In Hamburg, Baden-Württemberg und Sachsen hat die AfD Portale ins Netz gestellt, über die Lehrkräfte denunziert werden sollen, die kritisch über die Rechtsaußen-Partei sprechen. Andere AfD-Landesverbände wollen nachziehen.
„Hetze, Stimmungsmache und Falschbehauptungen“, kritisiert die Hamburger AfD-Bürgerschaftsfraktion in einer Pressemitteilung, mit der sie im September den Online-Pranger begründete. Georg Pazderski, Vizechef der Bundespartei, hält die Portale für „unbedingt notwendig“, weil in vielen Schulen nur ein „einseitiges links-grünes Weltbild“ geduldet werde. Seine Partei werde stigmatisiert. Die AfD präsentiert sich also mal wieder in ihrer Lieblingsrolle: als verfolgte Unschuld, die zum Mittel der Notwehr greift, um die „Meinungsfreiheit“ gegen „linke Ideologieprogramme“ zu verteidigen.
So lächerlich das sein mag – aus Sicht der AfD sei die Strategie effektiv, sagt der Rechtsextremismus-Experte Olaf Sundermeyer. Zum einen bringe sich die Partei dadurch bei denjenigen Jugendlichen ins Gespräch, für die „rechts zu sein bedeutet, gegen einen vermeintlichen Mainstream zu rebellieren“. Zum anderen scheinen die Einschüchterungsversuche nicht immer folgenlos zu bleiben. „Bei Gesprächen mit Lehrern hatte ich in den vergangenen Tagen schon den Eindruck, dass die Verunsicherung groß ist“, sagt der Journalist. „Viele wollen derzeit lieber kein kritisches Wort über die AfD verlieren.“ Die Strategie der Rechtspopulisten sei damit bereits aufgegangen. „Sie werfen einen Stein ins Wasser und beobachten genüsslich vom Uferrand aus, wie der immer weitere Kreise zieht. Nur um dann in weiteren Erklärungen die ‚Hysterisierung der Debatte’ zu beklagen.“
Auch Hamburgs stellvertretender GEW-Vorsitzender, Fredrik Dehnerdt, weiß um ein Dilemma, vor dem niemand gefeit ist, der über die AfD berichtet. Deren von klassischen rechtsextremen Parteien übernommene Strategie des „kalkulierten Tabubruchs“ verfängt auch beim Online-Pranger. „Natürlich weiß die AfD, dass sie so in die Medien kommt“, sagt Dehnerdt. „So gelingt es ihr, Themen – vom ‚Genderwahn‘ bis zu Halal-Essen an den Schulen – in neuem Gewand kampagnenfähig zu machen.“ In Hamburg ist es der AfD-Bürgerschaftsfraktion trotz unzähliger parlamentarischer Anfragen zur Bildungspolitik nicht gelungen, die gesellschaftliche Debatte nachhaltig zu beeinflussen. „Jetzt schafft sie es über den Umweg der Behauptung, es gäbe einen unfairen Umgang mit ihr.“
Die AfD-Initiative verfolge zwei Ziele: zum einen, die eigenen Themen zu lancieren, und zum anderen, ein Klima der Einschüchterung zu schaffen, in dem sich engagierte Kolleginnen und Kollegen aus Angst vor einer Dienstaufsichtsbeschwerde vielleicht doch mal auf die Zunge beißen, bevor sie über die AfD reden. „Genau das soll natürlich nicht passieren“, sagt Dehnerdt: „Wir lassen niemanden im Regen stehen.“
Gegen die „Schere im Kopf“ hat der GEW-Hauptvorstand eine Informationsseite mit Fragen und Antworten zu den Denunziationsplattformen online gestellt, zudem kann sich jedes Mitglied auf den Rechtsschutz der Bildungsgewerkschaft verlassen. Bei der Hamburger Schulbehörde ist bislang im Übrigen noch keine Beschwerde eingegangen, die sich aus den angeblich „Hunderten“ Meldungen ergeben hätte, von denen die Hamburger AfD spricht.
Ihre Strategie geht aus Sicht der AfD auch deshalb auf, weil es weder Gewerkschafter noch Vertreter des demokratischen Parteienspektrums unkommentiert lassen können, wenn öffentliche Aufrufe zur Denunziation missliebiger Meinungen initiiert werden. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sprach von „offenem Denunziantentum“ und „Bausteinen ins Totalitäre“. Er hatte dabei die gleichen Assoziationen wie Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) („ein Mittel von Diktaturen“) und der Präsident der Kultusministerkonferenz (KMK), Helmut Holter (Linke), der sich an „das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte“ erinnert fühlt.
Bei warnenden Worten wollen es die Ländervertreter indes nicht belassen. Mitte Oktober kündigten sie an, die Plattformen rechtlich überprüfen lassen zu wollen. Die Persönlichkeitsrechte der Lehrkräfte könnten verletzt sein. Die GEW begrüßte zwei aktuelle Beschlüsse der KMK zur Demokratie- und Menschenrechtsbildung, mit denen diese den Lehrkräften den Rücken stärkt. So sollen etwa die Beteiligung der Länder und Schulen an demokratiepädagogischen Projekten und Programmen wie „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ ausgeweitet werden.
„Beutelsbacher Konsens“
Dass die AfD-Offensive die Meinungs- und Redefreiheit ins Visier nimmt, ist offenkundig. Bei dem plumpen Versuch, kritische Lehrerinnen und Lehrer einzuschüchtern, beruft sich die Partei auf das Neutralitätsgebot. Die Landesschulgesetze geben eine „parteipolitische Neutralität“ vor und verbieten, in den Schulen Werbung für wirtschaftliche, politische, weltanschauliche und sonstige Interessen zu machen. Ein politisches Werbeverbot ist jedoch kein Neutralitätsgebot, denn der „Beutelsbacher Konsens“ gibt die Ziele für politische Bildung an Schulen vor. Er besagt, dass Schülerinnen und Schüler nicht in Richtung einer von der Lehrkraft erwünschten Haltung manipuliert werden dürfen („Überwältigungsverbot“). Ziel ist stattdessen, unterschiedliche Positionen zu Themen darzustellen und zu diskutieren, um die Schüler auf dem Weg zu einer selbstständigen politischen Haltung explizit zu stärken.
Im Hamburgischen Schulgesetz – und ähnlich lautend in vielen anderen Landesschulgesetzen – findet sich basierend auf der „Beutelsbacher Erklärung“ die Zielvorgabe, „die Schülerinnen und Schüler zu befähigen und ihre Bereitschaft zu stärken, an der Gestaltung einer der Humanität verpflichteten demokratischen Gesellschaft mitzuwirken und für ein friedliches Zusammenleben der Kulturen sowie für die Gleichheit und das Lebensrecht aller Menschen einzutreten“. Lehrkräfte sind durch Grundgesetz und Landesschulgesetze verpflichtet, sich für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzusetzen. Sie sollen Kinder und Jugendliche nicht wertneutral, sondern im Geiste der Menschenwürde, Demokratie, Toleranz und Gleichberechtigung erziehen.
Das ist gerade nicht die Aufforderung, kontroverse gesellschaftspolitische Themen oder gar die Auseinandersetzung mit minderheitenfeindlichen und antidemokratischen Haltungen ruhen zu lassen. „Genau dieser demokratische, offene Meinungsstreit steht dem Neutralitätsgebot nicht entgegen“, sagt Dehnerdt. „Sich mit der AfD auseinanderzusetzen, ist ein wichtiger Teil politischer Bildung.“ Zumal die AfD für Tom Erdmann, Vorsitzender der GEW Berlin, eine Partei ist, die versucht, „diskriminierende, xenophobe, rassistische und sexistische Einstellungen in der gesellschaftlichen Mitte zu verankern“. Die Hamburger Schülerinnen und Schüler, als deren Anwalt sich die AfD so gerne stilisieren würde, haben sich mittlerweile ebenfalls zu Wort gemeldet. „An den Hamburger Schulen gibt es keine politische Beeinflussung von Lehrerinnen und Lehrern im Unterricht“, sagt Liam Zergdjenah, Vorsitzender der „SchülerInnenkammer“. „Wer das behauptet, hat noch keinen Einblick in den Schulalltag genossen.“
Wie es wirklich um die Diskursbereitschaft der AfD steht, zeigt derweil das Beispiel des baden-württembergischen Landtagsabgeordneten Stefan Räpple, der Mitte Oktober ebenfalls ein Denunziationsportal online stellte – offenbar ohne Absprache mit der Landtagsfraktion. Räpple ging dabei noch einen Schritt weiter als die AfD-Kollegen aus den anderen Bundesländern. Für den Südwesten kündigte er an, die Namen der vermeintlich „hetzenden“ Lehrkräfte sowie von Professorinnen und Professoren zu veröffentlichen. Er bot zudem an, beispielsweise im Unterricht Videos zu machen und diese auf dem Portal hochzuladen. Auf der sächsischen Plattform wird indirekt dazu aufgefordert, Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund zu denunzieren. Auch Räpple geht es dabei selbstverständlich nur um die Meinungsfreiheit und den freien Diskurs. Wie glaubwürdig das ist, zeigt sein Umgang mit einer Anfrage der „E&W“-Redaktion, in der er gebeten wurde, Beispiele für die angebliche „Hetze“ baden-württembergischer Lehrkräfte zu nennen. Der große Verfechter der inhaltlichen Auseinandersetzung antwortete nicht.
Foto: Alexander Paul Englert