Rezension: Clara und der Mann im großen Haus

22. November 2020 Von: C.Jantzen Gruppenbeitrag

María Teresa Andruetto

Clara und der Mann im großen Haus

Aus dem Spanischen von Jochen Weber

Illustrationen: Martina Trach

ISBN: 978-3-905-80497-3

19,00 €, 48 Seiten

Baobab Books 2019

Ein Bilderbuch aus Argentinien

Eine eindringliche und bewegende Schilderung der Bedeutung von entscheidenden Scheidewegen im Leben, von Einsamkeit, Außenseitertum und dem Zugang zu Bildung sowie einer ungewöhnlichen Freundschaft.

Die Grundlage dieses bemerkenswerten Bilderbuches aus Argentinien bildet eine für die Mutter der Autorin entscheidende Episode in ihrer Kindheit. „Diese Geschichte erzählt, wie meine Mutter die Welt der Bücher und ihr Freund Juan das Tageslicht entdeckte“, so beginnt die Geschichte und der reale Bezug wird von der Autorin im Nachwort erläutert. María Teresa Andruetto ist Erwachsenen- und Kinderbuchautorin und war an der Gründung eines Zentrums für Jugendliteratur in Argentinien beteiligt. Für ihr Lebenswerk wurde sie 2012 mit dem Hans-Christian-Andersen-Preis als weltweit bedeutendstem Kinderliteraturpreis ausgezeichnet. Die Illustratorin hat das Studium Graphikdesign an der Universität von Buenos Aires absolviert.

Die Mutter des Mädchens Clara ist Wäscherin und das Mädchen hilft ihr, indem sie die frische Wäsche austrägt, so auch zu dem Mann im großen Haus. Er legt das Geld vor die Tür. Er scheut das Tageslicht und bleibt im Inneren des vornehmen Hauses, aber beobachtet sie und kommuniziert mit ihr durch das Fenster. Sie kommen sich näher. An einem Tag liegt neben dem Geld ein Buch für Clara, nachdem Juan sich vergewissert hat, dass Clara lesen kann. Clara bringt regelmäßig die Wäsche und erhält Bücher, in die sie sich vertieft und über die sich die beiden austauschen. Schließlich darf Clara das große Haus und die riesige Bibliothek betreten. Clara gelingt, dass Juan sich ihr gegenüber öffnet und erklärt, warum er so einsam und eingeschlossen lebt. Die Erinnerung an eine unangepasste, unausgelebte Jugendliebe lässt ihn nicht los und begründet seine einsame Lebensweise. Er hatte nicht die Courage, sie zu leben. „Was bedeutet Courage?“ „Courage ist der Mut, so zu leben, wie man möchte, und das zu leben, woran man glaubt.“ Dies ist der Schlüsselsatz der Geschichte und die Botschaft bestimmt Claras weiteres Leben. Nach dem einschneidenden Gespräch vergisst Clara ihr Buch und Juan läuft hinter ihr her. Damit hat sie ihn aus der Gefangenschaft in seinem eigenen Haus befreit. „Du bist rausgekommen! Courage, Courage!“

Die doppelseitigen großflächigen Bilder im Querformat dominieren das Buch und übernehmen teilweise die Aussage der kurzen Texte. Dargestellt wird die Weite der Pampa mit Details der typischen Lebensweise der Menschen in ihrer Umgebung. Der weite Himmel und die unendliche karge Erde bilden auf den meisten Bildern den Hintergrund und vermitteln, wie groß zurückzulegende Entfernungen sind. Entgegen der erwarteten Helligkeit im Süden sind dunklere gedeckte Farbtöne vornehmlich in Braun, Grau, Rot und Grün vorherrschend. Von leuchtendem Rot sind nur gelegentlich Claras Schuhe und ihr Lieblingsbuch. Entsprechend einer Collage werden sich teilweise überlagernde Stilmittel bezogen auf Materialien, Muster, Farbgebung und die Art der Mal- und Zeichentechnik verwendet. Kontraste bilden Hell und Dunkel, Licht und Schatten. Manches wird naturalistisch und manches skizzenhaft dargestellt. Es entsteht der Eindruck von Tiefe und ganz unterschiedlichen Perspektiven mit wiederkehrenden Bildausschnitten wie den roten Schuhen des Mädchens.

Die außergewöhnliche Kombination aus kurzem, prägnantem Text und eindringlichen, inhaltsstarken Illustrationen zeichnet dieses eindrucksvolle Buch aus. Ein sehr empfehlenswertes Buch, das den interkulturellen Austausch fördert.

Susanne Wieland

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