Der Schulsenator hat rechtzeitig zur Bürgerschaftswahl am 23. Februar des neuen Jahres eine Broschüre mit dem Titel „Schule in Hamburg – Entwicklung seit 2011“ vorgelegt. Er lobt sich darin für die „Schulbauoffensive“, die Ganztagsschulen, einen „besseren Unterricht“, die Inklusion, die Stadtteilschulen und den „besseren Start in den Beruf“. Selbstkritik, wie sie von jedem Schüler und jeder Schülerin gefordert wird, Fehlanzeige. Die sei hier stellvertretend nachgeholt - beispielhaft an drei Bereichen.
„Schulbauoffensive“ oder Schulschrumpfung?
In der Broschüre wird zurecht darauf hingewiesen, dass der Schulbau jahrelang vernachlässigt wurde. Die Schulgebäude verfielen und notwendige Ausbaumaßnahmen erfolgten nicht im erforderlichen Umfang. Diese Politik des „intelligenten Sparens“ geht auf das Konto aller an den Vorgängersenaten beteiligten Parteien von SPD/CDU/ Grünen/FDP/Schill-Partei (jetzt AfD). Nun wird angeblich alles besser. Wir bekommen „schönere Schulen“. Was aber verschwiegen wird: Ziel des Schulentwicklungsplans 2012 war es, die Schulfläche um 10 Prozent zu verkleinern. So heißt es ausdrücklich in der „Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft“ zur „Neuausrichtung von Bau und der Bewirtschaftung der staatlichen Schulimmobilien“ vom 18.09.2012 (Drs. 20/5317, S. 6), „Zielgröße“ sei die „Reduzierung um 10 Prozent der Gesamtfläche“! Verschärft wurde die Situation dadurch, dass entgegen der Voraussicht der Schulbehörde die Schüler_innenzahlen um „rund 10 Prozent“ angestiegen sind (Schulentwicklungsplan 2019 – Referentenentwurf, S. 4). Die „Schulbauoffensive“ kam mithin nicht nur viel zu spät, sie war ein Schulschrumpfungsplan. Die Schulbehörde hat beim Schulentwicklungsplan 2012 mit ihrer Prognose der Schüler_innenzahlen eklatant danebengelegen. Wer garantiert, dass das jetzt nicht wieder der Fall ist?
„Besserer Unterricht“?
In der Broschüre feiert Schulsenator Rabe die guten Ergebnisse bei den IQBLändervergleichen der Kultusministerkonferenz: „Hamburg liegt jetzt nicht mehr auf den letzten Plätzen aller Bundesländer“ (S. 13). Dieses Ergebnis bezieht sich aber auf ältere Ländervergleiche des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB). Der neueste IQB-Ländervergleich von 2018 kommt wieder zu einem schlechteren Ergebnis. „In Mathematik haben sich die Hamburger Neuntklässler gegenüber 2012 zwar leicht verbessert und belegen nun insgesamt den elften Platz unter den 16 Bundesländern. Im Vergleich der anderen Naturwissenschaften bleiben sie allerdings vorletzte“ (NDR 90,3 vom 18.10.2019). Weitere Ergebnisse sind: 28,8 Prozent (2012: 28,3 Prozent) der Schülerinnen und Schüler erreichen im Fach Mathematik nicht die Mindeststandards (IQB-Bildungstrend 2018, S. 160). Hamburg liegt damit signifikant unter dem Durchschnittswert von 24,3 Prozent aller Bundesländer.
„Besserer Start in den Beruf“ oder Fehlstart ins Berufsleben?
In besagter Broschüre schneidet auch die Berufsbildungspolitik des Schulsenators exzellent ab. Dort heißt es (S. 18): „2011 begannen nur 25 Prozent aller Schulabgänger nach Klasse 10 eine Berufsausbildung. 75 Prozent hatten direkt nach der Schule keine berufliche Perspektive.“ Nun gäbe es aber Erfolge: „Statt bisher 25 Prozent beginnen jetzt 40 Prozent der Schulabgänger direkt nach Klasse 10 eine Ausbildung, ein Jahr nach Schulabgang sind sogar über 60 Prozent in Ausbildung.“ Beim Nachrechen ergibt sich ein anderes Bild:
• Auch 2018 hatten nach den Worten der Schulbehörde immer noch 60 Prozent der Schulabgänger_ innen „direkt nach der Schule keine berufliche Perspektive.“ In sieben Jahren hat sich die Ausbildungsversorgung um 15 Prozentpunkte verbessert, das sind knapp zwei Prozentpunkte pro Jahr. Die vom Senat versprochenen 100 Prozent, die das „Abitur oder eine gute Berufsausbildung“ (S. 5) machen sollen, dürften danach in 30 Jahren (!) erreicht sein.
• Schulsenator Rabe und seine Behörde führen die Verbesserung um 15 Prozentpunkte insbesondere auf drei Maßnahmen zurück: die Berufs- und Studienorientierung, die Jugendberufsagenturen und die Ausbildungsvorbereitung. Alle drei Maßnahmen hat es aber auch schon in abgewandelter Form ohne nennenswerte Erfolge zuvor in den Nullerjahren gegeben (als Berufsorientierung, Hamburger Hauptschulmodell und Berufsvorbereitung). Tatsächlich ist die Verbesserung um 15 Prozentpunkte vor allem durch einen Einmaleffekt erreicht worden, der mit diesen Maßnahmen nichts zu tun hat: Seit dem Schuljahr 2012/13 dürfen fast alle Schulabgängerinnen und -abgänger erst nach Klasse 10 die Stadtteilschule verlassen. Während in 2012 noch gut 1.200 Jugendliche nach Klasse 9 von der Stadtteilschule abgingen, waren es 2013 nur noch gut 100. Dadurch haben sich die Chancen der Schulentlassenen auf dem Ausbildungsmarkt erheblich verbessert: zum einen, weil es weniger Bewerberinnen und Bewerber für die vorhandenen Ausbildungsplätze gab, zum anderen, weil die meisten Schulentlassenen über einen mittleren Schulabschluss verfügten und drittens, weil einige Bestimmungen des Jugendarbeitsschutzgesetzes auf die nun älteren Schulentlassenen nicht mehr zutrafen. Die Wirkung dieser Schulzeitverlängerung war enorm: Während 2012 nur 25,2 Prozent der Schulabgängerinnen und -abgänger einen (betrieblichen, außerbetrieblichen oder schulischen) Ausbildungsplatz bekommen hatten, waren es ein Jahr danach immerhin 38,7 Prozent.
• Seit 2013 hat es dann keine nennenswerte „Verbesserung“ der Ausbildungsversorgung mehr gegeben. Dabei verspricht Rabe in seiner Broschüre zum zigsten Mal: „Hamburgs Schulen sollen jeden Jugendlichen zum Abitur oder zu einer guten Berufsausbildung führen.“ Tatsächlich hat sich die Ausbildungsversorgung bis 2018 nur geringfügig von 38,7 auf 40,2 Prozent erhöht, also in fünf Jahren um 1,5 Prozentpunkte. Wenn das so weitergeht, werden die versprochenen 100 Prozent in 200 Jahren erreicht sein!
• Die schlechten Zahlen der Ausbildungsversorgung nach Klasse 10 versucht der Senator nun dadurch aufzubessern, indem er behauptet, ein Jahr später befänden sich 60 Prozent in Ausbildung. Damit ist gemeint, dass ein Teil der Jugendlichen, die nach Klasse 10 keinen Ausbildungsplatz gefunden haben und deshalb in die Ausbildungsvorbereitung gesteckt wurden, doch noch (also nach 11 Jahren Schulbesuch) Erfolg bei der Ausbildungsplatzsuche hatten. Aber auch diese Zahl von 60 Prozent hält keiner Überprüfung stand. Addiert man die Zahlen der Schulabgängerbefragung 2017 (1.985 in Ausbildung von insgesamt 5.040 Schulabgänger_innen) und der Ausbildungsvorbereitung 2017/18 (842 in Ausbildung) und zieht davon die Ausbildungsabbrüche im 1. Ausbildungsjahr ab (etwa 390), so kommt man auf eine Zahl von 48,4 Prozent. Demnach befanden sich selbst ein Jahr nach Schulabschluss in Hamburg weniger als die Hälfte (sic!) der Schulabgängerinnen und -abgänger nach Klasse 10 in einer Ausbildung. Sieht so ein „besserer Start in den Beruf“ aus?
Kay Beiderwieden