DGB-Jugend - Manöverkritik 1. Mai

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Mit den jüngsten Ereignissen rund um den 1. Mai in Hamburg (Olaf Scholz auf der Gewerkschaftsdemo, Abriegelung des Gewerkschaftshauses) ist die Debatte um die Senatspolitik und die Rolle der Polizei neu entfacht. Mit der Veröffentlichung der Stellungnahme

 

Die Hamburger Polizei  hatte den Ausnahmezustand über weite Teile der Hamburger Innenstadt verhängt und erklärte St. Pauli, die Sternschanze sowie Altona-Nord und -Altstadt unbefristet zum Gefahrengebiet, Unterstützung erhielt sie dabei vom Hamburger Senat. Nach breitem Protest wurden diese Gefahrengebiete vollständig aufgelöst. Abgesehen von den fest installierten Gefahrengebieten in St. Pauli und St. Georg und der Möglichkeit, jederzeit neue Gebiete als solche zu erklären, ändert diese überfällige Entscheidung auch nichts an der fortlaufenden Kriminalisierung der aktuellen Proteste in Hamburg und dem repressiven Umgang hiermit seitens des Senats und seiner Polizei.

Als DGB-Jugend Hamburg sind und waren wir - teilweise stärker, teilweise geringer - bei diesen Protesten gegen die Senatspolitik involviert, daher wollen wir zu Verschiedenem Stellung beziehen.

Der Konflikt in dieser Stadt schwelt schon länger

Seit Monaten kochen in Hamburg vielerlei politische Konliktherde: brennende Themen sind u.a. die Frage nach einem Bleiberecht  für Gelüchtete, wie der Gruppe Lampedusa in Hamburg, dem grassierenden Mietenwahnsinn und proitorientierter Wohnungspolitik, wie im Fall der Esso-Häuser, sowie der Umgang mit bzw. Erhalt von selbstorganisierten linken Projekten wie der Roten Flora. Seit Monaten organisieren Betroffene und Unterstützer_innen breiten und vielfältigen Protest von Infoveranstaltungen bis zu einem Schulstreik. Doch der Hamburger Senat bleibt stur, kriminalisiert die Proteste und fährt seine Hardliner-Politik fort.

Diese Tatsache darf bei der Diskussion über die aktuellsten Geschehnisse nicht aus dem Blick geraten. Wir haben einen Senat erlebt, der durch seine Politik die Konlikte mit vorangetrieben hat. Anstatt den allgemein geforderten sozialen Frieden zu ermöglichen, blockiert er bei sozialen Themen und schaffte eine Spannung, die nicht verschwiegen werden darf, wenn über die Eskalationen der letzten Wochen und Monate gesprochen wird. Mit Vehemenz und der Verweigerung jeglicher Selbstkritik verweigert der Senat sich einer sozialen Problemlösung. Unterstützt durch konservative Medien und Vertreter_innen der Polizeigewerkschaften DPolG und GdP fokussierte er die alleinige Thematisierung der stattgefunden Gewalt durch Demonstrierende und leugnete jede eskalierende Verantwortung und gewalttätiges und repressives Agieren der Polizei. Genau diese einseitige Thematisierung erhält dann ihre Funktion, wenn sie dazu dient, die Debatte über Ursachen dieser Eskalation und damit auch realistische und soziale Lösungen auszublenden.

Akteur_innen wollen sich mit den Ursachen auseinandersetzen und Lösungen entwickeln. Nur durch die Behebung von sozialer Ungerechtigkeit ist auch sozialer Frieden möglich.

"Wie viel Mühe kostet die Niederschlagung und Verhütung von Aufständen: Geheimpolizei, an- dere Polizei, Spitzel, Gefängnisse, Verbannungen, Militär! Und wie leicht sind die Ursachen für Aufstände zu beseitigen." Leo Tolstoi, Tagebücher (1901)

Die Polizei  hat  momentan die undankbare Aufgabe, die unsoziale Politik der Regierenden im Zweifel mit Schlagstock und Pfefferspray zu verteidigen. Trotzdem sehen wir den Polizeiapparat in den vergangenen und aktuellen Auseinandersetzungen nicht lediglich als ein ausführendes Organ, sondern als einen zum Teil eigenständigen politischen Akteur mit Gewaltmonopol. Selbst gewählte Eskalationsstrategien wie beispielsweise massiver Einsatz von Gewalt, ein Monopol auf die Gefahreneinschätzung und Behinderung von internen Ermittlungen machen ihn zu diesem eigenständigen Akteur. Wer auf öffentlichen Protest mit Repression reagiert, kann nicht sozialen Frieden im Sinn haben, sondern lediglich eine Ordnung, in der es keinen Protest gegen das Bestehende gibt.

Als Gewerkschafter_innen sind wir Teil dieses Protestes gegen das Bestehende. Wir fordern sozialere Verhältnisse, wir streiken für bessere Arbeitsbedingungen, wir blockieren Nazis den Weg. Wir können daher einen so agierenden Polizeiapparat nicht akzeptieren, denn er richtet sich auch gegen uns. Aus diesem Grund fordern wir die sofortige Abschaffung des Gesetzes, welches Gefahrengebiete erst ermöglicht, das Verbot von Pfefferspray auf Demonstrationen, die Kennzeichnungsplicht aller Polizeibeamt_innen im Vollzug und eine Aufklärung von polizeilichen Rechtsverstößen, die ihren Namen auch verdient.

Aussicht: Die Themen bleiben aktuell, die Gewerkschaften sind gefordert

Es gibt momentan keine Anzeichen dafür, dass sich bei den strittigen Themen in naher Zukunft Entspannung anbahnt. Die SPD sieht das Problem mit der Gruppe Lampedusa in Hamburg als gelöst an und versucht damit wieder einmal, den berechtigten Protest zu delegitimieren. Gleichzeitig gab es nach dem Vorbild der bürgerlichen  Gegenproteste gegen den Naziaufmarsch am 2. Juni 2012 die Bestrebungen, ein breites Bündnis „gegen Gewalt“ zu initiieren. Die Gleichsetzung von links und rechts als Feinde der „Mitte“ findet hier ihren Ausdruck. Dagegen gilt es zu agieren – in der Gesellschaft, im Betrieb und auf der Straße!

Ein zentrales Feld für die Gewerkschaften muss weiterhin die Forderung nach Mitbestimmung sein – Mitbestimmung in allen Teilen des sozialen Lebens. In einer Gesellschaft, die Menschen aufgrund der Einteilung nach „innen“ und „außen“ diskriminiert, in einem Staat, der lieber den Profit schützt, als sozialen Ausgleich zu ermöglichen und in einem System, das die Ausbeutung der Arbeit weiterhin vorschreibt, haben wir, als Teil der progressiven Kräfte, zu wenig Mitbestimmung. Mitbestimmung in diesen Bereichen und vielen mehr gilt es einzufordern – in der Gesellschaft, im Betrieb und auf der Straße!

ISABEL ARTUS

Vorsitzende DGB-Jugend Hamburg

 

Isabel Artus
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