Ganztagsbetreuung - Was stört´s die Eiche, wenn sich ein Wildschwein an ihr reibt?

Bildungspolitik
Welche Risiken und Nebenwirkungen sich in den Modellen für Ganztagsbetreuung verbergen, wird vom Autor aufgedröselt

So oder ähnlich dürften die Gedanken des Schulsenators sein, wenn wir ihm vorhalten, dass Erfolge nicht an Quantität, sondern an Qualität zu messen sind. 200 von 203 Grundschulen sind seit dem 01.08.2013 Ganztagsschulen, davon 125 in Form von GBS (Ganztägige Betreuung an Schulen) und 75 in Form von GTS (Ganztagsschulen), jubelt er in seiner Pressemitteilung vom 25.07.2013. Und weiter: „… wir werden uns auf diesem Erfolg nicht ausruhen, sondern nach der großen Aufbauarbeit jetzt Schritt für Schritt die Ganztagsangebote wie auch das Schulangebot insgesamt qualitativ weiterentwickeln.“

Markige Sprüche eines Senators, der in derselben Pressemitteilung den Umstand als Erfolg verkaufen will, dass nicht einmal die Hälfte dieser Ganztagsgrundschulen über vernünftige Speiseräume für das Mittagessen verfügt. Noch ein Erfolg soll es sein, dass erst 2015 ausreichend viele Erzieherinnen und Erzieher ausgebildet sind. Und natürlich wird bei der Angabe der gesteigerten Ausbildungskapazitäten zum/r Erzieher_in verschwiegen, dass diese nicht nur dringend in der Ganztagsschule benötigt werden, sondern ebenso dringend in den Kindertagesstätten, da seit dem 01.08.2013 auch der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für alle Einjährigen in Kraft getreten ist.

Unbestreitbar ist es ein Erfolg, dass es nicht mehr von der Erwerbstätigkeit von Eltern abhängt, ob ein Schulkind auch nachmittags in einer Institution Bildung, Betreuung und Erziehung erfährt, dies aber allein dem amtierenden Senat zuzuschreiben, hieße, den Vogel mit fremden Federn zu schmücken.

GBS funktioniert nur mit Kooperationspartnern. Viele dieser Kooperationspartner waren zuvor Anbieter der Hortbetreuung, kennen sich also im Metier aus.  Allerdings sind die Arbeitsbedingungen für viele Erzieherinnen und Erzieher in diesem Zusammenhang verschlechtert worden.

Ein Klassenraum ist kein Hort, selbst mit der Umwidmung zu einem Multifunktionsraum bleibt er ein Raum, in dem auch unterrichtet werden muss. Funktionalität muss kein Widerspruch zu Gemütlichkeit sein, aber Geld für die Ausstattung darf dann nicht fehlen.

Die Essensräume, soweit sie denn vorhanden sind, müssen auf Massenbetrieb ausgelegt sein, da enge Zeitvorgaben für die Essenausgabe und - einnahme vorherrschen. Getaktet ist auch die Zeit für die Hausaufgaben (vom Sinn oder Unsinn solcher Aufgaben soll hier nicht die Rede sein, einige Schulen nennen diese Zeit nun Lernzeit) und dann folgt das Nachmittagskursprogramm, das ebenfalls in einem engen Zeitfenster stattinden muss.

Eltern können ihre Kinder am GBS-Tag mit einer Mindestteilnahmezeit von drei Tagen in der Woche bis 15 Uhr anmelden. Maximal ist eine fünftägige Teilnahme inklusive (kostenplichtiger) Früh- und Spätbetreuung von 6 bis 18 Uhr möglich. Dazu ist jeweils die kostenplichtige Teilnahme am Mittagessen buchbar, aber nicht alle Kinder sind verplichtet am Essen teilzunehmen. Das bedeutet für den Nachmittagsbetrieb, dass täglich wechselnde Gruppenzusammensetzungen stattinden und auch das Kursprogramm relativ flexibel buch- und belegbar sein muss.

Früher war der Hortbetreiber für die Verplegung der Kinder zuständig, jetzt ist es die Schule, die diese Aufgabe an Caterer vergibt. Die Cateringfirmen erhalten pro Mittagessen 3,50 Euro. Davon muss das Essen, die Zubereitung, die Anlieferung, die Essenausgabe, die Reinigung der Ausgabeküchen und des Geschirrs, die damit verbundenen Personalkosten finanziert werden. Für Getränke generell und für Verpflegung außerhalb des Mittagessens ist kein Budget vorgesehen.

Die Erzieher_innen des Kooperationspartners sind verpflichtet, die Kinder (23 je Erzieher_in) beim Essen zu beaufsichtigen. Weder ist vorgesehen, dass sie bei der Essenverteilung mithelfen, noch ist vorgesehen, dass sie z.B. den fünfjährigen Vorschulkindern beim Auffüllen oder beim Fleischschneiden helfen. Den zumeist geringfügig beschäftigten Küchenhilfen wird auferlegt, dass sie die Speisen so portionieren, dass auch noch die dritte Essensschicht genügend zu essen bekommt. Der Caterer liefert nur die von den Eltern im Vorwege bestellte Anzahl von Essen. Es sind schon Schulleitungen losgelaufen, um Würstchen und Salat zu kaufen, da nicht genug Essen vorhanden war.

Die Refinanzierung der Fachkräftebezahlung erfolgt nach einem Schlüssel, der die Träger bevorzugt, die unter Tarif bezahlen. Behördlicherseits wurde mit einem Stundenumfang von 17,5 Wochenstunden inklusive Vertretungsfälle kalkuliert, die pro Gruppe (23 Kinder an KESS 3-6 Schulen, 19 an KESS 1+2 Schulen) für die Fachkraft refinanziert werden. Da für diesen Umfang von Wochenstunden kaum Fachkräfte zu finden sind, müssen tariftreue Träger große Anstrengungen unternehmen, um dennoch Stundenumfänge von 20 bis 25 Stunden anbieten zu können. Oft wird dafür das Budget für den Leitungsbereich und das sogenannte „zusätzliche pädagogische Entgelt“ benutzt.

Wenn es dem Senat tatsächlich ernst damit wäre, qualitativ zu „verbessern“, dann müssten Übergabezeiten, Vorbereitungszeiten, Kommunikationszeiten zwischen Lehrer_innen und Erzieher_innen sowohl auf Schulseite als auch auf Kooperationspartnerseite ins System eingerechnet und bezahlt werden.

Um ihre Fachkräfte gegebenenfalls sogar ganztägig einsetzen zu können, werden Konstruktionen gebildet, die den Erzieher_innen auferlegen, vormittags mit 0-3 Jährigen im Krippenbereich oder 3-6 jährigen Kindern im Elementarbereich zu arbeiten und dann ab 13 Uhr die Schulkindergruppe in Empfang zu nehmen, bzw. sie aus den Klassenräumen abzuholen. Wer den Unterschied zwischen Vorschulkindern und Viertklässlern kennt, der mag erahnen, welch hohen pädagogischen Anspruch Erzieher_innen erfüllen müssen, wenn sie jeden Tag zwischen diesen Altersbereichen wechseln müssen, um ein Einkommen zu erzielen, mit dem sie wirtschaftlich selbständig leben können.

So könnte man meinen, es sei besser, in der Form GTS als Erzieher_ in eingesetzt zu werden. Die GTS unterscheidet sich in drei Formen: nicht gebundene, teilgebundene und gebundene Ganztagsgrundschule.

In der gebundenen Ganztagsschule findet der Unterricht über den Tag verteilt zwischen 8 und 16 Uhr statt, wobei sich Unterrichts- und Freizeitphasen abwechseln (je nach Konzept der Schule). Ebenso in der teilgebundenen Schule, wobei hier nur ein Teil der Schule (sei es nur dritte und vierte Klasse oder nur einer oder zwei Züge der 3- oder 4-zügigen Grundschule) den gebundenen Ganztag betreibt. In der nicht gebundenen GTS ist der Unterschied zur GBS hauptsächlich in dem Umstand zu sehen, dass die Schule auch den „ungebundenen“ Nachmittag unter eigener Regie durchführt.

In allen drei GTS-Formen kann sich die Schule aber auch Kooperationspartner einkaufen, die zumindest den Früh- und Spätdienst und die Ferienbetreuung mit eigenem Personal abdecken, bzw. in Form von „Arbeitnehmerüberlassung“ das Personal dafür stellen. Die/Der in der Schule eingestellte Erzieher_in mag einfacher in den Ganztag der Schule einzubinden sein und somit Umfänge von Wochenarbeitszeit erreichen, die einer Vollzeittätigkeit nahekommen. Wie und wo diese/r Erzieher_in den Tag über verteilt eingesetzt wird, entscheidet die Schulleitung. Die jüngst bekanntgewordene geplante „qualitative Verbesserung“ kann sicherlich NICHT darin gesehen werden, dass zukünftig neu eingestellte Erzieher_ innen nicht mehr die „kleine“ E 9 als Bezahlung erhalten sollen, sondern nur noch E 8 aus dem Tarifvertrag TV-L. Wir können Senator Rabe nur warnen. Es ist nicht nur die GEW, die sich an seinen Äußerungen reibt, sondern es sind die Erzieher_innen, die Lehrer_innen und die Eltern, die Elternkammer, die Lehrerkammer und auch der Landesausschuss Hamburger Eltern, LEA, die unzufrieden mit seinen „leeren“ Ankündigungen sind. Um das Bild in der Überschrift noch einmal zu bemühen: Ein Exemplar dieser Spezies mag ihn nicht stören, aber eine Rotte hat schon die eine oder andere Eiche gefällt.

JENS KASTNER