Leitlinien mit einem Signal zur Rolle Rückwärts

28. Mai 2012 Von: Stephanie Zuber Gruppenbeitrag
Leitlinien für die Ausgestaltung befristeter Beschäftigungsverhältnisse mit wiss

Kommentar zu den HRK-Leitlinien zu Befristungen an Hochschulen

Am 24. April 2012 hat die Mitgliederversammlung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) „Leitlinien für die Ausgestaltung befristeter Beschäftigungsverhältnisse mit wissenschaftlichem und künstlerischem Personal“ verabschiedet. Es ist zu begrüßen, dass die Hochschulen sich mit dem immer stärker wer­denden Befristungswesen in der Wissenschaft auseinandersetzen. Mit den vorgelegten Empfeh­lungen macht die HRK jedoch in mehrfacher Weise eine Rolle rückwärts und wird mitnichten der Ver­antwor­tung gerecht, die sie in den Leitlinien mehrfach für sich proklamiert. Wesentliche Tatsachen werden verkannt und dem selbst gestelltem Auftrag, die befristeten Beschäftigungsverhältnisse seien „so aus­zugestalten, dass die Bedürfnisse und Interessen des wissenschaftlichen Nachwuchses und der Hoch­schulen berücksichtigt werden“ wird sehr einseitig nachgegangen, nämlich zugunsten der Hoch­schulen.Einige Kritikpunkte an den HRK-Leitli­nien im Einzelnen:

Unbegründete Signale für mehr Befristung an Hochschulen

Laut HRK ist es „notwendig, dass die Zahl der befristeten Stellen für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler die der unbefristeten deutlich übersteigt“. Sie begründet dies dadurch, dass nur so „Innovationsfähigkeit, Flexibilität und Handlungsfähigkeit der Hochschulen“ zu gewährleisten seien. Klar ist, dass es eine besondere Herausforderung von Wissenschaft ist, stets Neues, in großen Teilen Unvorhersehbares zu generieren. Immer mehr und immer kürzer befristete Stellen sind jedoch kein zwingendes – und auch kein probates – Mittel, um dem gerecht zu werden. Zudem sind in den vergan­genen Jahren zahlreiche Daueraufgaben mehr und mehr durch befristet beschäftigtes Personal abge­deckt worden. Hierauf geht die HRK ebenso wenig ein, wie auf die Tatsache, dass Deutschland im internationalen Vergleich ohnehin weit überdurchschnittlich viel wissenschaftliches Personal befristet beschäftigt. Es ist an der Zeit, sich über Anstellungsmodelle Gedanken zu machen, die Inno­vations­fähigkeit gewährleisten, aber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch Sicherheit und Perspektiven bieten. Diese Chance zur Innovation hat die HRK verpasst.

Unsinnige Befristungsgründe

Die HRK beschränkt die Befristung auf Phasen der Qualifikation. Dies ist prinzipiell sinnvoll. Allerdings entspricht es nicht der momentanen Situation an Hochschulen und der Praxis der letzten Jahre, in der eine Ausweitung befristeter Beschäftigung weitgehend losgelöst von inhaltlichen Aspekten der Anstel­lung stattfand. Zudem – und dies ist ein weit schwerwiegenderer Kritikpunkt – wird die Einschränkung von Befristung auf Qualifikationsphasen ad absurdum geführt, wenn nahezu alles als mögliche Qualifi­kation definiert wird: Neben Promotion und Habilitation führt die HRK auch „die Vorbe­reitung von Aus­landsaufenthalten“, „managementbezogene Tätigkeiten im Wissenschaftssystem“ oder schlicht die „Mitarbeit an einem einzelnen Forschungsprojekt“ an. In Zeiten sich stets wandelnder Anforderungen und des lebenslangen Lernens sind viele Arbeitnehmerinnen und Arbeit­nehmer immer wieder mit neuen Aufgaben konfrontiert, in vielen Unternehmen und mittlerweile auch Verwaltungen wird projekt­orientiert gearbeitet – dies heißt aber nicht, dass alle dort Beschäftigten nur befristet angestellt sind. Kurz: Ein Katalog möglicher Befristungsgründe für Hochschulen mag sinnvoll sein, er sollte aber limi­tiert und tatsächlich sachlich begründet sein.

Unverständliche Stärkung der Vorgesetztenfunktion

Die HRK macht in ihren Leitlinien die Funktion von Vorgesetzten sehr stark. Die Rolle der Vorgesetzten der befristet Angestellten umfasst laut Leitlinie die „Bestimmung von Zielen und Zeitschritten in der Befristungszeit“ sowie die „Betreuung aus Personalentwicklungsperspektive“ und Vorgesetzte sollen „den Qualifizierungsfortschritt bewusst begleiten und kontinuierlich evaluieren". Bei negativer Evalua­tion gehört zu den Aufgaben auch „das Abraten vom Weiterverfolgen einer wissenschaftlichen Karriere“. Ein derart verstandenes Vorgesetzten-Angestellten-Verhältnis ist vielleicht vorstellbar für DoktorandInnen. Doch bereits auf dieser Ebene konterkariert es die Bemühungen der letzten Jahre, allzu starke Abhän­gigkeiten von DoktorandInnen aufzuweichen, z.B. in dem Mehrfachbetreuungen etabliert wurden. Zudem wurden in den vergangenen Jahren Programme wie Emmy Noether und eigene Stelle sowie Juniorprofessuren eingerichtet, um eine frühere Selbstständigkeit von Wissen­schaftlerInnen zu ermög­lichen. Und auch befristete Professuren sind in den letzten Jahren Bestandteil der Personalstruktur an Hochschulen geworden. Wie sich das von der HRK skizzierte Vorgesetzten-Angestellten-Verhältnis auf diese Personengruppen übertragen lässt, bleibt vollkommen unverständlich. Alles in allem geht die so beschriebene Vorgesetztenfunktion vielfach an der Realität wissenschaftlicher Personalstrukturen vorbei – sie lässt sich wohlwollend als missglückter Versuch der Ausformulierung von Fürsorgepflichten verstehen, oder eben als Rolle Rückwärts im Personalgefüge an Hochschulen.

Gleichstellung und Familienpolitik

Die HRK spricht familien- und gleichstellungspolitische Aspekte an. Der Verweis auf eine bessere Aus­nutzung einzelner Paragraphen nach Wissenschaftszeitvertragsgesetz – die sogenannte Familien­komponente – mutet dabei etwas sperrig an. In den vergangenen Jahren haben etliche Hochschulen durch die Einrichtung von Familienbüros, Dual Career Services, hauseigenen Kitas usw. eine Entwick­lung begonnen, die weiter verfolgt und ausgebaut werden sollte – auch im Sinne befristet Beschäftigter. Warum die HRK hier nicht anknüpft, ist nicht ersichtlich, aber auch kein Anlass zu Kritik. Der Umstand, dass Wissenschaftlerinnen – und zwar auch Wissenschaftlerinnen ohne Kinder – an Hochschulen häufiger befristet und auch häufiger in Teilzeit beschäftigt sind als ihre männlichen Kollegen, wird von der HRK nicht thematisiert. Hier besteht Handlungsbedarf für die Hochschulen! Männern und Frauen sind gleiche arbeitsvertragliche Voraussetzungen für eine wis­senschaftliche Karriere zu eröffnen.

Insgesamt bleibt die Leitlinie der HRK in vielen Punkten unklar. Deutlich ist nur: Die Hochschulen wol­len auch zukünftig in großem Umfang befristen. Die angeführte Legimitation ist dabei nicht schlüssig. Ein Handlungsdruck ist allerdings tatsächlich nicht von der Hand zu weisen. Die HRK schreibt – und hier ist ihr gewerkschaftliche Unterstützung gewiss: „Nur eine planbare auskömmliche Grundfinanzie­rung ver­setzt Hochschulen in die Lage, verlässliche Qualifizierungswege anzubieten und förderliche Arbeitsbe­dingungen zu sichern.“ Dennoch gilt es, Unzulänglichkeiten nicht einseitig dadurch ausglei­chen zu wollen, immer mehr WissenschaftlerInnen immer kürzer zu befristen, auch wenn dies für die Hochschulen der kurzfristig bequemste Weg ist, Risiken zu minimieren. Gutes, wissenschaftlich kreati­ves Personal lässt sich so nicht gewinnen bzw. halten. Schlagworte wie Transparenz und Planbarkeit der wissenschaftli­chen Karriere sind in dieser Leitlinie fehlplaziert.

Bei der Anrechnung von Erfahrungsstufen hat die HRK vermutlich etwas unglücklich formuliert. Es ist nicht davon auszugehen, dass sie beabsichtigt, Beschäftigte nach erfolgreicher Promotion oder Habili­tation wieder auf Stufe 1 herabzusetzen, auch wenn es in der Leitlinie heißt: „So wird beispielsweise eine Anrechnung von vorangegangenen Beschäftigungsverhältnissen nur vorgenom­men, wenn diese ebenfalls der Qualifizierung in derselben Phase gedient haben.“

Selbstverwaltungsgremien und Personalvertretungen dürfen in jedem Fall gespannt sein, auf die Aus­arbeitung von „Dauerstellenkonzepten“, die die HRK den Fakultäten bzw. Fachbereichen empfohlen hat. Vom Mitspracherecht sollte an geeigneter Stelle Gebrauch gemacht werden!

Stephanie Zuber