G8/9 (1) - Initiative gestartet

Bildungspolitik
So manches bleibt in der Debatte um G8/9 im Dunkeln, so lange nur interessenbezogen argumentiert wird

Zwischen Skylla und Charybdis, so hatte ich meinen Beitrag zum Gewerkschaftstag, in dessen Zentrum die Debatte um G8/9 stand, in der letzten Ausgabe dieser Zeitung betitelt. Mit anderen Worten: Gleich welche Entscheidung man trifft, ob man sich beteiligt oder nicht, man unterstützt damit nicht das Ziel nach Chancengleichheit.

Aktuell, während der Erstellung dieser Ausgabe, sammelt die ‚G9-Jetzt‘-Initiative nun Unterschriften für eine Rückkehr zu 13 Jahren bis zum Abitur. Und wenn man sich das Unterstützerumfeld ansieht und dieses auch noch aus den Tagen kennt, in denen dieselben Personen ein längeres gemeinsames Lernen – in Form einer lediglich auf sechs Jahre angelegten Primarschule – verhindert haben, dann scheint der Rückschluss naheliegend, dass es auch in diesem Fall um die Durchsetzung partikularer Interessen einer Gruppe von ohnehin schon Privilegierten geht. Insofern kann ich es verstehen, wenn gerade auch Gewerkschafter_innen sich gegen die Initiative stellen (so ja auch unser Beschluss auf dem Gewerkschaftstag). Hinzu kommt, dass, wenn man bereits die Stadtteilschule als Errungenschaft für mehr Bildungsgerechtigkeit erachtet, eine Rückkehr zu G9 den Stadtteilschulen jenen Wettbewerbsvorteil nähme, von dem man annimmt, dass dieser das Motiv von Eltern ist, ihre Kinder statt aufs Gymnasium auf eine Stadtteilschule zu schicken.

Aber ist dem so? Wenn man einmal von den wenigen Eltern absieht, die tatsächlich aus Überzeugung ihre Kinder – trotz Gymnasialempfehlung – auf eine Stadtteilschule geben, so ist diese eindeutig die Bildungseinrichtung, die nahezu ausschließlich Kinder aus sogenannten bildungsfernen Schichten beschult. Ausnahme bilden, mit deutlich abnehmender Tendenz, seitdem es aus verständlichen Gründen die Sprengelverfügung gibt (alleiniges Kriterium, ob ein Kind aufgenommen wird, ist die Entfernung zwischen Wohnort und Schule), einige wenige Stadtteilschulen, die i.d.R. als Langform mit hohem reformpädagogischen Anspruch arbeiten.

Insofern ist das Argument, man sei gegen die Wiedereinführung des G9, weil man ja andernfalls den Stadtteilschulen den Garaus machen würde, aus dem Munde von ehemaligen Wwl-Anhänger_innen unglaubwürdig bis verlogen. Auch der für Bildung zuständige Redakteur der Hamburger Ausgabe der Zeit behauptet dies zum Auftakt des Volksbegehrens, wohlwissend, dass er für eine Klientel schreibt, die vor nichts mehr Angst hat, als dass ihre Kinder mit Kindern aus bildungsfernen Schichten zusammenkommen könnten.

Um es an dieser Stelle noch einmal deutlich zu sagen: Die GEW lehnt nach wie vor das Zwei-Säulen-Modell ab, weil dieser vermeintliche ‚Spatz in der Hand‘ eine Konstruktion ist, die dazu führt, die Gesellschaft dauerhaft in Bildungsgewinner und -verlierer_innen zu spalten.

Gleich welches Ergebnis die Volksinitiative zeitigen wird: die Richtschnur unseres Handelns bleibt der aus dem Grundgesetz in Artikel 3 postulierte Gleichheitsanspruch, aus dem sich direkt das Gebot nach Chancengleichheit ableitet. Dieses aber kann mit dem Zwei-Säulen-Modell niemals eingelöst werden.

Nicht ohne Hintergedanken haben wir mit Vertreter_innen der Heinrich-Hertz-Schule ein Interview geführt. Diese Schule stellt insofern eine Besonderheit in der Hamburger Schullandschaft dar, weil sie beide Säulen unter einem Dach beherbergt. Kooperative Gesamtschule nannte sie sich vormals, das Attribut kooperativ kennzeichnet sie auch heute noch. In besonderem Maße vor allem in der Studienstufe. Dort nämlich lernen die Schüler_innen aus beiden Säulen bereits gemeinsam für das Abitur!

Dass dies möglich ist, offenbart die Irrationalität des übrigen Systems. Wollte man einem vernunftbegabten außerirdischen Wesen unser Zwei-Säulen-System erklären, wäre es naheliegend, dass dieses fragt, warum denn dieses gemeinsame Lernen in der Mittelstufe nicht möglich sei?

Um also keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die Heinrich-Hertz-Schule ist vielleicht einen Schritt weiter als andere Stadtteilschulen, aber auch sie trennt die Schüler_innen – in diesem Fall nach der sechsten Jahrgangsstufe. Dagegen gibt es vergleichbare Schulen in Langzeit (also ab Jahrgangsstufe eins), die ohne äußere Differenzierung arbeiten, allerdings dann mit einer Klientel, die stark geprägt ist von einem Aderlass an die Gymnasien nach Jahrgangsstufe vier. Wir werden in der nächsten Ausgabe dieses Modell näher vorstellen.

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass der gegenwärtige Streit letztendlich auf dem Rücken aller Kinder ausgetragen wird. Gäbe es die ‚Eine Schule für Alle‘, spräche nichts für die Wiedereinführung des Abiturs nach 13 Jahren. Außer man glaubte jenen Apologeten des Neoliberalismus, die einst die Botschaft unter das Volk brachten, Deutschlands internationale Wettbewerbsfähigkeit stände auf dem Spiel, wenn ‚wir‘ nicht wie alle anderen unsere Kinder schon nach 12 Jahren ins nächste Rennen schicken würden.

Joachim Geffers
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