Diskussion in Hamburg: „Wissenschaft als Beruf – Traumjob oder Weg in die Sackgasse“

06. Juni 2012 Von: Stephanie Zuber Gruppenbeitrag
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Beitrag von Matthias Gröger

Am 11. April lud Krista Sager, derzeitige Sprecherin der Bundestagsfraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, in den Philosophenturm der Universität Hamburg ein, um unter dem Motto „Wissenschaft als Beruf – Traumjob oder Weg in die Sackgasse“ mit Betroffenen und Experten  über neue Karrierewege in der Wissenschaft zu diskutieren. Eine persönliche Randnotiz.

Neben Dr. Anke Burkhardt, Expertin für Hochschulforschung an der Martin-Luther Universität Halle Wittenberg und Universitätspräsident Prof. Dr. Dieter Lenzen folgten der Einladung rd. 150 weitere interessierte Gäste. Nicht gerade viel, wenn man sich vor Augen führt, dass im Umfeld der Hamburger Universitäten und Forschungseinrichtungen über 10.000 Kollegen überwiegend prekär beschäftigt sind. Genauere Zahlen zur Situation der Beschäftigten lieferte zu Beginn Anke Burkhardt. Befristungsquoten schwanken hierzulande zwischen 80 und 90%; die Hälfte aller Arbeitsverträge hat eine Laufzeit von unter einem Jahr. Des Weiteren ist eine starke Tendenz zu immer mehr Teilzeitbeschäftigung (d.h. Halbe- und immer mehr Viertelstellen) in den letzten Jahren festzustellen. Demgegenüber steigen die Befristungsquoten außerhalb Deutschlands nicht über 30%.

Gesprächsmoderatorin Katharina Fegebank (GAL) bat danach Universitätspräsident Dieter Lenzen, seine Vision eines künftigen Karrierepfads in der Wissenschaft darzulegen. Dieser verbrauchte nahezu seine gesamte Redezeit, um zu referieren, wie es aus seiner Sicht zu der gegenwärtigen prekären Situation hat kommen können. Eine Lösung des Problems werde nicht einfach sein und sie werde – mit Blick auf die neben ihm sitzende Krista Sager - auch Geld kosten. Gedankt sei Dieter Lenzen aber dafür, dass er Worte aussprach, die gegenwärtig niemand hören will: Es gibt und wird in Zukunft an der Uni HH nicht genügend Stellen geben, um allen prekär Beschäftigten eine Zukunft zu geben. Daher wird ein Großteil der heute befristet Beschäftigten aus dem System ‚„rausfallen‘“ müssen. Da Aufgaben und Anforderungen der Universitäten aber nicht weniger werden sondern in Zukunft sogar noch steigen, müssen zwangsläufig immer mehr junge Nachwuchswissenschaftler zeitlich befristet „nachgeneriert“ werden – ein Teufelskreis also, der sich nicht nur an den Hamburger Universitäten dreht, sondern charakteristisch für das Hochschulsystem in Deutschland ist. Das ist Fakt, auch, wenn das die politischen Akteure nur ungern zur Kenntnis nehmen und die betroffenen prekär beschäftigten Kollegen nur allzu gern verdrängen. Verschärfend in der aktuellen Situation kommt hinzu, dass der Generationenwechsel bei den Berufungen langsam zum Abschluss kommt, so Lenzen.

Krista Sager machte deutlich, dass die gegenwärtige Situation nicht akzeptabel sei und verwies auf die jüngsten in den Bundestag eingebrachten Anträge ihrer Fraktion. Steigende Geldmittel hätten in der Vergangenheit aber zu keinem Rückgang der befristeten Beschäftigungsverhältnisse geführt. Diese hätten, im Gegenteil, in den vergangen Jahren zugenommen und die Situation noch zugespitzt. Ihre Sorge galt jedoch in erster Linie der Abwanderung des qualifizierten wissenschaftlichen Personals, der den Wissenschaftsstandort Deutschland bedrohe. Für diese Aussage erntete Frau Sager auch Nicken und Zustimmung bei den anwesenden Experten vorne auf dem Podium. Nur das Publikum spielte nicht so recht mit. Verständlich: Jemand der nicht weiß, ob er in einem Monat noch beschäftigt ist, hat vermutlich dringendere Probleme, als sich über den Wissenschaftsstandort Gedanken zu machen. Auch an anderer Stelle zeigten sich die unterschiedlichen Sichtweisen und Wahrnehmungen zwischen Betroffenen, Experten und Entscheidungsträgern. So wurden auch konkrete Maßnahmen, die den Hochschulen die Entfristung „erleichtern“ sollen und, wie sie auch von der GEW gefordert werden, diskutiert. So u.a.:

  • Erhebung eines Risikozuschlags bei befristeter Beschäftigung
  • Erstellung eines verbindlichen Verhaltenskodex für faire Beschäftigung in der Wissenschaft
  • Mittelvergabe an Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen nur mit der Auflage das faire Karriereperspektiven und anständige Beschäftigungsbedingungen geschaffen werden

Anke Burkhard warnte den Gesetzgeber jedoch davor ‚„Schnellschüsse‘“ in punkto Gesetzesänderungen und Richtlinien zu machen, wie das z.B. 2002 bei der 5.   Novelle des Hochschulrahmengesetzes durch Edelgard Bulmahn, oder auch zuletzt bei Einführung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes passiert sei. Kritisch äußerte sie sich auch zu dem Vorschlag, den Hochschulen die Möglichkeit einer „betriebsbedingten Kündigung“ einzuräumen, um die Scheu vor unbefristeten Verträgen abzubauen. Burkhardt befürchtet, dass solche Kündigungen dann unweigerlich zunehmen werden, womit aber keinem wirklich gedient sei. Dies sah der Großteil der anwesenden Gäste jedoch anders. Immerhin zwingt dies den Arbeitgeber aus der Reserve, will heißen: Dieser muss begründet und nachvollziehbar offenlegen, weshalb keine Weiterbeschäftigung möglich ist. Das ist unangenehm und auch nicht einfach für den Arbeitgeber. Aber es ist auch ein Zeichen von Wertschätzung gegenüber dem Mitarbeiter, der vielleicht schon über viele Jahre in prekärer Beschäftigung StudentInnen betreut, Vorlesungen hält, Diplom und Doktorarbeiten begutachtet, erfolgreich Drittmittel einwirbt und nebenbei noch ‚exzellente‘ Wissenschaft betreibt. Auch hätten Betriebs- bzw. Personalräte die Möglichkeit zur Mitbestimmung bei Restrukturierungen und solche sozialverträglich zu gestalten. Hier zeigte sich dann das ausgezeichnete politische Gespür von Frau Sager, die die Stimmung des Publikums aufgriff und verkündete, sie habe solche Möglichkeiten bereits ausführlich mit Andreas Keller (Bundesvorsitzender der Sektion Wissenschaft der GEW) erörtert.

Die Veranstaltung hat das Spannungsfeld aus den unterschiedlichen Zielen/Sichtlagen von Politik, Hochschulen und prekär Beschäftigten zumindest grob skizziert. Und es ist deutlich geworden, dass niemand anderes als die prekär Beschäftigten selbst ihre Forderungen formulieren müssen. Damit dies aber möglich ist, braucht es eine starke Gewerkschaft. Die brennendsten Forderungen sind bereits im Templiner Manifest niedergelegt und haben schon jetzt Eingang in Bundestagsanträge aller vertretenen Fraktionen gefunden. Die operative Umsetzung dieser Forderungen in konkrete Beschlüsse wird heute und in Zukunft von der GEW forciert und begleitet werden.

Matthias Gröger für die FG HuF