PISA, TIMSS und IQB-Ländervergleich: Die deutsche Schule sei in Ordnung. Und: Alles wird besser – zumindest sei man „auf einem guten Weg“. So oder so ähnlich werden die Kommentare und Beschwichtigungen der Kultusminister lauten, wenn in den nächsten Wochen die Ergebnisse der neuen Schultests veröffentlicht werden. Doch: Vorsicht ist geboten.
Erinnern wir uns: Das Jahr 2015 bescherte den Schulen in der Bundesrepublik ein Mammut-Testjahr wie noch nie. Nach den flächendeckenden VERA-Leistungsvergleichsarbeiten für die 8. Klassen zu Jahresbeginn folgten die umstrittenen VERA-Tests für die Drittklässler. Im Mai mussten dann mehr als 56 000 Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren zeigen, was sie in Naturwissenschaften, Deutsch, Mathematik, Englisch und in einigen Bundesländern auch in Französisch „draufhaben“. Es ging zum einen um einen neuen innerdeutschen Bundesländer- Vergleich des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) im Auftrag der Kultusministerkonferenz (KMK). Zum anderen wurden Daten für den internationalen „Testklassiker“ PISA der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erhoben. Und dann gibt es jetzt auch noch neue TIMSS-Befunde (Trends in International Mathematics and Science Study). Das ist die international vergleichende Untersuchung, die seit 1995 im vierjährigen Turnus von der International Association for the Evaluation of Educational Achievement (IEA) ausgeführt wird.
Die jeweiligen Resultate werden der Öffentlichkeit nun bis Jahresende im Zweiwochenrhythmus präsentiert. Das wird Verwirrung stiften – und man könnte argwöhnen, dies sei mit der geballten nahezu zeitgleichen Veröffentlichung der Studien auch gewollt. „Augen zu und durch“, heißt es dazu intern bei manchen Strategen in den Länder-Schulministerien. Inzwischen mehren sich aber Zweifel, ob das jahrelange, viele Millionen Euro teure Wiegen und Vermessen deutscher Schülerinnen und Schüler tatsächlich konkrete Verbesserungen für den Schulalltag gebracht hat. Das gilt insbesondere für das Kernproblem des deutschen Bildungssystems: der nach wie vor extrem ausgeprägten Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft. Diesen Befund hat der im Sommer vorgelegte jüngste nationale Bildungsbericht von KMK und Bundesbildungsministerium noch einmal bestätigt.
Nachteile haben schon Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern, die jünger als drei Jahre sind. Kinder mit Migrationshintergrund nutzen viel seltener als andere Gleichaltrige Angebote der Kindertagesbetreuung. Weitaus weniger nehmen diese Mädchen und Jungen später auch Kita-Bildungsangebote wahr. Sie haben zudem einen höheren Sprachförderbedarf und werden häufiger als andere bei der Einschulung zurückgestellt.
Die Nachteile setzen sich fort. „So ist die Wahl der weiterführenden Schulart nach der Grundschule weiterhin von den elterlichen Bildungsabschlüssen abhängig“, stellen die Autoren in ihrem Bericht fest. Die „sozialen Disparitäten“ in der deutschen Bildung spiegeln sich später ebenso beim Zugang zur Berufsausbildung wider wie auch in den Abbruchquoten von Lehrverträgen. Das gleiche „soziale Gefälle“ gibt es beim Hochschulzugang und später beim Übergang vom Bachelor- in das Masterstudium – ebenso bei der Teilnahme an Weiterbildung.
Äußerste Vorsicht
Die Aussagen von Kultusministern wie auch der von ihnen beauftragten Schulforscher, die deutsche Bildung sei in den vergangenen 15 Jahren seit dem PISA-Schock von 2001 doch „chancengerechter“ geworden, sind dabei mit äußerster Vorsicht zu genießen. So wurden in den ersten deutschen PISAAuswertungen alle drei Jahre die sozialwissenschaftlichen Kriterien für die Einordnung der Schichtzugehörigkeit der Elternhäuser verändert – was einen seriösen Langzeitvergleich erheblich erschwert.
In PISA-kritischen Veröffentlichungen wird zudem darauf verwiesen, wie sich die soziale Zusammensetzung der deutschen Schüler-Stichprobe seit 2003 von Mal zu Mal verändert hat. Das heißt, ab 2006 fanden sich unter den jeweils per Zufallsauswahl getesteten Schülerinnen und Schülern weitaus weniger Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern als noch bei früheren Untersuchungen.
Die Autoren des nationalen Bildungsberichts schreiben dazu: „Das Ringen um Chancengleichheit im Bildungssystem (bleibt) eine zentrale Herausforderung.“
Karl-Heinz Reith, freier Journalist
Der Artikel erschien in der E&W 11/2016
Foto: S. Hofschlaeger / www.pixelio.de