Die GEW unterstützt den Offenen Brief der GEW-Betriebsgruppe der Schule Grützmühlenweg.
Sehr geehrter Herr Senator Rabe, sehr geehrter Herr Altenburg-Hack,
wir, die GEW-Betriebsgruppe der Schule Grützmühlenweg, schließen uns den offenen Briefen der GEW Betriebsgruppen der Gretel Bergmann Schule, der Schule Weidemoorweg und der Grund- und Stadtteilschule Eppendorf und deren Forderungen an.
Auch wir wollen die völlig inakzeptablen Arbeitsbedingungen, die uns Beschäftigten an den Hamburger Schulen nicht erst seit der Pandemie-Situation zugemutet werden, nicht weiter stillschweigend hinnehmen. Einmal mehr, angesichts einer immer bedrohlicher werdenden Situation mit stetig steigenden Infektions- und Totenzahlen, fühlen wir uns durch Ihre Politik des Herunterspielens und Schönredens allein, regelrecht im Stich gelassen.
Statt gemeinsam mit uns nach Lösungen zu suchen, die uns bei der täglichen Arbeit in den Schulen wirklich helfen, wird über uns hinweg bestimmt und eine nicht nachvollziehbare Verordnung nach der anderen erlassen, die viele Kolleginnen und Kollegen täglich an die Belastungsgrenze und darüber hinaus treibt. Viele fürchten bereits zu Recht um ihre Gesundheit. Doch das ist es nicht allein. In vielen Kollegien wachsen Resignation und Wut, so auch bei uns.
Wut über die Tatsache, dass wir seit fast zwanzig Jahren durch behördliche Entscheidungen dazu gezwungen sind, unsere eigentliche Aufgabe, die pädagogische Arbeit am Kind (der Grund, weshalb wir Lehrer geworden sind) zu vernachlässigen. Wut darüber, dass unsere Expertise in keinerlei politische Entscheidungsprozesse einbezogen wird, und dass bei Ihnen scheinbar der Leitgedanke vorherrscht, uns Leuten aus den Sozialberufen könne man eh alles zumuten, da wir ja immer das Wohl unserer Schutzbefohlenen im Blick haben und daher gerne Mehrarbeit in Kauf nehmen. Dies tun wir durchaus, allerdings schon seit langem mit zusammengebissenen Zähnen.
Unsere Wahrnehmung ist: Unser oberster Dienstherr nimmt seine Fürsorgepflicht gegenüber den Beschäftigten im Hamburger Schuldienst nicht wahr, und eine demokratische Beteiligung der Beschäftigten bei Entscheidungsprozessen ist weder gewährleistet noch überhaupt erwünscht. Wir aber wollen einbezogen und angehört werden, dazu haben wir das Recht, und zwar ebenso langfristig wie auch gerade jetzt in dieser historischen Lage der Pandemie.
Ihre Behauptung, die Schulen seien in Corona-Zeiten ein sicherer Ort, kann einer wissenschaftlichen Überprüfung erwiesenermaßen nicht standhalten (vgl. https://www.gew-hamburg.de/themen/schule/schulpflichtige-haben-ein-hoeheres-infektionsrisiko-als-der-rest-der-bevoelkerung) bzw. Ihre Behörde hält belastbare Belege hierfür zurück.
Stattdessen verdrehen Sie Aussagen des Vorsitzenden des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Dr. Stefan Renz, um damit die Aufrechterhaltung des Präsenzunterrichts zu legitimieren. Ein "unseriöses" Vorgehen, findet der Benannte, der sich instrumentalisiert fühlt. (vgl. https://www.abendblatt.de/hamburg/article231144738/hamburg-corona-kinder...). Wir hingegen finden es erschreckend, wie von ihrer Seite durch Desinformation Fakten geschaffen werden, die uns Beschäftigte eindeutig gefährden.
Auch sind wir verärgert, dass Sie sich beim Thema Digitalisierung als Vorreiter hinstellen, obwohl die meisten Schulen noch nicht einmal über eine ausreichend starke Internetanbindung verfügen , die grundlegendste aller Bedingungen digitalen Arbeitens (vgl. https://voss-hh.de/bandbreiten/ https://www.gew-hamburg.de/themen/schule/internet-und-schule-in-hamburg). Die Tatsache, dass Lehrkräfte für ihre digitale Arbeit weiterhin ihre privaten Geräte benutzen und immer noch darum betteln müssen, Dienstgeräte auch nur in Aussicht gestellt zu bekommen, ist ein Skandal und zeigt in beschämender Weise, wie unzureichend die Ausstattung an den Schulen in Wirklichkeit ist.
Es war also längst überfällig, Schulen mit Tablets und Notebooks auszustatten.
Allerdings ist es eine Sache, Geräte zu liefern. Doch wie geht es weiter? Wo sind die fähigen IT-Fachleute und Systemadministratoren, die die Schulen in der Inbetriebnahme und Verwaltung dieser Geräte unterstützen und eine technische Infrastruktur schaffen und pflegen?
Es kommen keine, und einmal mehr sind es Goodwill und Pflichtgefühl engagierter Lehrerinnen und Lehrer, die dafür sorgen, dass es irgendwie läuft - natürlich alles "on top". Von Ihrer Seite jedoch kein erkennbarer Plan, keine Strategie, keine Ressourcen, keine Hilfe. Wie so oft: "Hier habt ihr, macht mal selber." Selbstverantwortete Schule nennen Sie das. Wir nennen es Nötigung zur Selbstausbeutung. Das ist keine verantwortungsvolle Politik, Herr Senator, das ist Pfusch, um es mal in dieser Deutlichkeit zu sagen. Schlimmer noch, es ist offenbar Pfusch mit Kalkül. Und die Wut wächst weiter.
Eine Nachricht von der Basis: Wir stehen im Jahr 2021 als Bildungsinstitutionen höchstens an einem mickrigen Anfang der längst viel weiter fortgeschrittenen Digitalisierung. Wir ächzen der Lebenswirklichkeit unserer Schülerinnen und Schüler in peinlicher Weise hinterher, und das Traurigste ist: Ohne die Corona-Pandemie wären wir heute noch nicht einmal an diesem Punkt angelangt, von den rechtlichen Voraussetzungen ganz zu schweigen (vgl. https://www.abendblatt.de/meinung/article231144184/Das-Versagen-der-Hamburger-Schulpolitik.html).
Für eine echte Digitalisierung, ebenso wie für eine echte Inklusion, ebenso wie für eine tatkräftige Krisenbewältigung in schweren Zeiten haben Sie, bei allem Respekt, Herr Senator Rabe, effektiv herzlich wenig getan! Viele Kolleginnen und Kollegen registrieren allerdings, dass Sie sich für medienwirksame Inszenierungen auf YouTube und Instagram gerne Zeit nehmen. Zeit, die Sie nach dem Wunsch Ihrer Beschäftigten lieber in den Dialog mit den Schulen und den Gewerkschaften investieren sollten, denn die können Ihnen sehr genau sagen, was die Situation hier und jetzt erfordert.
All dies brauchen wir mehr als Balkonapplaus von höchster Stelle, in Form von wohlformulierten Durchhaltebriefen. Außerdem eine spürbare Arbeitszeitentlastung als eine Geste des guten Willens gegenüber Ihren Beschäftigten. Doch anstatt wie vom Bund beschlossen die Schulen ab dem 16.12. zu schließen (und bis zum 10. Januar geschlossen zu halten), gehen Sie mit der Aufhebung der Präsenzpflicht bei gleichzeitiger Wahloption für Eltern einen Sonderweg und laden Ihrer ohnehin schon ächzenden Lehrerschaft auf die letzten Meter noch mal eine saftige Doppelbelastung in Form von Präsenzangeboten PLUS Homeschooling auf. Wie das eigentlich gehen soll, ohne dass sich die Kollegen zerteilen, darüber haben Sie sich offenbar wenig Gedanken gemacht. Vielleicht ein Livestream aus dem Klassenraum? Hierzu kein weiterer Kommentar. Nein, die Erwartung war wohl eher, dass sich Lehrkräfte am Nachmittag an ihre Privatgeräte zu Hause setzen, um Videokonferenzen abzuhalten und ansprechende digitale Lernangebote zu erstellen. Da kann man nur sagen: Danke für nichts.
Herr Senator, unser Engagement in der Zusammenarbeit mit Kindern und Jugendlichen und deren Familien basiert auf unserem Verantwortungsbewusstsein in Bezug auf die Bildungschancen und die Zukunft unserer Schülerinnen und Schüler, letztlich auf unserer Freude, mit Menschen zu arbeiten. Wir leisten seit Jahren mehr, als unsere Arbeitszeit uns vorschreibt. Wir bilden uns fort, wo wir nur können, weil uns die Schülerinnen und Schüler am Herzen liegen und weil wir unseren Dienstauftrag ernst nehmen und gewissenhaft ausführen wollen.
Unser Eindruck ist mehr und mehr, dass diese unsere Grundhaltung von der Schulbehörde als selbstverständlich erachtet, mithin schamlos ausgenutzt und sogar bewusst bei behördlichen Entscheidungen mit einkalkuliert wird. Nach dem Motto: "Die Lehrerinnen und Lehrer werden schon machen." Das geht so nicht. Es reicht!
Würden die Beschäftigten an den Schulen, das pädagogische wie auch das Verwaltungspersonal und nicht zuletzt die Schulleitungen, aufhören, täglich über ihre Zeit- und Kraftressourcen hinauszugehen und dazu übergehen, Dienst nach Vorschrift zu leisten, würde das Schulsystem sehr schnell wie ein Kartenhaus zusammenbrechen. Schülerinnen und Schüler und auch die Eltern würden noch viel stärker als jetzt spüren, was es heißt, wenn Lehrkräfte tatsächlich nur noch das tun, wozu sie laut Lehrerarbeitszeitverordnung verpflichtet sind. Die Beschwerden der Eltern, die Sie in Ihrer Pressekonferenz vom 13.12.2020 so erwähnenswert fanden, werden dann noch viel lauter werden. Es braucht mehr als warme Worte in Behördenbriefen und Storys auf Instagram, um uns davon zu überzeugen, dass Sie unsere Arbeit tatsächlich wertschätzen und ein echtes Interesse an den Bildungserfolgen der Kinder dieser Stadt haben. Denn auch ein Bildungssystem ist nur so gut wie seine Mitarbeiter. Und die können bald nicht mehr.
Darum fordern wir Sie ebenfalls auf, gemäß dem Eckpunktepapier der GEW "Schule unter Pandemiebedingungen" endlich substanzielle Maßnahmen zu ergreifen, um die Hamburger Schulen und ihre Beschäftigten nicht nur sicher durch die Pandemie, sondern auch allgemein voran zu bringen und sie fit für die Zukunft zu machen. Wir erklären uns solidarisch mit den vielen Kollegien, die ihrem Unmut in den letzten Tagen bereits mit ähnlichen Briefen Luft gemacht haben und fordern alle anderen auf, sich dem Protest anzuschließen. Wir fordern in aller Deutlichkeit einen Wechsel in der Hamburger Schulpolitik hin zu weniger Ausbeutung und mehr Dialog, mehr Zeit für Pädagogik, einer tatkräftigen und planvollen Unterstützung der Schulen und einer echten Achtung der Leistung und der Gesundheit ihrer Mitarbeiter.
Mit freundlichen Grüßen,
GEW-Betriebsgruppe der Schule Grützmühlenweg