Kein Grund zur Bescheidenheit

16. Februar 2015Von: WebredaktionThema: Tarif / Besoldung
Tarifrunde

Argumente für kräftige Lohn- und Gehaltserhöhungen im öffentlichen Dienst der Länder skizziert Kai Eicker-Wolf, DGB-Hessen-Thüringen: Personalabbau und Arbeitszeitverlängerung lösen die Probleme nicht. Vielmehr würde eine Besteuerung nach Leistungsfähigkeit die Kaufkraft ankurbeln.

Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes wollen in der anstehenden Länder-Tarifrunde 2015 eine Gehaltserhöhung von 5,5 Prozent, mindestens jedoch 175 Euro, sowie einen Tarifvertrag für angestellte Lehrerinnen und Lehrer durchsetzen. Die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe begründet die Forderungen damit, dass der öffentliche Dienst nicht länger von der Lohnentwicklung der Wirtschaft abgekoppelt werden dürfe. „Im Gegenteil“, so Tepe: „Die sich öffnende Schere muss geschlossen werden.“

Die Arbeitgeberseite in Person von Jens Bullerjahn (SPD) – Finanzminister von Sachsen-Anhalt und als solcher zurzeit Vorsitzender der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) – lehnte die Forderung der Gewerkschaften postwendend ab: Die Investitionsfähigkeit der Länder und die Einhaltung der Schuldenbremse seien gefährdet, wenn ein Tarifabschluss in Höhe der Gewerkschaftsforderung zustande käme.

Schwache Lohnentwicklung

Um die gewerkschaftlichen Lohnforderungen und ihre Begründung auf der einen und die Gegenargumente der Arbeitgeber auf der anderen Seite beurteilen zu können, ist ein Blick auf die Lohn- und Gehaltsentwicklung sowie die Finanzpolitik seit der Jahrtausendwende hilfreich. Wenden wir uns zunächst der Lohnpolitik zu.

Auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene fällt auf, dass die deutschen Lohnsteigerungen im internationalen Vergleich seit dem Jahr 2000 sehr zurückhaltend ausgefallen sind. Deutlich auseinanderentwickelt haben sich folglich die Einkommen: Während die Summe der Arbeitseinkommen aktuell gut 30 Prozent über dem Wert des Jahres 2000 liegt, sind die Gewinn- und Vermögenseinkommen fast um das Doppelte gestiegen.

Ganz besonders schwach verlief die Lohnentwicklung in den Jahren vor der Weltwirtschaftskrise 2009: Die Einkommenserhöhungen waren in den Jahren 2000 bis 2008 so gering, dass unter Berücksichtigung der Preissteigerungen ein durchschnittlicher Reallohnverlust von insgesamt vier Prozent zu verzeichnen war. Es ist kein Wunder, dass die private Konsumnachfrage, die sich zum großen Teil aus den Lohneinkommen speist, in diesem Zeitraum keine tragende Rolle für die wirtschaftliche Entwicklung spielen konnte. Nach der Weltwirtschaftskrise stiegen die Gehälter dann stärker als in den Jahren zuvor, sodass die Konsumnachfrage über nun moderat wachsende Reallöhne belebt wurde.

Aufgrund der schwachen Lohnentwicklung sind deutsche Waren seit der Jahrtausendwende immer wettbewerbsfähiger geworden, während die Nachfrage nach Gütern aus dem Ausland aufgrund der schwachen Kaufkraftentwicklung im Inland relativ gering ausgefallen ist. Als Folge verzeichnet die Bundesrepublik einen immer höheren Überschuss im Außenhandel – seit dem Jahr 2005 liegt er bei über fünf Prozent der Wirtschaftsleistung (siehe auch S. 9 f.). Schulmeister).

Differenziert man die Lohnentwicklung in Deutschland nach Bereichen, schneidet der öffentliche Dienst unterdurchschnittlich ab. Die neuesten Zahlen für einen solchen Vergleich stammen vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK): Danach stiegen die Arbeitskosten pro Stunde im öffentlichen Dienst seit dem Jahr 2000 im Jahresdurchschnitt um 20 Prozent weniger an als in der Privatwirtschaft. Mit Ausnahme der Euro-Krisenländer Griechenland und Portugal haben alle Länder des Euro-Raums, für die das IMK Zahlen berechnen konnte, seit Beginn des neuen Jahrtausends ihren öffentlich Beschäftigten deutlich größere Lohn- und Gehaltserhöhungen zukommen lassen als der deutsche Staat.

Überschuss reduzieren

Die Lohnpolitik in Deutschland muss in den kommenden Jahren darauf ausgerichtet sein, den Außenhandelsüberschuss in Höhe von aktuell rund sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu reduzieren – und dies aus zwei Gründen: Zum einen macht es für ein Land keinen Sinn, auf Dauer mehr zu produzieren als zu verbrauchen. Genau dies geschieht aber seit vielen Jahren – Deutschland lebt aufgrund seines hohen Exportüberschusses weit unter seinen Verhältnissen, da es weniger verbraucht als es produziert. Zum anderen nimmt die Bundesrepublik aufgrund ihrer hohen Konkurrenzfähigkeit und der unzureichenden Entwicklung der Kaufkraft anderen Ländern die Möglichkeit, selbst Güter und Dienstleistungen zu produzieren und so die eigene Beschäftigung zu steigern. Gerade angesichts der immer noch schwelenden Euro-Krise und der Probleme in den Krisenländern sollte Deutschland die Rolle der Konjunkturlokomotive in Europa übernehmen, indem es die Binnenkaufkraft deutlich erhöht.

Problematisch ist in diesem Zusammenhang gerade auch die schlechte Lohn- und Gehaltsentwicklung im öffentlichen Dienst. Es ist nicht einzusehen, warum dieser Bereich von der allgemeinen Steigerung des Wohlstands abgekoppelt werden soll. Außerdem verliert der öffentliche Dienst an Attraktivität, wenn sich Löhne und Gehälter hier schlechter als in anderen Branchen entwickeln. So werden Fachkräftemangel und personelle Engpässe erzeugt, die angesichts der gesellschaftlichen und ökonomischen Bedeutung der öffentlichen Hand – zu denken ist etwa an den Bildungsbereich – unbedingt vermieden werden müssen.

Bullerjahns Sorge

Abschließend sei noch auf die vom TdL-Vorsitzenden Bullerjahn formulierte Sorge um die Investitionsfähigkeit der öffentlichen Hand eingegangen. Tatsächlich besteht in Deutschland ein erheblicher Investitionsstau: Der Verschleiß der staatlichen Infrastruktur – Straßen und Schulgebäude etwa – übersteigt seit gut zehn Jahren die Bruttoinvestitionen. Der Wert der Nettoinvestitionen ist seit dem Jahr 2003 negativ. Trotzdem geht die Argumentation von Bullerjahn am eigentlichen Problem der deutschen Finanzpolitik vorbei, da fallende und niedrige staatliche Investitionen mit Personalabbau, Arbeitszeitverlängerung und geringen Lohnsteigerungen im öffentlichen Dienst einhergegangen sind. Beide Entwicklungen haben eine gemeinsame Ursache, und diese ist auf der Einnahmenseite zu suchen: Die öffentliche Hand hat durch Steuerreformen vor allem zugunsten des Unternehmenssektors und reicher Haushalte erhebliche Einnahmeverluste erzeugt. Wäre das Steuerrecht heute noch auf dem Stand des Jahres 1998, stünden den öffentlichen Haushalten pro Jahr rund 45 Milliarden Euro mehr Einnahmen zur Verfügung. In Verbindung mit der im Jahr 2009 im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse erzeugen die Steuersenkungen so einen anhaltenden Konsolidierungsdruck.

Wer – in der Sache durchaus berechtigte – Kritik an den zu niedrigen staatlichen Investitionen übt, sollte aber auch die richtige Forderung stellen: die nach einer Rückkehr zur Besteuerung nach Leistungsfähigkeit – etwa wieder eine Vermögensteuer zu erheben und Unternehmensgewinne höher zu besteuern.

Wer hingegen versucht, öffentliche Investitionen und die Löhne der staatlich Bediensteten gegeneinander auszuspielen, blendet die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der privaten Konsumausgaben aus und wird die Attraktivität des öffentlichen Dienstes weiter senken – mit der Konsequenz eines drohenden Fachkräftemangels im Bereich der staatlichen Beschäftigung.

Kai Eicker-Wolf
beim DGB-Bezirk Hessen-Thüringen für Wirtschaftspolitik verantwortlich