Von Fredrik Dehnerdt, stellvertretender Vorsitzender GEW Hamburg
Über die Rolle antifaschistischen Engagements an Schulen ist im Kontext der Versuche der AfD, Unfrieden an Schulen zu stiften, eine Auseinandersetzung entbrannt, in der es darum geht, wie ein solches Engagement zu bewerten ist. Ist es gewünscht oder nicht? Die Antwort, abgleitet aus dem Grundgesetz, dem Schulgesetz und den Bildungsplänen, ist eindeutig. Im Folgenden wird erläutert, warum Antifaschismus als Teil des Bildungsauftrages zu verstehen ist. Darüber hinaus wird dargelegt, dass es Lehrkräften selbstverständlich erlaubt ist, die Positionen der AfD zu kritisieren und abschließend die relevanten gesetzlichen Grundlagen aufgeführt.
- Politische Neutralität an Schulen – was heißt das?
Der Begriff der „Neutralität“ wird aktuell häufig missbräuchlich verwendet und verkürzt als das Verbot wertender Positionierung im Unterricht verstanden. Das hat jedoch nichts mit den gesetzlichen Grundlagen zu tun, ja widerspricht diesen sogar, zumal der Begriff der „Neutralität“ dort überhaupt nicht auftaucht. Neben formalen Bestimmungen zur politischen Bildung wird auch inhaltlich festgelegt, welches Wertegerüst den Schülerinnen und Schülern vermittelt werden soll.
Beutelsbacher Konsens
Der vielzitierte Beutelsbach Konsens ist die formale Grundlage der politischen Bildung an Schulen, er gilt für Schulbücher und Unterrichtsmaterialien und markiert die Grenze zwischen politischer Bildung und Indoktrination. Indoktrination ist unvereinbar mit der Rolle der Lehrkraft in einer demokratischen Gesellschaft und der Zielvorstellung von der Mündigkeit der Schülerinnen und Schüler. Politische Bildung soll diese in die Lage versetzen, die politische Situation der Gesellschaft und ihre eigene Position zu analysieren und daraus für sich Konsequenzen zu ziehen. In diesem Sinne legt der Beutelsbacher Konsens fest:
- Das Überwältigungsverbot. Demnach ist untersagt, Schülerinnen und Schüler im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der Gewinnung eines selbständigen Urteils zu hindern.
- Das Kontroversitätsgebot. Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers dargestellt werden.
- Das Gebot der Schülerorientierung. Schülerinnen und Schüler müssen in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und ihre eigene Interessenlage zu analysieren.
Diese drei Grundprinzipien des Beutelsbacher Konsens sind Grundlagen der Didaktik des Politikunterrichts. Die Lehrkräfte sind verpflichtet, ihren Schülerinnen und Schülern keine Meinung aufzuzwingen und kontroverse Themen auch als solche darzustellen. Rechtlich normiert ist dieser Konsens zur politischen Bildung an Schulen im Bildungsplan gymnasiale Oberstufe Politik/ Gesellschaft/ Wirtschaft.
Bildungs- und Erziehungsauftrag
Als Bildungs- und Erziehungsauftrag wird im Hamburgischen Schulgesetz (HmbSG) die Aufgabe genannt, „die Schülerinnen und Schüler zu befähigen und ihre Bereitschaft zu stärken, […] ihre Beziehungen zu anderen Menschen nach den Grundsätzen der Achtung und Toleranz, der Gerechtigkeit und Solidarität sowie der Gleichberechtigung der Geschlechter zu gestalten und […] an der Gestaltung einer der Humanität verpflichteten demokratischen Gesellschaft mitzuwirken und für ein friedliches Zusammenleben der Kulturen sowie für die Gleichheit und das Lebensrecht aller Menschen einzutreten“. Zudem wird festgelegt, dass sich Unterricht und Erziehung „an den Werten des Grundgesetzes“ (GG) auszurichten haben. In Artikel 3 des GG ist das Diskriminierungsverbot festgeschrieben: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Eine im Sinne der gesetzlichen Grundlagen verstandene „Neutralität“ heißt somit nicht Gleichgültigkeit, sondern fordert einen demokratischen, offenen Meinungsstreit, die Auseinandersetzung verschiedener Positionen sowie ein Eintreten für die grundgesetzlich verankerten Werte ein.
Fazit 1: Neutralitätsgebot heißt nicht Wertneutralität
Die AfD argumentiert mit dem Neutralitätsgebot. Dieses Gebot darf jedoch nicht mit Wertneutralität verwechselt werden. Schule hat den klaren Auftrag, Schülerinnen und Schülern die freiheitlichen und demokratischen Grund- und Menschenrechte zu vermitteln und fußt mit ihrem gesetzlichen Bildungsauftrag auf den Werten des Grundgesetzes.
Fazit 2: Eine antifaschistische Haltung ergibt sich aus den gesetzlichen Vorgaben
Wie dargelegt lässt sich eine klare Haltung gegen Faschismen sowie eine antifaschistische Grundhaltung als Bildungsziel aus dem Bildungsauftrag ableiten. Dem gegenüber steht die aktuelle Tendenz, antifaschistisches Engagement zu diskreditieren, und als angeblich per se gewaltbefördernde extremistische Einstellung zu kriminalisieren. Völlig zu Recht verwahrt sich die Schulleitung der Ida Ehre Schule daher dagegen, „dass im aktuellen Diskurs eine Verschiebung in die Richtung stattfindet, dass Antifaschismus an Schulen nicht gewünscht sei oder der freiheitlichen, demokratischen Grundordnung widerspreche. Im Gegenteil, ohne einen konsequenten Antifaschismus ist dies nicht möglich.“ Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, das klare Bekenntnis gegen Faschismus und die daraus resultierende antifaschistische Erziehung explizit in den Hamburger Bildungsplänen zu verankern und somit für alle eindeutig zu legitimieren. Daher hat die GEW auf dem Hamburger GEWerkschaftstag am 21. Mai die Forderung beschlossen, Antifaschismus explizit als Bildungsziel in das Hamburger Schulgesetz aufzunehmen:
"Die GEW Hamburg fordert, Antifaschismus explizit als Bildungsziel in das Hamburger Schulgesetz aufzunehmen. Sie wird dies in der Öffentlichkeit und gegenüber der Behörde vertreten."
Als GEW erwarten wir von der Schulbehörde, diesen Vorschlag zu erwägen und umzusetzen. Eine solche Verankerung im Schulgesetz würde engagierten Lehrkräften massiv den Rücken stärken und Einschüchterungsversuche sowie Bedrohungen von rechts erschweren.
- Fragen und Antworten für Lehrkräfte
Die AfD argumentiert mit dem Neutralitätsgebot. Darf ich mich als Lehrkraft an Schule oder Hochschule kritisch mit der AfD auseinandersetzen?
Ja. Neutralität bedeutet nicht, sich nicht mehr politisch äußern zu dürfen. Lehrkräfte haben einen demokratischen Bildungsauftrag, sie sollen Schülerinnen und Schülern die freiheitlichen und demokratischen Grund- und Menschenrechte vermitteln. Die an Schulen geforderte „parteipolitische Neutralität“ verbietet es, in den Schulen Werbung für wirtschaftliche, politische, weltanschauliche und sonstige Interessen zu betreiben. Aber selbstverständlich können sich Lehrkräfte im Unterricht kritisch mit den Positionen aller Parteien auseinanderzusetzen. Dazu gehören auch die Positionen der AfD. Die AfD verfolgt politische Ziele, die sowohl dem Grundgesetz als auch den allgemeinen Menschenrechten widersprechen. Die AfD vertritt unter anderem diskriminierende, xenophobe, rassistische, sexistische, frauenfeindliche Positionen und versucht, diese in der gesellschaftlichen Mitte zu verankern. Das bedeutet für Lehrkräfte, die ihre Aufgabe und die Schulgesetze ernst nehmen, dass der kritische Umgang mit den Positionen der AfD ein Teil der politischen Bildung ist. Dazu gehört es, die Positionen der AfD als diskriminierend darzustellen, wenn sie es sind.
Bedeuten Neutralitätsgebot und Beutelsbacher Konsens, dass ich mich als Lehrkraft politisch immer neutral verhalten muss?
Nein. Menschenverachtende Positionierungen sind klar als solche zu benennen und zurückzuweisen. Das ist dann keine Überwältigung, sondern Einsatz für die Demokratie. Lehrkräfte dürfen Schülerinnen und Schüler ihre eigene (politische) Meinung nicht aufdrücken, sie nicht indoktrinieren. Das bedeutet aber nicht, dass sie sich nicht politisch äußern dürfen. Im Gegenteil, Lehrerinnen und Lehrer sind durch das Grundgesetz und die Landesschulgesetze dazu verpflichtet, für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten. Sie sollen Kinder im Geiste der Menschenwürde, Demokratie, Toleranz und Gleichberechtigung erziehen.
Wie kann ich mich im Unterricht verhalten?
Für den Unterricht ist es wichtig, den Schülerinnen und Schülern unterschiedliche Positionen – von ganz links bis ganz rechts – darzustellen und durch kontroverse Diskussionen zu einem eigenen Urteil zu befähigen. Konkret kann das bedeuten, verschiedene parteipolitischen Standpunkte beim Thema „Asyl“ so darzustellen, dass die Lernenden sie nachvollziehen, analysieren und für die eigene Position abwägen können. Die Schülerinnen und Schüler dürfen dabei keiner Angst ausgesetzt sein, sie müssen ihren Standpunkt frei äußern dürfen. Die Lehrkraft kann dabei sehr wohl im Unterricht ihre eigene Position deutlich machen, zum Beispiel wenn sie eine Position der AfD nicht teilt oder ablehnt. Das ist keine Verletzung des Neutralitätsgebots, solange diese Sichtweise nicht absolut gesetzt wird und die Schülerinnen und Schüler dadurch indoktriniert werden.
- Gesetzliche Grundlagen
Hamburgisches Schulgesetz (HmbSG), §2 Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule
„Unterricht und Erziehung richten sich an den Werten des Grundgesetzes und der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg aus. Es ist Aufgabe der Schule, die Schülerinnen und Schüler zu befähigen und ihre Bereitschaft zu stärken,
- ihre Beziehungen zu anderen Menschen nach den Grundsätzen der Achtung und Toleranz, der Gerechtigkeit und Solidarität sowie der Gleichberechtigung der Geschlechter zu gestalten und
- Verantwortung für sich und andere zu übernehmen,
- an der Gestaltung einer der Humanität verpflichteten demokratischen Gesellschaft mitzuwirken und für ein friedliches Zusammenleben der Kulturen sowie für die Gleichheit und das Lebensrecht aller Menschen einzutreten,
- das eigene körperliche und seelische Wohlbefinden ebenso wie das der Mitmenschen wahren zu können und
- Mitverantwortung für die Erhaltung und den Schutz der natürlichen Umwelt zu übernehmen.“
Bildungsplan gymnasiale Oberstufe Politik/Gesellschaft/Wirtschaft: Didaktische Grundsätze
„Leitlinie für den Unterricht im Fach PGW ist der Beutelsbacher Konsens:
• Überwältigungsverbot – Indoktrinationsverbot
Lehrende dürfen Schülerinnen und Schülern nicht ihre Meinung aufzwingen. Schülerinnen und Schüler sollen sich mithilfe des Unterrichtes eine eigenständige Meinung bilden können.
• Ausgewogenheit bzw. Kontroversitätsgebot
Der Lehrende muss ein Thema kontrovers darstellen und diskutieren, wenn es in Öffentlichkeit, Politik und Wissenschaft kontrovers erscheint. Dazu gehört auch, homogen orientierte Lerngruppen gezielt mit Gegenpositionen zu konfrontieren.
• Schülerorientierung
Politische Bildung muss die Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzen, die politische Situation
der Gesellschaft und ihre eigene Position zu analysieren und daraus für sich Konsequenzen zu ziehen.“
Artikel 3 des Grundgesetzes (GG)
„Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“
Literatur
Hamburgisches Schulgesetz (HmbSG), §2 Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule
www.hamburg.de/bsb/schulgesetz/64412/start/
Bildungsplan gymnasiale Oberstufe Politik/Gesellschaft/Wirtschaft
www.hamburg.de/bildungsplaene/4539524/start-gyo/
Grundgesetz
Stellungnahme der Schulleitung der Ida Ehre Schule
www.idaehreschule.de/wp-content/uploads/Stellungnahme_der_Schulleitung_IES.pdf
Weiterführende Hinweise
Unter www.gew-hamburg.de/themen/aktionen-und-kampagnen/GEW-zur-bildungspolitik-der-afd-hamburg finden sich Artikel, Meldungen und Pressemitteilungen der GEW Hamburg zum Thema AfD-Meldeportal/Rechtspopulismus.
Foto: Thorben Wengert / www.pixelio.de