Arbeitszeitberechnungen der vergangenen Jahre haben es immer wieder eindrücklich be legt: Die zeitliche Belastung von Lehrkräften ist zu hoch – ganz im Gegensatz zum oft zitierten Halbtagsjob. Nichtsdestotrotz haben Bildungsminister_innen in vielen Bundesländern und aller Couleur immer wieder an der Pflichtstundenschraube gedreht und die Arbeit der Lehrkräfte weiter verdichtet. In Schleswig- Holstein ist uns die letzte Pflichtstundenerhöhung durch die FDP/ CDU Regierung im Jahr 2010 noch gut in Erinnerung – wir spüren sie täglich! Mal eben von 26 auf 27 Stunden für Gemeinschaftsschullehrkräfte, von 25,5 auf 27 für Gesamtschullehrkräfte und von 24,5 auf 25,5 für Studienrät_innen an Gymnasien und Berufsbildenden Schulen. War- um? Um Stellen einzusparen für den Landeshaushalt! So profan war die Begründung!
Die letzte Arbeitszeiterhöhung für Lehrkräfte hat die Kultusministerin in Niedersachsen anordnen wollen und ist zur Überraschung vieler und zur Freude der GEW vor dem OVG Lüneburg kläglich gescheitert. Warum? Das Gericht hat damit auf die neue Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes seit 2012 reagiert und festgestellt: der Dienstherr darf nicht einfach die Pflichtstunden erhöhen, ohne zu prüfen und festzustellen, ob noch Arbeitskapazitäten vorhanden sind. Die GEW Niedersachsen hat daraufhin keine Mühen gescheut und Wissenschaftler der Uni Göttingen beauftragt, in einer wissenschaftlich fundierten und repräsentativen Studie die Arbeitszeit und Arbeitsbelastung der Lehrkräfte in NDS zu ermittelt. 3000 Lehrkräfte haben über ein Jahr mitgemacht. Damit ist die GEW NDS gut gewappnet für gerichtliche und außergerichtliche Verhandlungen mit der Landesregierung.
Auf einer gemeinsamen Veranstaltung der GEW-Landesverbände Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein zum Thema „Anders arbeiten – gegen die zunehmende Belastung!“ hat der Landesvorsitzende der GEW Niedersachsen Eberhardt Brand die Ergebnisse der Arbeitszeit- und Belastungsstudie in Niedersachsen dargestellt:
• Die Jahresarbeitszeit von Lehrkräften geht weit über die geforderte Arbeitszeit von Beamtinnen und Beamten hinaus.
• Die Wochenarbeitszeit liegt in einigen Phasen im Jahr höher als die gesetzlich erlaubte Höchstarbeitszeit von 48 Wochenstunden.
• Die Arbeit von Lehrkräften erfolgt regelmäßig auch an den Wochenenden und in den Ferien.
• Die verwendete Zeit für die Unterrichtsvor- und -nachbereitung ist bei Teilzeitkräften deutlich höher, insgesamt leisten Teilzeitkräfte vergleichs- weise noch deutlich höhere Arbeitszeiten als die vollzeit- beschäftigten Kolleg_innen. Die erforderliche Unterrichtsqualität kann augenscheinlich nur durch die Reduktion der Pflichtstunden erbracht wer - den.
Die GEW Niedersachsen kommt nach der Belastungsstudie zu dem Schluss: Die Arbeitsintensität bei Lehrkräften ist höher als bei vergleichbaren Berufsgruppen. Sie haben in den Schulzeitwochen eine extreme Arbeitszeitbelastung. Bei den langen Wochenarbeitszeiten sind Probleme der Vereinbarkeit von beruflichem und privatem Leben unvermeidbar.
Die Studie weist hohe Beanspruchungen aus, die mit neuen Anforderungen wie Inklusion und Ganztagsschule verbunden sind. Außerdem belasten der Umgang mit schwierigen Schüler_innen, große Klassen, Klassenleitungstätigkeiten und Dokumentationsaufgaben. Besonders stark beanspruchend ist respektloses Verhalten von Schüler_innen und auch von Eltern.
Nahezu alle Lehrkräfte empfinden den hohen Zeitdruck und damit verbunden die häufige Arbeit am Wochenende und abends als sehr großen Belastungsfaktor. Ein Resultat aus den Belastungen sind Abstriche bei der Qualität der Arbeit, um die Arbeit zu schaffen. Dieser Qualitätsverlust wiederum ist selbst ein Belastungsfaktor, da er im Widerspruch zur eigenen Überzeugung steht. Für viele Lehrkräfte hat die Teilzeit eine Schutzfunktion gegenüber überbeanspruchenden Arbeitsbedingungen.
Welche Konsequenzen können wir – auch länder- übergreifend – ziehen
• Klar ist seit diesem Urteil des OVG Lüneburg: „Arbeitszeit – Noch eins drauf!“ das kann’s nicht mehr geben! Leider wird es rechtlich so eingeschätzt, dass mit Hilfe dieser Bundesrechtsprechung nicht alle vor- hergehenden Pflichtstundenerhöhungen (z.B. die aus dem Jahr 2010) angegriffen werden können.
• Die Pflichtstunden und die Arbeitsbelastung der Lehrkräfte ist zu hoch und muss gesenkt werden – dieses wird umso deutlicher, wenn man sieht, dass die Pflichtstunden in SH in vielen Schularten sogar deutlich höher sind als in Niedersachsen (24,5 LWS für eine Lehrkraft an Gesamtschulen in Niedersachsen – 27 an Gemeinschaftsschulen in Schleswig-Holstein bzw. 23,5 LWS für eine Gymnasiallehrkraft in NDS – 25,5 LWS in SH)
• Wir dürfen nicht die Augen verschließen vor der Tatsache, dass die Arbeitsbelastungen durch den zeitlichen Aufwand für Korrekturen, Klassenleitungen oder besondere Funktionen und auf der anderen Seite auch die Belastung durch das Maß der Arbeitsintensität bei hohen Pflichtstundenzahlen unterschiedlich ist. Die Erfahrungen der Hamburger Kolleg_innen haben aber erneut eindrücklich deutlich gemacht, dass die Übertragung des Hamburger Arbeitszeitmodells keine Lösung ist. Die Belastungen müssen gesenkt werden durch Verringerung der Pflichtstunden; Anerkennung von zeitlichen Belastungen für Korrekturen, Kooperationen, Klassenlehr- kraftaufgaben durch Ausgleichsstunden und die Verbesserung der Regelungen für Teilzeitkräfte sind erforderlich. Diese Forderungen müssen mit Nachdruck und vielen Aktionen vorgetragen werden!
• Weitere Aufgaben kann es nur geben, wenn andere Aufgaben gestrichen werden! Dieses Prinzip muss auch durch Personalräte eingefordert und begleitet werden. Ggf. muss der Grundsatz auch rechtlich geprüft werden.
• Die Anforderungen an eine wissenschaftliche Übertragbarkeit der Studien soll von der Uni Göttingen geprüft werden.
Die fünf norddeutschen GEW- Landesverbände werden in den Landesverbänden und länderübergreifend das Thema „Gute Arbeit durch Senkung der Arbeitsbelastungen und Arbeitszeit“ ganz nach oben auf die Agenda setzen. Beteiligt euch an Aktionen, zu denen wir in den Landes- und Kreisverbänden aufrufen, um unsere Ziele gemeinsam durchzusetzen.
Astrid Henke, Vorsitzende GEW Schleswig-Holstein
Foto: GEW-Vorsitzende aus HH, MV, HB, SH und NS / hlz