Sonderopfer wieso?

16. September 2011Von: Joachim GeffersThema: Tarif / Besoldung
Angesichts steigender Haushaltseinnahmen ist die Kürzung unserer Bezüge nicht nur unverschämt, sondern erscheint auch als Akt ökonomischer Unvernunft
Foto

Man reibt sich die Augen, wenn man die Presseerklärung des Hamburger Senats sieht, die aufgrund der Steuerschätzung gemacht werden musste. Hamburg, das als Wirtschaftsstandort in Deutschland am stärksten von dem konjunkturellen Aufschwung profitiert, wird also in den nächsten Jahren hunderte von Millionen Steuermehreinnahmen haben. Hinzu kommen die nicht unerheblich geringeren Belastungen, die sich durch den niedrigen Zinssatz, der auf die Staatsschuld gezahlt werden muss, ergeben. Nicht nur der Bund, auch Hamburg profitiert vom Triple-A der Ratingagenturen. Da die Staatsverschuldung (derzeit 25 Milliarden) in einem rollierenden Verfahren refinanziert werden muss, wird dieser Effekt weiter anhalten, solange die Zinsen niedrig bleiben. Der aktuelle reale Zins, die Inflationsrate abgezogen, liegt nahezu bei null! Im aktuellen Finanzbericht für 2011/2012 des Senats heißt es hierzu lapidar: „In 2011 wird trotz gestiegener Schulden aufgrund der stark gefallenen Zinsstrukturkurve mit niedrigeren Zinsausgaben gerechnet.“ (S.58) Steuermehreinnahmen und dieser Zinseffekt haben also eine einmalig günstige Entwicklung geschaffen.

Und Hamburg profitiert noch auf eine andere Art und Weise von der Krise. Die finanziell angeschlagenen EU-Mitgliedsstaaten, allen voran Griechenland, sorgen dafür, dass der Kurs des Euro eher nach unten weist. Je niedriger der Euro-Kurs, desto besser für die deutsche Exportwirtschaft. Hätten wir noch die DM, ginge es uns schon seit einiger Zeit so wie aktuell den Schweizern. Der Kurs wäre in ungeahnte Höhen gestiegen, was sich direkt als Exportbremse gezeigt hätte.

Das Gerede von der Transferunion, dass das Lamentieren von Deutschland als Netto-Zahler in der EU abgelöst hat, lässt diesen Effekt, der ja das Verständnis der Wechselkursmechanik voraussetzt, immer im Hintergrund. So erscheint der Profiteur Deutschland in der hiesigen Öffentlichkeit immer als Opfer.

Insofern ist es nahezu paradox, wenn der Senat – jetzt eigentlich ohne Not – durch die Kürzung der Beamtenbezüge 100 Millionen einsparen will. Wo bitte bleibt eigentlich das von Sozialdemokraten in der Vergangenheit immer wieder traktierte keynsianische Prinzip der Stärkung der Binnennachfrage? Die ist bekanntlich immer noch schwach. Der Einzelhandel ächzt seit Jahren unter dieser Entwicklung. Eine Trendwende – trotz wirtschaftlichen Aufschwungs – ist nicht zu erkennen, solange in Deutschland Lohnabschlüsse getätigt werden, die gerade mal die Inflation ausgleichen.

Aber auch juristisch hat der Senat sich auf gewagtes Terrain begeben. Wissend, dass das Kürzen der Beamtenbezüge ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik darstellt, hat er gegen seine eigene Gesetzeslage entschieden. Im Hamburger Beamtenbesoldungsgesetz heißt es in §17, dass die Besoldung (..) entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und unter Berücksichtigung der mit den Dienstaufgaben verbundenen Verantwortung durch Gesetz regelmäßig angepasst“ wird. Auch wenn die rechtliche Auseinandersetzung unseren Widerstand nicht ersetzen kann, wird es noch einmal spannend, wie die Gerichte den Fall vor dem Hintergrund der aufgezeigten Haushaltsentwicklung beurteilen.

Der Senat spielt also wissentlich mit dem Feuer. Statt seinen Beitrag zur Stärkung der Binnennachfrage zu leisten, bedient er den Stammtisch, indem er mit dem populistischen Argument von der Notwendigkeit des Schuldenabbaus all jene verängstigten Bürger zu beruhigen versucht, die der Mär vom Zusammenbrechen des Ganzen aufsitzen. Statt die Reichen stärker zu besteuern, und jeder weiß, dass es in Hamburg davon sehr viele gibt, greift man uns in die Tasche. Haushaltskonsolidierung, das wäre kein Problem, wenn man endlich die Profiteure der Krise zur Kasse bäte, wenn man aufhörte damit, zu behaupten, dass Deutschland in der Schuldenfalle säße . Die Studenten der Uni-Hamburg wollten auf jeden Fall mit dieser Legende aufräumen. Vor dem Hauptgebäude bauten sie eine Installation auf, die zeigt, dass die Schulden des Staates spiegelbildlich die Vermögensposition Privater (auch hinter institutionellen Anlegern stehen letztendlich Personen) widerspiegeln.

Das Gerede von der europäischen Solidargemeinschaft entlarvt sich vor dem Hintergrund der bewusst geschaffenen strukturellen Ungleichgewichte als Verschleierung der wahren Interessen. Deutschland profitiert seit Jahren vom europäischen Binnenmarkt und von dem der Exportstärke Deutschlands gemäßen viel zu niedrigen Euro-Kurs. Dass die übrigen “Partner“-Länder unter dem seit Jahren in Deutschland vorherrschendem Lohndumping und damit sinkenden Lohnstückkosten bei gleichzeitig steigender Produktivität leiden, mögen die Opfer in den Krisenländern vielleicht erkennen, dem Durchschnittsdeutschen bleibt dieser Erkenntniszusammenhang dank einer Boulevardpresse („wir arbeiten und die Griechen trinken Ouzo!“), die eng die deutschen Wirtschaftsinteressen zu pflegen weiß, versperrt.

Der Hamburger Senat betreibt also aktuell genau das, was die benannten Ungleichgewichte noch verstärkt. Statt zu sparen, sollte er dafür sorgen, dass endlich die Binnennachfrage gestärkt wird. Konsolidieren sollte er, indem er die Vermögenden endlich zur Kasse bittet. Dass Preissteigerungen die Folge sein könnten, sollte man nicht als Schreckgespenst an die Wand malen, sondern als Chance begreifen, strukturelle Ungleichgewichte abzubauen. Konkret: Würden die hiesigen Preise durch höhere (Lohn-)Kosten vergleichsweise stärker steigen als im übrigen Euro-Raum, schwächte dies die internationale Wettbewerbsposition der Deutschen zugunsten anderer Mitgliedsländer und schaffte gleichzeitig die beklagte fehlende Binnennachfrage.

Außenwirtschaftliches Gleichgewicht war im Rahmen der 1970er Jahre sozialdemokratisch inspirierter Wirtschaftspolitik die Voraussetzung für eine gedeihliche Entwicklung der Wirtschaft. Dieses Ziel wurde in den letzten Jahren sträflich vernachlässigt. Wenn es nicht gelingt die deutsche Wirtschaft auf diesen Pfad zu bringen, wird sich die Euro-Krise in der Tat verschärfen, alle politischen Verwerfungen eingeschlossen (die Rechtspopulisten warten auf ihre Chance).

Von Helmut Schmidt ist der Satz aus den 1970er Jahren überliefert, dass ihm im Zielkonflikt zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit, es ihm lieber sei, eine mäßige Inflation in Kauf zu nehmen. Dies galt damals für die deutsche Wirtschaft. Will man den europäischen Integrationsprozess ernsthaft weiter vorantreiben, so sollte man die Worte Schmidts heute auf die Eurozone anwenden.

Nun ist das Erkennen der wirtschaftlichen Zusammenhänge das eine, der Widerstand, der durch eine derartige Argumentation unterfüttert werden kann, das andere. Ohne ihn werden wir die Entscheidungsträger im Hamburger Senat nicht umstimmen können. Wir sollten also bis zur Haushaltsabstimmung im November, in der endgültig über die Kürzung unserer Bezüge entschieden wird, nichts unversucht lassen, uns in der Öffentlichkeit lautstark Gehör zu verschaffen. 

Joachim Geffers