Depressiv, erschöpft, krankgeschrieben: Viele Beschäftigte, die in Lehr- und Erziehungsberufen arbeiten, leiden unter enormen psychischen Belastungen. Die gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung könnte Betroffenen helfen.
Nur etwa 30 Prozent der Lehrkräfte können bis zur Altersgrenze arbeiten. Über die Hälfte vorzeitiger Dienstunfähigkeit von Lehrerinnen und Lehrern geht auf psychische Störungen und psychosomatische Krankheiten zurück. Zu den Berufsgruppen, die unter Depressionen besonders leiden, gehören Erziehungsberufe. Dies zeigt der neue „Depressionsatlas 2014“ der Techniker Krankenkasse. Und laut „Stressreport“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zählt der Bereich Erziehung und Unterricht zu den Berufszweigen, in denen Stress und Überforderung am meisten zugenommen haben.
Das entscheidende Instrument, um Arbeitsbelastungen, die krank machen, zu verringern, ist nach dem Arbeitsschutzgesetz die sogenannte Gefährdungsbeurteilung. Spätestens mit dessen Novellierung Ende 2013 stellten die Richter klar, dass sich die Gefährdungsbeurteilung auf physische und psychische Belastungen im Arbeitsalltag zu beziehen hat. Personalräte haben jetzt neuen Rückenwind erhalten, sie auch in Kitas und Schulen umzusetzen. Erstmals gibt es nun gemeinsame „Empfehlungen zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung“, die Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und Träger der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) – einem Zusammenschluss von Bund, Ländern und Unfallversicherungsträgern – erarbeitet haben. Die Vorschläge richten sich direkt an Betriebe und Arbeitsschutzakteure, insbesondere an Betriebs- und Personalräte. Bislang hatten es die Arbeitgeber eher abgelehnt, psychische Störungen als berufsbedingt anzuerkennen und einen Handlungsbedarf bei den Arbeitsbedingungen einzuräumen.
Sieben Schritte
Die kompakte Handreichung der „Empfehlungen“ erläutert in sieben Schritten, wie psychische Risiken für die Beschäftigten analysiert, passende Gegenmaßnahmen entwickelt, umgesetzt und auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden können. Alle Beteiligten waren sich einig, dass die Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung der Prävention „arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren einschließlich der menschengerechten Gestaltung von Arbeit“ diene. Bei dem Verfahren sollen Arbeitsaufgaben und -abläufe sowie soziale Beziehungen kritisch geprüft werden. Auch dass unterschiedliche Methoden aufgelistet werden, um psychische Gefährdungen zu ermitteln, ist ein Fortschritt, denn neben Beobachtungen am Arbeitsplatz sind Mitarbeiterbefragungen und moderierte Workshops vorgesehen. Die Beschäftigten kommen also als Experten in eigener Sache zu Wort.
Bereits seit längerem fordern die Gewerkschaften und die Länder im Bundesrat eine Anti-Stress-Verordnung. Auch mehr als die Hälfte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer spricht sich für eine solche Regelung aus. Dies ergab eine repräsentative Befragung im Auftrag der Deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK). Bei den Befürwortern sind 86 Prozent für eine verbindliche Verordnung, da Stress aus ihrer Sicht zu körperlichen und psychischen Erkrankungen führt. 78 Prozent meinen, die Beschäftigten könnten sich aus Angst um ihren Arbeitsplatz kaum gegen Arbeitsstress wehren.
Ulla Wittig-Goetz, freie Journalistin
Der Artikel erschien in der E&W 4/2015
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