Die GEW hat eine Stellungnahme zur „Fortschreibung der Reform der Lehrerbildung in Hamburg“ verabschiedet. Aus Sicht der Bildungsgewerkschaft bietet der Entwurf zur Drucksache positive Aspekte als auch Anlass zur Kritik.Die Stellungnahme findet sich unten und im Anhang.
GEW Stellungnahme zur „Fortschreibung der Reform der Lehrerbildung in Hamburg“
Schon den Prozess der Reform der Lehrer*innenbildung hatte die GEW kritisch begleitet. Der Entwurf zur Drucksache bietet nun positive Aspekte als auch erneut Anlass zur Kritik.
Dass an der Universität Hamburg ein Grundschullehramt eingeführt werden soll, wird mit Empfehlungen der KMK und der Schulstruktur in Hamburg begründet. Dagegen sprechen unter anderem entwicklungspädagogische Argumente: Die Herausforderung, gute Übergänge von Grund- zu weiterführender Schule zu gestalten, sollte nicht unterschätzt werden. Hierzu wäre ein übergreifendes Lehramt sinnvoll gewesen, um allen Lehrämtern wesentliche Kenntnisse über die Entwicklung ihrer Schüler*innen zu vermitteln und gemeinsames Lernen im Studium zu berücksichtigen. Dass den Übergängen in Klasse 1 und 5 eine „besondere Beachtung“ zukommen soll, erscheint ohne strukturelle Vorgaben nur als frommer Wunsch, zumal elementare Lernprozesse nicht nur in Grundschulen ein Thema sind.
Wichtig sind mit Einführung eines eigenständigen Grundschullehramts die Weiterbildungsmöglichkeiten für Absolvent*innen des alten Lehramts an Grund- und Primarschulen sowie des neuen Lehramts an Grundschulen, die bisher nur als Prüfaufträge für das ZLH formuliert sind. Flexibilität im Einsatz an anderen Schulformen wie der Stadtteilschule auch für diese Absolvent*innen ist wichtig, ein erster Schritt wird durch die LP-Verteilung nach KMK-Vorgaben gemacht. Die Fächerwahl der Studierenden sollte dabei entgegen der Drucksache nicht eingeschränkt werden. Deutsch und Mathematik als Pflichtfächer vorzugeben, schränkt die Wahlfreiheit der Studierenden erheblich ein und wertet andere Fächer gleichzeitig ab. Zusätzlich besteht die Gefahr, dass auch die Fächer Mathematik und Deutsch selbst abgewertet werden, sollte das fachwissenschaftliche Studium dieser Fächer durch rein auf die Inhalte der Grundschule fokussierte Studiengänge reduziert werden. Ein hohes Maß an fachlichen, fachdidaktischen und allgemeinpädagogischen Kompetenzen muss für alle Lehrämter gewährleistet werden.
In der Drucksache werden die Leistungen und die Bedeutung aller Lehrämter gleichermaßen anerkannt. Es ist daher nur folgerichtig, dass endlich alle Lehrämter als Einstieg mit A13 besoldet werden und sich die Angleichung nicht nur auf das Lehramt für die Sekundarstufen I und II bezieht. Begrüßenswert ist zudem die Prüfung der Einrichtung des Faches Theater. Auch der Ansatz, Inklusion und Heterogenität für alle Lehramtsstudiengänge verbindlich zu machen, ist grundsätzlich ein wichtiger Schritt. Dabei ist zu beachten, dass neben dem hohen Anteil der fachlichen und fachdidaktischen Studieninhalte auch weitere allgemeinpädagogische Kompetenzen wie Mehrsprachigkeit oder soziokulturelle Vielfalt für alle Lehrämter in den Blick genommen werden.
Inklusion darf zudem nicht nur auf den Umgang mit Heterogenität und Differenzierung im Unterricht reduziert werden. Insbesondere die Zusammenziehung aller Heterogenität inklusive Begabungsförderung zu einem „weiten Inklusionsbegriff“ verwässert den Begriff der Inklusion im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention. Inklusion heißt, dass teilhaberelevante Bildungsangebote unter erschwerten Bedingungen für spezifische Zielgruppen in Anerkennung ihrer sozialen Lebenslage möglich gemacht werden müssen. Dabei geht es auch um die Konzipierung passgenauer neuer Lehr- und Lernangebote und intensivpädagogische Zugänge in dazu passenden Organisationsmodellen, die das allgemeine Bildungsangebot einer Region ergänzen. Im Sinne der Hochschulautonomie wird die genaue Implementierung von inklusionspädagogischen Veranstaltungen der Gestaltungsfreiheit der Hochschulen überlassen - so bietet sich ihnen die Möglichkeit, fachlich begründet Inklusion als Bestandteil aller pädagogischen Lehrveranstaltungen zu verankern und somit Inklusion und sonderpädagogische Bereiche nicht isoliert, sondern integriert in allen Lehramtsstudiengängen einzubeziehen. Dies hieße auch, den freien Studienanteil im Lehramtsstudium allein durch die Studierenden gestalten zu lassen, ohne wichtige Inhalte dorthin auszulagern. Damit all dies gelingt, ist dafür Sorge zu tragen, dass genügend finanzielle Mittel für das langfristige Beibehalten aller Förderschwerpunkte im Bereich der Lehrerbildung vorhanden sind.
Bezüglich der Studieninhalte weist die GEW darauf hin, dass Lehrerinnen und Lehrer eines Lehramtes für Sonderpädagogik sowohl spezifische und vertiefte Kenntnisse im Bereich der Vernetzung, der Beratung und der Diagnostik als auch im Bereich der Didaktik der Unterrichtsfächer im gemeinsamen und inklusiven Unterricht benötigen. Darüber hinaus hält die GEW es für notwendig, dass sozialwissenschaftliche Inhalte (zum Zusammenhang von sozialer Lage und Bildungserfolg) und in das Studium implementiert werden, da eine obligatorische Ausbildung im Förderschwerpunkt „Lernen" vorgesehen ist. Das Auftreten (u.a.) des sonderpädagogischen Förderbedarfes „Lernen" in sozial benachteiligten Gebieten, d.h. in Gebieten mit sehr niedrigem und niedrigem Sozialstatus, ist in Hamburg signifikant (s. Bildungsbericht 2017). Kenntnisse über diese Zusammenhänge und mögliche Lösungswege sind unabdingbar.
Die Festlegung der Studierenden der Sonderpädagogik auf den Primar- oder Sekundarbereich ist dabei wiederum ein Rückschritt. Die Nachteile einer Trennung entsprechen denen der Trennung zwischen Grundschul- und Gymnasiallehramt, wobei sie in Bezug auf die Bildung für inklusives Lernens bei Schüler*innen noch widersprüchlicher erscheinen. Gerade Sonderpädagog*innen müssen die gesamte Entwicklung ihrer Schüler*innen im Blick haben, um angemessene Förderentscheidungen in Bezug auf den individuellen Entwicklungsstand des Kinds und nicht in Bezug auf die vorgegebene Klassenstufe treffen zu können. Zudem können bestimmte Förderschwerpunkte auch in Berufsschulen oder in Sekundarstufe II relevant sein. Dies wird in Bezug auf die Berufsschulen in der Drucksache nicht berücksichtigt und kann für die Sekundarstufe II nur unter Aufwendung des gesamten freien Studienanteils geleistet werden. Auch für Sonderpädagog*innen sollte die Mobilität zwischen den Schulformen gewährleistet sein.
Unklar bleibt auch, welche Folgen die geänderten Lehramtsstudiengänge für den Vorbereitungsdienst haben werden, der laut Senat zu einem späteren Zeitpunkt „angepasst" werden soll. Eine Überprüfung von reellen Umsetzungsmöglichkeiten sollte bereits jetzt stattfinden.
Problematisch ist der Entwurf der Drucksache insgesamt im Hinblick auf die Rolle der Universität und der Freiheit der Lehre. So wird dem ZLH-Rat eine prüfende Rolle zugewiesen, wobei dieser nicht paritätisch besetzt ist und einige Mitgliedergruppen der Universität gänzlich fehlen. Der ZLH-Rat darf nur eine beratende Funktion haben, da ihm gesetzlich keine Rolle bei der Implementierung neuer Studiengänge zugewiesen wird. Dies ist Aufgabe des GALB. Grundsätzlich müssen die Hochschulen und Fakultäten die Drucksache umsetzen. An diese Verfahrenswege muss sich gehalten werden. Zusätzlich eingeengt wird der Spielraum der Universität durch die genauen Vorgaben zur Verteilung von Leistungspunkten in Bezug auf die Fächer, wobei Kostenfaktoren dabei unberücksichtigt bleiben.
In Bezug auf die Kosten bleibt die Drucksache ohnehin unklar. Eine "Verschiebung von vorhandenen Ressourcen" wird allerdings nicht ausreichen, um ein zusätzliches Grundschullehramt mit Grundschuldidaktiken einzuführen und zusätzlich den ehrgeizigen Zeitplan zur Einführung der Studiengänge einzuhalten. Die Vorgabe, maximal 20% der Lehre durch Lehraufträge abzudecken, ist zwar begrüßenswert - die letzten Gutachten und Stellungnahmen der universitären Gremien zeigen jedoch, dass diese Kennzahl bereits jetzt oft überschritten wird. Die entsprechende finanzielle Ausstattung der Hochschulen muss gegeben sein, um diese Vorgabe erfüllen zu können. Dies gilt auch für weitere mögliche Mehrbedarfe, die der Senat in den Kostenfolgen selbst feststellt.
GEW Hamburg, 23.1.2018
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