Auf dem Hamburger Gewerkschaftstag am 27.5.2015 haben die Delegierten der GEW Hamburg einen wegweisenden Beschluss zur Arbeitszeit von Lehrer*innen gefasst. Dieser Beschluss ist uns nicht leicht gefallen und brauchte einen Vorlauf von zwei Jahren.
Vorlauf seit 2013
Beginnend mit der Aschermittwochsdemo im Februar 2013, bei der wir deutlich gemacht haben, dass 10 Jahre Hamburger Arbeitszeitmodell genau 10 Jahre zu viel sind, indem wir für bessere Arbeitsbedingungen für das pädagogische Personal an Schulen auf die Straße gegangen sind. Im Dezember 2013 tagte dann die Aktionsgruppe „AZM“ das erste Mal und hat durch verschiedene Aktionen die Diskussion um Arbeitszeit, Arbeitsbelastung und immer neue Aufgaben in den Kollegien und den Gremien der GEW neu eröffnet. Dies war auch deshalb nötig, weil es mittlerweile eine ganze Lehrer*innen-Generation gibt, die nichts anderes als die Hamburger Lehrerarbeitszeitverordnung („AZM“) kennen. Eine dieser Aktionen war die online-Umfrage von Februar bis April 2014 an der sich ca. 700 Kolleginnen und Kollegen aus allen Schulformen beteiligt haben und anhand von 12 Fragen ihre Belastungen deutlich gemacht haben. Dreiviertel der Befragten gaben an mindestens 30% mehr an Arbeitszeit für ihre Aufgaben zu benötigen und entsprechend gaben über 50% der Befragten an, dass sie ihre Arbeit als stark belastend empfinden.
An die Öffentlichkeit sind wir mit einer Fahrraddemo im April 2014 gegangen. Dabei haben wir auf die verschiedenen Belastungsfaktoren unserer Arbeit aufmerksam gemacht und auf die schlechte Finanzierung der Bildung in Hamburg hingewiesen. Im OECD-Durchschnitt wird 6,3% des Bruttoinlandsprodukt für Bildung ausgegeben. In Deutschland sind es dagegen nur 5,3% und im Vergleich der einzelnen Bundesländer gibt Hamburg mit 2,9% am wenigsten für Bildung aus. Auch in verschiedenen anderen Bereichen sieht es in anderen europäischen Staaten besser aus: Während die Lehrkräfte in Frankreich nur 1607 Stunden im Jahr arbeiten, sind es in Hamburg 1770; in Dänemark arbeiten die Lehrkräfte in der Primarstufe durchschnittlich 22 Unterrichtsstunden, maximal 26, in Hamburg sind es im Durchschnitt 26,5 und maximal 29 usw. Dies bildete den Auftakt um sich mit entsprechenden Forderungen an die Parteien in der Bürgerschaft zu wenden und in den Bürgerschaftswahlkampf 2015 einzumischen. Dies haben wir mit dem Beschluss auf dem Hamburger Gewerkschaftstag im November 2014 verdeutlicht, indem wir die Forderung nach maximal 20 Unterrichtsstunden beschlossen. In der Diskussion Anfang Februar 2015 mit den bildungspolitischen Sprecher*innen der Bürgerschaftsfraktionen haben wir wiederum sehr deutlich auf die Arbeitsbelastung und das Problem des „AZM“ hingewiesen. Seit Einführung der LAZVO (Lehrerarbeitszeitverordnung) 2003 sind bereits bis 2008 42 neue Aufgaben hinzugekommen. Weitere Aufgaben durch Inklusion und Ganztag kamen hinzu, ohne nennenswerte Entlastung. Der Senator war bisher nicht bereit über eine wesentliche Aufgabenkritik eine spürbare Entlastung zu schaffen. Alle bildungspolitischen Sprecher*innen waren der Meinung, dass es zu einer Entlastung der Arbeitszeit bei Lehrkräften kommen muss. Während der Koalitionsverhandlungen im Februar und März 2015 haben wir unsere Forderungen noch einmal ganz persönlich an die Koalitionäre herangetragen, aber in Sachen Arbeitszeit der Lehrkräfte hat sich nichts getan. Weiterhin bezahlen die Kolleg*innen die schulpolitischen Reformen in dem sie in Teilzeit gehen; 55% der Hamburger Lehrer*innen haben ihre Arbeitszeit reduziert, nicht zuletzt, weil sie es sonst nicht schaffen. Oder die Kolleg*innen haben arge gesundheitliche Probleme. Seit der Einführung des „AZM“ ist die Krankheitsrate von 4,9% auf 5,9% angestiegen und wir müssen befürchten, dass demnächst auch die Anzahl der Frühpensionierungen steigt.
Im April 2015 haben wir uns noch einmal umfassend auf der Arbeitszeittagung mit dem Thema beschäftigt (s. hlz 5-6, S. 14f) und u. a. die unterschiedlichen Modelle – neben dem „AZM“ auch das Pflichtstundenmodell und das Präsenzmodell – beleuchtet. Dabei sind die unterschiedlichen Erfahrungen aus den GEW-Landesverbänden Bremen und Niedersachsen mit eingeflossen und am Ende haben sich die Vorsitzenden der Landesverbände aus Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bremen mit uns gemeinsam für eine Kampagne zur Reduzierung der Lehrer*innen-Arbeitszeit ausgesprochen.
Was sind nun die wesentlichen Punkte unseres Beschlusses?
Ablehnung der Hamburger Lehrerarbeitszeitverordnung („AZM“)
Wir bekräftigen noch einmal unsere Ablehnung der Hamburger Lehrerarbeitszeitverordnung („AZM“) als ein Instrument, das zu Mehrarbeit, Mehrbelastung, Einsparungen, Ungerechtigkeiten, Konkurrenz und Unfrieden zwischen Schulleitungen und Lehrkräften führt.
20 Stunden sind genug!
Wir bestätigen wir den Beschluss vom letzten Gewerkschaftstag im November 2014: 20 Unterrichtsstunden pro Woche vor der Klasse sind genug (Teilzeit entsprechend)!
Keine Faktorisierung
Außerdem sprechen wir uns gegen eine Faktorisierung nach Fächern und Schulformen aus, denn sie ist eins der Mittel, die Unfrieden zwischen den Kolleg*innen und mit der Schulleitung schürt und auch zwischen den Schulformen. Warum sollen korrekturintensive Fächer einen höheren Faktor als vorbereitungsintensive oder besonders gesundheitsbelastende Fächer haben? Warum ist die Schulform mit der größten Heterogenität in den Klassen und einer daraus folgend sehr hohen Anforderungen an differenziertem Unterricht, nämlich die Grundschule, durchgehend niedriger faktorisiert?
Schule ist mehr als Unterricht – Lehrer*innen haben vielfältige Aufgaben
In allen anderen Bundesländern gilt das Pflichtstundenmodell und überall gibt es Überlegungen in den Bildungsministerien, wie man bei gedeckelten Haushalten und weiter steigenden Anforderungen an Schule mehr aus den Kolleg*innen herausholen kann. Also versucht man weitere Aufgaben an die Kolleg*innen weiterzugeben. Deshalb weist eine Pflichtstundenbemessung allein keine ausreichende Schutzfunktion mehr auf. Neue Tätigkeiten, die mit der Neubestimmung von Schule zusammenhängen, werden dabei nicht erfasst. Deshalb kehren wir nicht einfach zu einem Pflichtstundenmodell zurück, sondern wollen auch unsere weiteren Tätigkeiten abgebildet sehen in einer neuen Arbeitszeitregelung.
Nach unterschiedlichen Untersuchungen und Studien – auch diejenige, die uns Professor Mußmann nach einer Pilotstudie in Niedersachsen erläutert hat – kann man Umrisse der Verteilung von verschiedenen Aufgaben durchaus erkennen: ca. 30 % Unterrichtszeit, 30% Vor- und Nachbereitung, 20% Kooperations- und Konferenzzeit, 10% Eltern und weitere Kontakte, 10% Funktionszeiten und Weiterbildung. Die Pilotstudie in Niedersachsen, die unter Abiturbedingungen durchgeführt wurde, kommt zu einem etwas niedrigerem Umfang an Unterrichtszeit, aber hat von der Aufteilung ähnliche Werte festgestellt. Die eigentliche Studie, die nun in Niedersachsen mit über 400 Schulen aus allen Schulformen läuft, wird sicher noch einmal genauere Einschätzungen möglich machen.
Einstieg in die Arbeitszeitentlastung jetzt!
Ganz konkret fordern wir als Einstieg in eine Arbeitszeitentlastung, dass die Unterrichtszeiten bei allen Lehrkräften 75% nicht überschreiten. So war es bei Einführung des „AZM“ einmal geplant. D.h. bei einem Faktor von 1,35 und einer Vollzeitstelle eine Unterrichtsverpflichtung von maximal 26 Stunden. Um dies zu verwirklichen müssen die Zeiten für Schulleitungen extra zugewiesen werden und können nicht aus dem bisherigen Topf der F-Zeiten kommen. Die 75% Unterrichtszeiten sollen mit jedem Jahr weiter reduziert werden. Wir treten an die BSB heran, um mit ihr darüber zu verhandeln.
Entschlossenheit zeigen
Um mit der BSB in Verhandlungen einzutreten und ihnen auch Nachdruck zu verleihen, müssen wir uns beim Thema Arbeitszeit für Lehrkräfte zunächst auf uns selbst verlassen. Deshalb sind die Betriebsgruppen, die Kolleg*innen an den Schulen aufgefordert, ihre Belastungen deutlich zu machen. Es gibt schon einige Betriebsgruppen, die sich auf den Weg machen, um auch nach außen deutlich zu machen, dass die jetzige Arbeitszeitregelung eine permanente Überlastung bedeutet. Deshalb unterstützen wir alle GEW Betriebsgruppen an Schulen, die sich gegen die jetzige Mehrbelastung wehren.
Außerdem werden wir mit anderen Landesverbänden zusammen, evtl. auch bundesweit, entsprechende Aktionen oder Kampagnen durchführen. Die gute Zusammenarbeit – nicht nur bei diesem Thema – mit Schleswig-Holstein, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Berlin werden wir fortführen. Wir können hier trotz unterschiedlicher Arbeitszeitregelungen voneinander lernen. Das hat sich bereits auf der Arbeitszeittagung gezeigt und wir haben natürlich mit Spannung den Kampf der Gymnasialkolleg*innen in Niedersachsen gegen die Erhöhung ihrer Pflichtstunden von 23,5 auf 24,5 verfolgt.
Auswirkungen des Oberverwaltungsgerichtsurteils auf Hamburg?
Das OVG Lüneburg hat entschieden, dass die Pflichtstundenerhöhung verfassungswidrig ist. In der Pressemitteilung des Gerichts (das ausformulierte Urteil folgt später) wird deutlich, dass das Gericht nicht festgestellt hat, dass die neue Pflichtstundenzahl zu hoch ist, sondern dass der Dienstherr die Arbeitszeit nicht nach eigenem Ermessen heraufsetzen kann, ohne vorher die Arbeitszeit der Lehrkräfte, die Belastung und ihre Unterrichtsverpflichtung genauer zu prüfen. Diese Prüfung hat nicht stattgefunden. Dies ist vor der Einführung der Hamburger Lehrerarbeitszeitverordnung („AZM“) allerdings passiert. Auch wenn durch den Grundsatz der „Auskömmlichkeit“ (für den Senat) ein Ergebnis dabei herausgekommen ist, das wir ablehnen. Also, juristisch bietet uns dieses Urteil des OVG Lüneburg für Hamburg nach jetziger Kenntnis keine Handhabe.
Allerdings ist das Urteil insofern von genereller Bedeutung, weil es von der traditionellen juristischen Betrachtungsweise abweicht, wonach dem Verordnungsgeber (Dienstherr) ein nahezu grenzenloser Gestaltungsraum bei der Festlegung der Unterrichtsverpflichtung zusteht. Das OVG bezieht neuere Urteile des Bundesverfassungsgerichts mit ein, die sich auf die Richterbesoldung beziehen und bei der die Selbstaufzeichnung der Arbeitszeiten von Belang waren. D.h. das OVG Lüneburg hält Arbeitszeitermittlungen, die auf Selbstaufzeichnung der Lehrkräfte beruhen, durchaus als ein geeignetes Instrument. Damit bekommt die Arbeitszeitstudie, die jetzt in Niedersachsen läuft, ein besonderes Gewicht und wir werden genau beobachten, welche politischen Auswirkungen damit verbunden sind.
Ist eine Arbeitszeitstudie für Hamburg nützlich?
Ein weiterer Aspekt in unserem Beschluss ist die Prüfung, ob eine ähnliche Studie, wie die in Niedersachsen für Hamburg oder auch unter Beteiligung der anderen Landesverbände hilfreich ist. Dies werden wir tun, wenn es aus Niedersachsen erste Ergebnisse gibt.
So oder so…
… werden wir nur Fortschritte in diesem Bereich erzielen, wenn wir entschlossen sind und alle gewerkschaftlichen Mittel bis hin zum Arbeitskampf in den Blick nehmen.
Anja Bensinger-Stolze, Vorsitzende GEW Hamburg
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