (die alle nicht sozial abgesichert Honorarbeschäftigt sind, obwohl es ohne sie keine VHS gäbe!!:
• Honorarsatz von mindestens 41 Euro pro UE von 45 Min, auch für die Kursleitenden des offenen Angebots
(derzeit 32,21; wir haben errechnet, dass nach Anzüge der Sozialversicherung, den nötigen Rücklagen und der Vor und Nachbereitungszeit derzeit nur 10,02 € übrigbleiben.) Nur ehrenamtlich ist billiger. Das geht so nicht weiter!!
Außerdem: Honorarbeschäftigte bekommen Feiertage nichts bezahlt.
So ist der Tag der Arbeit für die Kursleitenden an der VHS ein Tag der unbezahlten Arbeitslosigkeit.
• Ausgleich des Mehraufwandes für besonders aufwändige Kurse
• Honorare für Teilnahme an Konferenzen etc.
Und vor allem einen Inflationsausgleich, wie ihn die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes erhalten und erkämpft haben
zusätzlich für die etwa 160 arbeitnehmerähnliche Kursleitenden vor allem :
• Zuschüsse entsprechend den gesetzlichen Arbeitgeberanteilen für Sozialversicherungen
• Urlaubsentgelt für 25 statt wie bisher 20 Tage
• Erstattung des Umsatzsteueranteils bei den Kursleitenden, die die Obergrenze von 22.000 Euro Jahreseinkommen überschreiten
• Ausfallhonorar bei Krankheit:
• Einbeziehung in das Hamburger Personalvertretungsgesetz
Das ist nicht zu viel verlangt: die „armen“ Bundesländer Berlin und Bremen können es auch!! Missfallen ausdrücken!!!
Außerdem: Einen Weiterbildungsrat für Hamburg
Struktur und Vereinbarungen zu Weiterbildung sollten von den vielen Akteur*innen in Hamburg gemeinsam getragen und mitberaten werden. Hierzu sollte Hamburg einen Weiterbildungsrat einrichten, in dem alle wichtigen Akteure aus den Bereichen der Erwachsenbildung dauerhaft zusammenarbeiten und Vorschläge für deren Weiterentwicklung erarbeiten.
Und: Nach wie vor plädiert die GEW für ein Weiterbildungsgesetz, in dem Hamburg zusammen mit den o.g. Akteuren seine Entwicklungsziele definiert und kontinuierlich Mittel zur Verfügung stellt, diese Ziele auch zu erreichen.
Wichtig noch: Die GEW Hamburg wird die Aktivitäten aus den Betrieben, wo nötig, auch Arbeitskämpfe – mit einem breiten gewerkschaftlichen Bündnis - unterstützen, um Tarifverträge abzuschließen, die diesen Namen auch verdienen.
Eins noch: Der Hamburger Senat hat bereits im Jahr 2017 auf der 94. Arbeits- und Sozialministerkonferenz in Potsdam einen Antrag eingebracht mit den Forderungen nach dem Aufbau tariflicher Strukturen und weiterer Regelungen zur Verbesserung der Situation der Beschäftigten.
Das ist jetzt 6 Jahre her. Seitdem ist wenig passiert und Hamburg ist die Vorreiter-Rolle abhandengekommen!
Wir fordern von der Hamburger Politik jetzt endlich „Butter bei die Fische“ zu tun und endlich seinen Einfluss dazu zu nutzen, einen Rahmen zu schaffen, der faire Arbeitsbedingungen und eine gute, nachhaltige Qualität der Erwachsenenbildung ermöglicht.
Dazu zählen gute Lebensperspektiven für die Beschäftigten durch entfristete Verträge, eine Bezahlung, von der man gut leben kann, die der Qualifikation der Beschäftigten entspricht und eine realistische Arbeitszeit, die Vor- und Nachbereitung angemessen berücksichtigt. Die gewerkschaftliche Forderung ist: Nicht mehr als 25 UEs pro Vollzeitstelle. Und das ermöglicht endlich gute Qualität der Kurse für unsere Teilnehmenden!!
Wer es ernst meint mit der Entwicklung des Fachkräftepotenzials und einer Stabilisierung des Arbeitsmarktes, kommt an guten Arbeitsbedingungen in der sprachlichen und beruflichen Erwachsenenbildung nicht vorbei.
Gute Bedingungen für gute Arbeit muss auch für die Erwachsenbildung gelten. Hier ist der Hamburger Senat in der Verpflichtung diese Zukunftsaufgabe für Hamburg nachhaltig anzugehen!