Aktuell sind zwei sozialistische und gewerkschaftlich organisierte Kollegen von einem Berufsverbot betroffen. Dem Lehramtsstudenten Luca aus Hessen wird wegen eines mutmaßlichen Angriffs auf einen Polizisten bei einer Demonstration der Antritt des Referendariats verweigert. Zuvor untersagte die TU München die Anstellung des Geographen Benjamin Ruß mit der Begründung, er strebe einen „Systemwechsel“ an.
Bereits in den vergangenen Jahren gab es immer wieder ähnliche Fälle und es sieht so aus, als ob noch mehr folgen könnten. Denn unter dem Vorwand, die AfD und „Extremismus“ bekämpfen zu wollen, prüfen gegenwärtig mehrere Bundesländer, die sogenannte Regelanfrage beim Verfassungsschutz wieder einzuführen. Damit wurde nach dem „Radikalenerlass“ der SPD-FDP-Koalition 1972 die Praxis bezeichnet, AnwärterInnen auf Tätigkeiten im öffentlichen Dienst vom Verfassungsschutz standardisiert überprüfen zu lassen.
Bayern konsultiert seinen Geheimdienst bereits automatisch zwecks Treuechecks von RichterInnen und StaatsanwältInnen. Potenzielle StaatsdienerInnen anderer Professionen, unter anderem HochschulmitarbeiterInnen, sind im Freistaat verpflichtet, einen Fragebogen zu ihrer „Verfassungstreue“ ausfüllen – ein smartes Update der Regelanfrage. Andere Bundesländer wollen sich damit nicht begnügen.
Brandenburgs rot-schwarz-grüne Regierungskoalition einigte sich jüngst auf die Wiedereinführung der allgemeinen Überprüfung für Beamte – angeblich auch wegen der real existierenden rechten Netzwerke in der Polizei.
Die unselige deutsche Historie der Berufsverbote vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik zeigt jedoch, dass sich diese mitnichten gegen die politische Rechte gerichtet oder gar deren Einfluss in den Staatsapparaten und auf die Bevölkerung eingehegt haben. Einzelnen FaschistInnen mag dadurch die Arbeit im Staat versagt worden sein. Aber in der Gesamtschau waren Berufsverbote vor allem ein politisches Mittel zur Bekämpfung sozialistischer und kommunistischer Organisationen, Bewegungen und AktivistInnen.
Nach dem zweiten Weltkrieg wurden zum Beispiel nicht die ehemaligen NS-Funktionäre um ihre Positionen gebracht, politisch diskreditiert und juristisch kriminalisiert. Im Gegenteil, sie bauten unter anderem den Verfassungsschutz und die Bundeswehr maßgeblich mit auf. Tatsächlich richteten sich die Einschränkungen infolge der Gesinnungsprüfung gegen Mitglieder und SympathisantInnen linker Parteien und außerparlamentarischer Initiativen.
Die Lage ist auch heute nur geringfügig anders. AfD-Gründer Bernd Lucke kann weiterhin als Professor in der Volkswirtschaftslehre der Universität Hamburg Wachstum predigen. Benjamin Ruß hingen durfte seine Arbeit in München nicht antreten und der Lehramtsstudent Luca muss nach anderen Jobmöglichkeiten Ausschau halten.
Bei der Veranstaltung werden die beiden Betroffenen von ihren Fällen berichten. Außerdem werden wir Einblick in die historische Kontinuität der Berufsverbote gegen kritische WissenschaftlerInnen, LehrerInnen und andere KollegInnen in Deutschland geben. Im Anschluss wird ausführlich Zeit sein, um Fragen stellen und diskutieren zu können, unter anderem auch darüber, wie man sich zur Wehr setzen kann.
Es laden ein: Prof. Dr. Christin Bernhold, Prof. Dr. Christof Parnreiter, Prof. Dr. Wolfgang Menz
Die Veranstaltung wird unterstützt von: GEW Hamburg, TVStud Hamburg, Kritische MIN-Studierende Hamburg
Berufsverbote wegen Gesellschaftskritik? Wie Hochschulen und Kultusministerien kritische Bildung und WissenschaftlerInnen ausschließen
Veranstaltung am 30. Mai mit den Betroffenen Benjamin Ruß und Luca
Donnerstag, 30. Mai 2024, Beginn: 18.30 Uhr, Geomatikum, Hörsaal H6, Bundesstr. 55, 20146 Hamburg
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