Mit dem BAMF-Trägerrundschreiben vom 08.08.2018 wurde eine Meldepflicht für die Kursträger weiter verschärft: zum Integrationskurs verpflichtete Teilnehmer*innen sollen vom Träger dem Jobcenter/der Ausländerbehörde gemeldet werden, wenn sie mehr als 20% der Unterrichtsstunden in einem Kursabschnitt oder ab drei Tagen am Stück entschuldigt oder unentschuldigt fehlen. Bei Krankheit muss nun schon ab dem 2. Fehltag ein ärztlicher Nachweis erbracht werden. Im Falle einer sogenannten nicht ordnungsgemäßen Teilnahme am Kurs drohen den Teilnehmer*innen, zumeist Geflüchtete und Arbeitsmigrant*innen, Sanktionen. Ihnen kann zum Beispiel die Möglichkeit versagt werden, Wiederholungsstunden in Anspruch zu nehmen. Darüber hinaus wurde die freie Wahl des Bildungsträgers sowie der Wechsel zu einem anderen Träger für die Teilnehmer*innen eingeschränkt.
Diese Zwangsmaßnahmen halten wir für kontraproduktiv und unhaltbar, da sie an der Realität der Teilnehmer*innen vorbeigehen und ein repressives Kursklima schaffen.
Wir erleben unsere Teilnehmer*innen zum größten Teil motiviert und sehr interessiert daran, die deutsche Sprache zu erlernen, die nicht für ihre Einfachheit bekannt ist. Gerade Geflüchtete müssen oft ein völlig neues Schriftsystem in einer Sprache lernen, die von ihrer eigenen Muttersprache sehr weit entfernt ist. Es bedeutet sehr viel Arbeit und Übung, oft erschwert durch folgende Umstände: Unsere Teilnehmer*innen sind nicht hauptsächlich junge, gesunde alleinstehende Menschen, die ihren Alltag rein am Deutschkurs ausrichten können. Viele haben Kinder oder sogar schon Enkelkinder und/oder sind seit längerem kein Schulumfeld mehr gewöhnt. Sie haben regelmäßige Behördentermine, viele sind auf Wohnungssuche, leben oft auf engsten Raum in Heimen, also an Orten ohne Ruhe zum Lernen. Viele werden von (chronischen) Krankheiten geplagt, sind vor Krieg und Unrecht geflohen und haben lebensbedrohliche Situationen durchlebt, deren Folgen oft Traumata sind. Der Fehlzeitenkatalog des BAMF, der die offiziell anerkannten Gründe für das Fernbleiben vom Unterricht aufführt, sowie die neuen Regelungen berücksichtigen diese Lebensrealitäten der Teilnehmer*innen nicht. Darüber hinaus schaffen die neuen Maßnahmen eine Atmosphäre des Zwangs und der Denunziation, welche das für den Lernerfolg überaus wichtige Vertrauensverhältnis zwischen Teilnehmer*innen und Dozent*innen belastet.
Wir wissen um die Debatte über die niedrige Erfolgsrate beim Deutschtest für Zuwanderer. Bezüglich dieser Zahlen sei bemerkt: Die Aufregung um die sinkende Rate der Teilnehmer*innen, die B1 bestehen, berücksichtigt nicht die Zielsetzung der Alphabetisierungskurse, A2 zu bestehen. D.h. die Alphabetisierungskurse werden oft erfolgreich abgeschlossen, aber in der Statistik trotzdem als Versagen dargestellt.
Wir Dozent*innen sind dagegen, dass der Verfall des Anspruches auf ihren Deutschunterricht wie ein Damoklesschwert über den Teilnehmer*innen schwebt. Ihnen kann der Leistungsbezug vom Jobcenter gekürzt werden, obwohl das Jobcenter wie auch die Ausländerbehörde oftmals Termine in die Unterrichtszeit legen und damit selber eine ordnungsgemäße Kursteilnahme verhindern. So etwas erzeugt Ohnmacht. Auch ist es möglich, dass sich zu hohe Fehlzeiten negativ auf die Teilnehmer*innen bezüglich ihrer Aufenthaltsverlängerung und ihre Chance auf Familiennachzug auswirken. So müssen sie z.B. auch abwägen, ob sie bei Krankheit zu Hause bleiben können bzw. sie ihre geringe Chance auf eine Wohnung im Vorhinein aufgeben müssen, weil sie Besichtigungstermine zu Unterrichtszeiten nicht wahrnehmen können. In dieser Unsicherheit zu leben ist eine Zumutung und kontraproduktiv für das Lernen.
Wir sehen uns solidarisch an der Seite unserer Teilnehmer*innen, denn wir wissen, mit welchen Voraussetzungen sie die Deutschkurse besuchen und in welchen Lebenslagen sie sich momentan befinden. Wir möchten das Interesse und die Neugier, mit der Teilnehmer*innen zu uns kommen, weiter fördern, sodass sie ihren positiven Zugang zur deutschen Sprache und ihre Freude am Lernen beibehalten. Mit Zwang ist dies unserer Ansicht und unserer Erfahrung nach nicht möglich. Was sie neben Motivation und Vertrauen brauchen, ist vor allem ausreichend Zeit. Die Kursdauer, -größe und -stabilität sollte dringend den spezifischen Lern- und Lebenssituationen der Teilnehmer*innen Rechnung tragen, auch der von älteren und lernungewohnten.
Um erfolgreich lernen zu können, müssen sich die Teilnehmer*innen in ihren Kursen und mit den Dozent*innen wohl fühlen, sich von ihnen gefordert und gefördert fühlen. Deshalb ist die selbstbestimmte Wahl der Lernumgebung von immenser Bedeutung. Nicht immer passt die Stimmung zwischen Dozent*in und Teilnehmer*in. Auch werden Teilnehmer*innen zur Wahrung der Mindestteilnehmendenzahl oft in falsche Kursniveaus eingestuft, was in der Regel weitreichende Folgen nicht nur für den Lernerfolg jedes Einzelnen, sondern auch für die Gruppendynamik im Kurs hat.
Die einzige Möglichkeit der Teilnehmer*innen, den eigenen Lernerfolg trotz alledem zu sichern, war bisher der Wechsel des Kursträgers. Diese Möglichkeit wurde nun erheblich beschnitten. Wir verstehen nicht, wie dies dazu führen soll, dass mehr Menschen die Sprache lernen, um ihren Alltag in Deutschland meistern zu können, und den Deutschtest für Zuwanderer erfolgreich bestehen.
Wir fordern die Rücknahme der neuen Maßnahmen des BAMF, da diese nicht nur eine Verschlechterung der Lebenssituation unserer Teilnehmer*innen und des Lernklimas in unseren Kursen bedeuten, sondern auch eine Erschwerung unseres Berufs und eine Überlastung der Verwaltung.
Wir fordern außerdem ein Ende der stetigen Ausweitung der Kontrollen und Sanktionen, die unsere Teilnehmer*innen unter Generalverdacht stellen. Um bessere Ergebnisse zu erzielen, brauchen wir stattdessen ausreichende, auf die Bedürfnisse der Teilnehmer*innen zugeschnittene und flexible Kursangebote, um auch Menschen mit unterbrochenen Bildungsverläufen eine Chance auf einen realistischen Bildungsabschluss zu ermöglichen.
Wenn das BAMF die Qualität der Integrationskurse verbessern will, sollte es die Menschen mit einbeziehen, die die Realität der Kurse am besten kennen: Dozent*innen und Teilnehmer*innen.
Bündnis freier Dozent*innen
Bild: Tim Reckmann / pixelio.de