Mit der geplanten Neuregelung der Dienstzeit und den in kurz vor der Veröffentlichung stehenden Stellenbeschreibungen für Sozialpädagogen an Schulen wird Hamburg zum Schlusslicht bei der Qualität der Schulsozialarbeit
Die Schulbehörde arbeitet seit 2015 an einer neuen Dienstzeitregelung für das sogenannte pädagogische und therapeutische Personal an Schulen (PTF). Die Dienstzeitregelung gibt einen wichtigen formalen Rahmen vor, der die fachliche Arbeit der Kolleginnen und Kollegen an den Schulen entscheidend beeinflusst.
Aktuell gibt es einen internen Entwurf der Schulbehörde mit konkreten Überlegungen, die bisher einsatz- und berufsspezifisch getrennten Regelungen zu vereinheitlichen – und sie damit für die Schulleitungen besser händelbar zu machen. Diese Pläne wurden den Beschäftigten auf einer von den Gewerkschaften GEW und ver.di organisierten Fachtagung erstmals zur Kenntnis gegeben.
Die GEW Hamburg legt nun ein Gutachten vor, das untersucht, inwieweit mit den Setzungen des BSB-Entwurfs für eine neue Dienstzeitregelung die soziale Arbeit in Hamburger Schulen erfolgreich sein kann.
Verfasser des Gutachtens ist Prof. (em.) Dr. Gerd Krüger, der über viele Jahre hinweg den Studienschwerpunkt Schulsozialarbeit an der HAW Hamburg geleitet hat. Indem er die Schulsozialarbeit in Hamburg in den 1970er verankert und ihre Entwicklung über viele Jahre hinweg kritisch begleitet hat, ist er, nicht zuletzt als ehemaliges Mitglied des Landesschulbeirates der Schulbehörde Hamburg, ein ausgewiesener Experte der Materie.
Die Kernaussagen des Gutachtens sind niederschmetternd für die Schulbehörde. Sie zeigen, dass dort noch viel Nachholbedarf ist, organisatorische und strukturelle Rahmenbedingungen für das pädagogische und therapeutische Fachpersonal zu schaffen, damit diese im Rahmen des Erziehungsauftrags der Schule den (sozial)pädagogischen Herausforderungen von Ganztagsschule, der Inklusion von Kindern mit Behinderungen, Migrations- und Flüchtlingshintergrund, aus sozial benachteiligten Familien oder mit herausforderndem Verhalten gerecht werden können.
Prof. Krüger kommt in seiner Untersuchung für das Arbeitsfeld der Schulsozialarbeit zu dem Schluss, dass die Pläne für die neue Dienstzeitregelung „ein unverhohlener, besonders krasser Versuch der Subordination der Schulsozialarbeit unter die traditionellen, teils liebevoll gepflegten Selbstverständlichkeiten der Schule sowie administrativen Opportunitäten (egal wie diese motiviert sein mögen) ist, welcher die Auflösung ihrer beruflichen Identität in Hamburg betreibt und ihre Deprofessionalisierung bewirken wird. Die bis ins Kleinkrämerische gehenden Regelungen des ‚Entwurfs‘ verwehren ihr jeden Entwicklungsspielraum, den sie benötigen würde, um prospektive Entwürfe zu entwickeln und mit dazu beizutragen, Hamburgs Schulen zukunftsfähig zu machen. Er bietet daher auch keine Grundlage für hierauf basierende Aushandlungen, da sein Grundansatz aus Sicht der Schulsozialarbeit völlig verfehlt ist“ (S. 50). So wundert es nicht, dass er in seiner Analyse der geplanten Neuerungen darlegt, dass mit ihnen „die Grundlage dafür geschaffen (wird), dass die professionellen Standards und das fachliche Format der Schulsozialarbeit in Hamburg „zerstreut“ werden. Die alleinige dienstliche und fachliche Kontrollbefugnis der Schulleitungen wird tendenziell die Weiterentwicklung der Schulsozialarbeit in Hamburg nachhaltig blockieren“. Sein Resümee in Bezug auf die Schulsozialarbeit lautet: „War Hamburg einst Avantgarde, hat es sich nun entschlossen, mit der roten Laterne zu winken“ (S.35).
Auch die Vereinheitlichung der Arbeitsfelder der Schulsozialarbeit (Beratungsdienst, Inklusion, Ganztag) mittels einer einzigen Stellenbeschreibung beurteilt Prof. Krüger aus fachlicher Sicht negativ: „Diese Intention ignoriert die berufliche Binnendifferenzierung der Schulsozialarbeit (…) und die damit verbundene Spezialisierung ihrer Arbeitsgebiete. Solche Nivellierungsversuche entwerten das professionelle Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, gehen an der fachlichen Wirklichkeit vorbei und schaffen unnötige Reibungsverluste. Sie dienen einzig dem Interesse der BSB an der Schaffung eines personellen Verfügungsreservoirs und einer Stärkung der Macht der einzelnen Schulleitungen“ (S. 51).
Insofern kommt Prof. Dr. Krüger hinsichtlich der einzelnen Fragestellungen der GEW zu einem vernichtenden Ergebnis:
- Die Zusammenfassung der einzelnen pädagogischen Tätigkeitsbereiche der KollegInnen, wie die Inklusion, die Schulsozialarbeit (Beratungsdienst), die spezifische Arbeit an speziellen Sonderschulen und die pädagogische Arbeit im schulischen Ganztag in einem Aufgabenfeld sowie der Ansatz, ihre Ausstattung mit gleichen Zeitanteilen innerhalb einer Dienstzeitregelung auszustatten ist fachlich nicht sinnhaft. Die neue Dienstzeitregelung würde, wenn die Pläne so umgesetzt werden, „auf Grund ihrer Formulierungen und Konstruktion (…) einen nachhaltig negativen Einfluss auf die beruflichen Inhalte der Schulsozialarbeit nehmen“ (S. 51).
- Die Pläne der Schulbehörde zu einer Neukonzeption der Dienstzeitregelung für das PTF-Personal enthalten keinerlei Gelingensbedingungen, unter denen sich die Fachlichkeit der Schulsozialarbeit entfalten kann (S. 52).
Schließlich formuliert Prof. Dr. Krüger dezidiert Gelingensbedingungen und notwendige Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche soziale Arbeit an Schulen. Hierbei hat für ihn die institutionell organisierte, systematische Absicherung der professionellen Eigenständigkeit und fachlichen Identität der Schulsozialarbeit oberste Priorität.
Notwendig sind nach Auffassung von Prof. Dr. Krüger
- eine überschulisch organisierte Fachaufsicht,
- ein institutionell abgesicherter, verpflichtender, systematischer und regelmäßig stattfindender regionaler und überregionaler Fachaustausch,
- eine allgemeine Dienstordnung für Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen der Schulsozialarbeit,
- die Bündelung der Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen in Schulen mit denen in den ReBBZn. Sie leisten Schulsozialarbeit und sollten, gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus anderen Bereichen der Schulsozialarbeit, zu einer in der BSB fest verorteten und organisatorisch abgesicherten Fachschaft zusammengefügt werden.
- spezifische und differenzierte Arbeitsplatzbeschreibungen, die der Professionalität und dem formalen Niveau der Schulsozialarbeit entsprechen und mit anderen regelnden Bestimmungen voll kompatibel sind,
- zweckdienliche Ressourcen (Personalausstattung, Räume, Sach- und Geldmittel),
- in besonderer Weise entsprechend qualifizierte Fachkräfte.
In Bezug auf die Dienstzeitregelung bedarf es einer engen Bindung an differenzierte berufliche Inhalte (S. 51). Hierfür müssen in einem ersten Schritt „spezifische und differenzierte Arbeitsplatzbeschreibungen mit einer Gewichtung der Tätigkeitsbereiche entwickelt (werden), denen dann in einem zweiten Schritt auf Ebene einer allgemeinen formalen Regelung sachangemessene Zeitbedarfe und Zeitstrukturen zuzuordnen“ sind (S. 51).
Die von der Schulbehörde zum PTF (päd. und therapeutischen Fachpersonal) zusammengefassten Berufsgruppen unterscheiden sich inhaltlich und strukturell deutlich voneinander. „Derart unterschiedliche Arbeiten erfordern auch unterschiedliche Zeitbedarfe sowie eine differente Zeitstruktur“ (S. 52).
Manuela Wrede, Schulsozialarbeiterin an einer Stadtteilschule und Fachgruppenvorstand der GEW-Fachgruppe PTF: „Das eigentliche Ziel der BSB ist es, mit einer neuen Dienstzeitregelung die Arbeitszeit der Kolleginnen und Kollegen zeitlich auszudehnen und in ein enges Korsett zu schnüren. Sie soll beispielsweise dem Bedürfnis nach Ruhe im Unterricht, einer Doppelbesetzung zur besseren Förderung von Schülerinnen und Schülern sowie einer Rundumbetreuung im Ganztag entsprechen. Wir werden zum feuerlöschenden Lückenfüller – mit wissenschaftsfundierter Schulsozialarbeit hat das nichts zu tun.“
Anja-Bensinger-Stolze, Vorsitzende der GEW Hamburg: „Es wundert nicht, dass sich viele der Gelingensbedingungen, die Prof. Krüger formuliert, mit den Forderungen decken, die die GEW gemeinsam mit den Beschäftigten seit Jahren an die Schulbehörde heranträgt. Was wundert, ist die Ignoranz der Entscheidungsträger in der BSB. Es wird Zeit, dass hier ein Umdenken stattfindet. Schulen brauchen – gerade in Bezug auf Anforderungen an ein modernes, inklusives Schulsystem – pädagogisches und therapeutisches Personal zur erfolgreichen Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrags. Hier haben wir die Hausaufgaben der Behörde gemacht – wir erwarten nun, dass die Behörde selbst an sich arbeitet.“
Hintergrund
Hamburg hat in den letzten Jahren Schulreform geradezu als Leistungssport betrieben:
• Abschaffung der Gesamtschulen, Haupt- und Realschulen zugunsten der Stadtteilschule als einziger Schulform neben dem Gymnasium
• Abschaffung der Integrationsklassen zugunsten der flächendeckenden Inklusion
• flächendeckende Ganztagsbetreuung für alle Kinder bis 14 Jahre
Eine Konsequenz dieser Entwicklung ist, dass die Behörde insbesondere die Sozialpädagoginnen und -pädagogen und die Erzieherinnen und Erzieher nicht mehr wie bisher in klar abgegrenzten Aufgabenbereichen mit jeweils eigener Stellenbeschreibung und Dienstzeitregelung beschäftigt, sondern sie als AllrounderInnen mit Aufgaben aus allen Tätigkeitsfeldern an der Schule betraut. Oft sehen Schulleitungen sie als flexibel einsetzbares Hilfspersonal – z.T. aus fehlender Fachkenntnis oder aus den Zwängen der Ressourcenknappheit an Schulen.
Birgit Rettmer, Gewerkschaftssekretärin der GEW Hamburg: „Es werden auch Erzieherinnen als Unterrichtsvertretung eingesetzt. Fachliche Maßstäbe und berufsspezifische Standards spielen keine Rolle. Dieser Zustand ist einem modernen Schulwesen mit einem multiprofessionellen Kollegium nicht angemessen.“
An den speziellen Sonderschulen arbeiten ErzieherInnen und TherapeutInnen bereits jetzt am Rande der Belastbarkeit. Der Krankenstand ist in dieser Schulform am höchsten. Damit wird deutlich: dies ist kein individuelles Problem, sondern ergibt sich aus den strukturellen und organisatorischen Rahmenbedingungen sowie dem Zwang zur Kostenneutralität.
Manuela Kirschbaum, Erzieherin an einer Grundschule: „Der zeitliche Druck steigt ins Enorme Ich arbeite in mehreren Klassen und laufe den Kindern quasi hinterher. Hier berate ich, bin für Klassenstrukturen mit verantwortlich und arbeite außerdem freizeitpädagogisch im Ganztag. Vor-und Nachbereitungszeiten bleiben nahezu komplett auf der Strecke. Nebenbei bin ich auch mal so freundlich den Unterricht zu vertreten, wenn die Schule keine Lehrervertretung mehr realisieren kann. Allzeit bereit - die Feuerwehr!“
Dafür, dass die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter an den Schulen zukünftig Tätigkeiten aus bisher drei unterschiedlichen Stellen auf sich vereinen sollen, werden sie aber nicht besser bezahlt. Für die neuen, herausgehobenen Stellen für koordinierende Tätigkeiten (die die GEW grundsätzlich begrüßt), erhalten die Beschäftigten dann nur eine monatlichen Zulage von gerade mal 118,39€ brutto (volle Stelle).
Keine Motivation, hier qualifiziertes Fachpersonal zu erhalten.
Hinweis: Das Gutachten ist bei der GEW Hamburg auf Anfrage erhältlich.
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